Hohe Arzneimittelpreise bedrohen Gesundheitssystem |
Lukas Brockfeld |
22.05.2025 14:00 Uhr |
Nils Gutacker, Leonie Sundmacher, Michael Hallek und Jochen Schmitt (von links) stellten ihr Gutachten gemeinsam in Berlin vor. / © IMAGO/Future Image
In den vergangenen Jahren kamen zahlreiche neue Arzneimittel auf den Markt, die innovative Ansätze in der Behandlung von Krebs oder seltenen Krankheiten ermöglichen. Diese Medikamente können Leben retten – doch was für die Patientinnen und Patienten ein Segen ist, stellt das deutsche Gesundheitssystem zunehmend vor Herausforderungen.
Ein am Donnerstagmorgen vorgestelltes Gutachten des Sachverständigenrats (SVR) Gesundheit und Pflege warnt vor den rasanten Kostensteigerungen. »Die Ausgaben für Arzneimittel sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Sie machen nach der Krankenhausversorgung inzwischen den zweitgrößten Kostenblock in der Gesetzlichen Krankenversicherung aus, vor den Ausgaben für ärztliche Behandlungen«, warnte Leonie Sundmacher, die Mitglied des Sachverständigenrats ist und an der Erstellung des Gutachtens mitarbeitete.
Insbesondere bei der Einführung innovativer Arzneimittel seien immer höherer Preise zu beobachten. »Der durchschnittliche Preis eines neu eingeführten Patentgeschützten Arzneimittels lag vor 15 Jahren bei rund 1000 Euro und schwankte zuletzt um Werte rund um 50.000 Euro. Vor diesem Hintergrund stellen wir mit unserem aktuellen Gutachten die Preisbildung für innovative Arzneimittel auf den Prüfstand«, erklärte Sundmacher.
Der SVR geht davon aus, dass in Zukunft noch mehr hochpreisige Arzneistoffe für größere Patientengruppen auf den Markt kommen werden. Sollte die bisherige Systematik der Bewertung und Bepreisung von Arzneimitteln nicht geändert werden, werde es angesichts der Kosten zu einer Überforderung des Gesundheitssystems kommen.
»Wir müssen den Arzneimittelpreis stärker an den patientenrelevanten Mehrwert koppeln. Das gilt sowohl für die erste Nutzenbewertung als auch für den gesamten Lebenszyklus eines Arzneimittels«, forderte das Ratsmitglied Jochen Schmitt. Es müssten Preisanpassungen vorgenommen werden, sobald neue Erkenntnisse zur Wirksamkeit eines Medikaments vorlägen.
Die Gutachter haben eine Reihe an konkreten Vorschlägen zur Gestaltung eines »lernenden Gesundheitssystems« entwickelt. Es sei klar, dass extrem hohe Preise für ein Medikament nur dann gerechtfertigt seien, wenn ein echter Zusatznutzen nachgewiesen werden könne.
Damit dieser Zusatznutzen gewährleistet ist, solle der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach dem Willen des Sachverständigenrats dazu befähigt werden, von sich aus eine Neubewertung des Zusatznutzens eines bereits eingesetzten Arzneimittels anzustoßen. Im Anschluss könne der Preis neu mit den Herstellern verhandelt werden. Ein Gericht habe diese Möglichkeit unlängst in Frage gestellt. Der Gesetzgeber solle dringend für Klarheit sorgen.
Die Gutachter fordern die Bundesregierung dazu auf, die Position des GKV-Spitzenverbandes gegenüber der Pharmaindustrie zu stärken. Eine wichtige Maßnahme sei es, dem Verband die Möglichkeit zu geben, von Preisverhandlungen zurückzutreten. Aktuell gibt es diese Option nicht. Die Unternehmen könnten dagegen jederzeit ein Arzneimittel vom Markt nehmen. Der Sachverständigenrat sieht darin ein »Ungleichgewicht«, das behoben werden müsse.
Außerdem müsse die Praxis beendet werden, dass Arzneimittel schon vor den Verhandlungen zu Preisen erstattet werden, die die Hersteller selbst bestimmt hätten. Bis zu einer Einigung zwischen Herstellern und Krankenkassen solle nur der Preis einer zweckmäßigen Vergleichstherapie erstattet werden.
Darüber hinaus empfiehlt das Gutachten eine ganze Reihe an Maßnahmen, die teilweise zu deutlichen strukturellen Veränderungen im Gesundheitswesen führen dürften. So wünschen sich die Gutachter die Einführung von Budgets für patentgeschützte hochpreisige Arzneimittel. Die Budgets sollten jährlich angepasst werden und könnten sich beispielsweise an der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts orientieren. Bei Überschreitung der Budgetgrenze sollen einheitliche prozentuale Preisabschläge anfallen.
Bei einigen Krankheiten werden Arzneimittel nur einmal verabreicht. Der Therapieerfolg solcher Einmalgaben ist oft unsicher. Der Rat empfiehlt daher, auf ein erfolgsabhängiges Vergütungsmodell zu setzen, um Fehlanreize im Gesundheitssystem zu vermeiden.
Der SVR mahnt außerdem, dass es bei vielen neuen Arzneistoffen noch an Evidenz mangele. Um neue Erkenntnisse zu gewinnen, müsse insbesondere die Forschungsdateninfrastruktur verbessert werden. Grundlage dafür sei eine vernetzte Gesundheitsregisterlandschaft. So könnten neue und innovative Studiendesgins ermöglicht werden.
»Die Förderung des Pharmastandort Deutschland durch die Politik ist richtig und wichtig«, sagte das Ratsmitglied Nils Gutacker am Donnerstag. »Das fällt aber in den Ressortbereich Wirtschaftspolitik und sollte nicht aus Mitteln der Solidargemeinschaft finanziert werden.« Für die Standortentscheidungen von Pharmaunternehmen seien nicht hohe Arzneimittelpreise, sondern vor allem effiziente Verfahren und eine gute digitale Forschungsinfrastruktur ausschlaggebend. Deutschland könne hier beispielsweise mit der breiten Einführung der Elektronischen Patientenakte den Rückstand gegenüber den Nachbarländern aufholen.
Das vollständige Gutachten wurde am Donnerstag offiziell an die neue Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) übergeben. Außerdem steht es auf der Website des Sachverständigenrats zum Download bereit.