»Hoher Grad der Regulierung ist gewöhnungsbedürftig« |
Alexander Müller |
06.02.2025 09:00 Uhr |
Patrick Neuss hatte am 1. Juni 2024 die Nachfolge des langjährigen Sanacorp-Vorstandsvorsitzenden Herbert Lang angetreten. / © Sanacorp
PZ: Wie waren Ihre ersten sechs Monate bei der Sanacorp?
Patrick Neuss: Mit rund 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Sanacorp nicht nur eine große mittelständische Organisation, sondern vor allem auch eine sehr dezentrale Einheit. Deshalb habe ich mir viel Mühe gegeben, alle 19 Niederlassungen zu besuchen, mit den Teams vor Ort zu reden und bei unseren Dialogabenden auch mit Apothekerinnen und Apothekern aus der Region in Kontakt zu kommen. Denn die nächste Besonderheit der Sanacorp als Genossenschaft ist ja, dass nicht unternehmerische Gewinnmaximierung im Fokus steht, sondern die Unterstützung der Mitglieder vor Ort. Da ist unsere Satzung sehr klar.
PZ: Sie kommen aus der Möbelbranche, was hat Sie am Pharmagroßhandel überrascht?
Neuss: Gewöhnungsbedürftig ist sicherlich der hohe Grad der Regulierung. Das gibt es in anderen Handelsformaten nicht in dem Ausmaß. Selbstverständliche Instrumente aus dem Handel stehen nur eingeschränkt zur Verfügung: von der Preiskalkulation bis zur Werbung. Händler bevorraten sich normalerweise mit Ware, mit der sie am Markt erfolgreich sein können und verzichten auf andere. Wir sind Vollversorger und das Lagermanagement ist schon eine echte Herausforderung. Und überraschend im Vergleich mit der Benchmark zum Beispiel aus dem Onlinehandel ist, dass wir nicht innerhalb eines Tages liefern, sondern in drei bis vier Stunden – wobei man da die Sinnfrage durchaus mal stellen dürfte, aber das ist etwas anderes.
Man spürt in jeder Apotheke vor Ort: Es handeln extrem freundliche Menschen, die ihren Beruf aus Berufung betreiben und mit der Mission angetreten sind, den Patientinnen und Patienten vor Ort zu helfen. Sie haben ein offenes Ohr, wenn sie die erste Anlaufstelle nach dem Arztbesuch sind und sie begleiten die Kundinnen und Kunden in Krankheitssituationen und idealerweise im Heilungsprozess oft auch ganz persönlich. Sie unterstützen Menschen und Angehörige aber auch in schwierigen Situation und teilweise auch, wenn es heißt »Abschied nehmen«. Das gehört leider auch zum Leben dazu. In den Apotheken spürt man häufig viele Emotionen. Es menschelt dort und das ist doch klar, denn die Gesundheit ist unser allerhöchstes Gut. Ich wurde überall mit offenen Armen empfangen und deshalb bin ich inhaltlich und mit dem Herzen voll dabei.
PZ: Wo kann Ihr Blick von außen helfen, die Sanacorp weiterzuentwickeln?
Neuss: Wir müssen den Apotheken das Leben erleichtern, damit sie nicht alles in Eigenregie machen müssen. Beim Thema OTC- und Freiwahlsortiment habe ich sehr unterschiedliche Ausprägungen in den Apotheken gesehen. Diesen Gestaltungsspielraum können wir zusammen mit den Apotheken noch besser nutzen, gerade in einem sehr herausfordernden Wettbewerb mit Online-Versendern und Drogeriemärkten. Auch bei den Zusatzverkäufen können die Pharmazeuten vielleicht ein bisschen mehr als Kaufmann agieren.
PZ: Wo können Sie die Apotheken noch mehr unterstützen?
Neuss: Im Bereich der digitalen Angebote können wir als Sanacorp noch stärker fokussieren, im dritten Quartal rollen wir unser mea-digital-signage, also ein digitales Schaufenster-Display aus. Wir wollen unsere Plattform »Sanacorp-Connect« weiter ausbauen, E-Lieferschein und E-Rechnung kommen dazu und andere Dinge, mit denen wir die Apotheken bürokratisch entlasten können. Aber auch was Lagerbestände im Automaten betrifft: Wenn die Apotheken hier näher zusammenrücken mit dem Großhandel, können wir auch die Bevorratung optimieren.
PZ: Weil Sie merken, dass die Luft wirtschaftlich dünner wird für Ihre Kunden?
Neuss: Die Margen für Apotheken haben mich schon auch überrascht, vor allem wenn man das große Leistungsspektrum der Apotheke vor Ort im Blick hat. Gerade wenn es um Hochpreiser geht: Vor meiner Zeit bei der Sanacorp hatte ich auch den Irrglauben, dass man der Apotheke damit etwas Gutes tut. Das Gegenteil ist ja der Fall und bei uns Großhändlern wirkt sich das aufgrund der Menge mit der gedeckelten Marge massiv aus.
PZ: Wie geht es der Sanacorp wirtschaftlich?
Neuss: Wir sind solide aufgestellt, aber mit einer extrem knappen Umsatzrendite ausgestattet. Das ist okay, weil wir wie gesagt nicht hart gewinnorientiert sind. Aber wir wollen auch eine vernünftige Dividende ausschütten und müssen uns, was Wirtschaftlichkeit betrifft, verbessern. Wir brauchen Freiraum zum Investieren. Und die Anforderungen der Banken bei der Finanzierung sind heutzutage gänzlich anders als vor fünf bis zehn Jahren.
PZ: Plant die Sanacorp neue Niederlassungen?
Neuss: Das sind langfristige Prozesse: Man sucht nach einem geeigneten Grundstück und dann wird festgelegt, wann dort gebaut werden soll. Hier in Planegg haben wir schon eines gekauft, falls wir später mal die Zentrale neu bauen sollten. Aber das ist jetzt noch nicht in den nächsten zwei, drei Jahren geplant. Aber in Stralsund soll es jetzt schnell losgehen mit dem Neubau und im Laufe des Jahres 2026 eröffnet werden. Und manchmal stehen wir vor der Herausforderung, im laufenden Betrieb umzubauen.
PZ: Wirkt sich das Skonto-Urteil des BGH schon positiv auf Ihr Geschäft aus?
Neuss: Ja, selbstverständlich wirkt sich das Urteil aus. Die Frage ist ja, wie gehen wir damit um in diesem kompetitiven und durchaus sensiblen Wettbewerb. Und da sind wir als Genossenschaft ja auch noch mal in besonderer Weise gefragt gewesen. Das war ein Balanceakt für uns: Wir müssen uns gesetzeskonform verhalten und trotzdem versuchen, den Schmerz zu lindern bei unseren Mitgliedern.
PZ: Haben Sie es als Genossenschaft da nicht viel leichter?
Neuss: Sie meinen wegen der Dividende? Das ist gesellschaftsrechtlich etwas komplizierter im Verhältnis Genossenschaft und GmbH. Also hatten wir letztlich die gleichen Mittel wie der Wettbewerb. Wir mussten uns mit Kreativität im Rahmen des Erlaubten bewegen und das haben wir auch getan. Dass das alles noch nicht für Jubelstimmung sorgt, ist uns klar.
PZ: Die ABDA kämpft für eine Wiederfreigabe der Skonti in der Arzneimittelpreisverordnung.
Neuss: Ich halte es nicht für gut, wenn sich Großhandel und Apotheken von der Politik auf ein Battlefield um unzureichende Mittel und in die direkte Konfrontation schicken lassen. Wir müssen der neuen Regierung gemeinsam die Dringlichkeit der Lage deutlich machen. Dass das Honorar der Apotheken steigen muss, steht außer Frage. Und unser Verband Phagro hat gefordert, dass unser Festzuschlag bleiben muss. Wir brauchen den Schulterschluss und ich bin gespannt, ob der stattfindet. Wir versuchen schon alles, um für uns und unsere Apotheken das finanziell Beste aus der Lage zu machen. Aber das ist natürlich endlich. Die Kosten werden weiter steigen und irgendwann hat man sich mal fertig optimiert. Wenn wir das Leistungsspektrum, zu dem wir verpflichtet sind, aufrechterhalten wollen, muss etwas passieren.
PZ: In der Stellungnahme fordert der Phagro auch strengere Temperaturkontrollen beim Versandhandel. Fühlen sich die Großhändler ungerecht behandelt?
Neuss: Natürlich! Wenn man sich anschaut, was wir hier und die Apotheken in Gang setzen, um die Qualität sicherzustellen, ist es absurd, dass Pakete im Versand jetzt bei Frost vor die Tür gepfeffert werden und im Hochsommer bei hohen Temperaturen im Lieferwagen liegen. Hier ist die Bundesregierung gefordert, zusammen mit den Partnern in den Niederlanden für klare Gesetzgebung zu sorgen und die auch umsetzen.