Hoffnung auf Impfstoff zum Schutz vor RSV-Infektionen |
Theo Dingermann |
06.04.2023 15:05 Uhr |
Schwanger vor dem Herbst im Impfen lassen, damit das Neugeborene während der RSV-Saison einen Nestschutz vor dem Virus hat – das ist die Idee hinter der maternalen aktiven Immunisierung. / Foto: Getty Images/aire images
In der aktuellen Ausgabe des »New England Journal of Medicine« (NEJM) wurden jetzt die Daten der Zwischenauswertungen zweier klinischer Phase-III-Studien zu Pfizers bivalentem Impfstoffkandidat RSVpreF gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) publiziert, nachdem das Unternehmen bereits im November vergangenen Jahres erste Informationen mitgeteilt hatte.
In der einen der beiden Studien, die jetzt publiziert wurden, hatten schwangere Frauen in der 24. bis 36. Schwangerschaftswoche eine einmalige intramuskuläre Injektion von 120 μg des bivalenten Impfstoffkandidaten erhalten. Dieser Impfstoff enthält das virale Fusions-Protein (F), das der Erreger zum Zelleintritt nutzt, in seiner Präfusionsform, und zwar in gleichen Teilen von den Erreger-Subtypen A und B.
Ziel der Impfstrategie bei werdenden Müttern ist es, durch eine maternale Immunisierung für den Säugling einen Nestschutz aufzubauen, indem von der Mutter produzierte Antikörper über die Plazenta und später über die Muttermilch weitergegeben werden. Eine ähnliche Impfstrategie wird Schwangeren zum Schutz vor Pertussis-Infektionen der Säuglinge empfohlen.
In der zweiten Studie hatten ältere Erwachsene (≥ 60 Jahre) ebenfalls eine intramuskuläre Injektion des RSVpreF-Impfstoffs in einer Dosis von 120 μg erhalten. Als primäre Endpunkte waren die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen saisonale RSV-assoziierte Erkrankungen der unteren Atemwege mit mindestens zwei Symptomen oder mindestens drei Anzeichen festgelegt. Der sekundäre Endpunkt war die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen RSV-assoziierte akute Atemwegserkrankungen.
Bisher gibt es keine Optionen zur aktiven Immunisierung gegen RSV-Infektionen, daher waren die jetzt publizierten Daten mit Spannung erwartet worden – auch weil Pharmahersteller Glaxo-Smith-Kline (GSK) kürzlich eine klinische Studie zu seinem maternalen RSV-Impfstoff frühzeitig pausieren musste, da bei der routinemäßigen Sicherheitsbewertung vermehrt Frühgeburten beobachtet wurden.
In dieser Hinsicht geben die jetzt publizierten Daten von Pfizer Anlass zu Optimismus. In ihrer Publikation kommen die Forschenden zu dem Fazit, dass es bisher keine Sicherheitsbedenken für den maternalen RSVpreF-Impfstoff gebe. Die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen, die innerhalb eines Monats nach der Injektion oder innerhalb eines Monats nach der Geburt gemeldet wurden, war in der Impfstoffgruppe mit der Placebogruppe vergleichbar (13,8 Prozent der Frauen und 37,1 Prozent der Säuglinge unter Verum versus 13,1 Prozent beziehungsweise 34,5 Prozent und Placebo). Einschränkend muss allerdings erwähnt werden, dass in der klinischen Studie Risikoschwangerschaften von der Impfung ausgeschlossen waren, sodass für diese Gruppe keine Sicherheitsinformationen vorliegen.
Insgesamt hatten in dieser Studie mit dem Namen MATISSE 3682 Mütter den Impfstoff und 3676 ein Placebo erhalten. Im Nachgang zur Impfung waren 3570 beziehungsweise 3558 Säuglinge untersucht worden. Schwere Erkrankungen der unteren Atemwege, die einer medizinischen Behandlung bedurften, waren innerhalb von 90 Tagen nach der Geburt bei sechs Säuglingen aus der Impfstoffgruppe und 33 Säuglingen aus der Placebogruppe aufgetreten.
Daraus lässt sich eine Wirksamkeit des Impfstoffs von 81,8 Prozent errechnen. Innerhalb von 180 Tagen nach der Geburt stieg die Zahl der schweren Erkrankungen der unteren Atemwege auf 19 Fälle in der Impfstoffgruppe und 62 Fälle in der Placebogruppe. Dies entspricht einer Wirksamkeit des Impfstoffs von 69,4 Prozent.
RSV-assoziierte Erkrankungen der unteren Atemwege, die einer medizinischen Behandlung bedurften, traten innerhalb von 90 Tagen nach der Geburt bei 24 Säuglingen in der Impfstoffgruppe und 56 Säuglingen in der Placebogruppe auf (Impfstoffwirksamkeit 57,1 Prozent). Dieses Ergebnis erfüllte allerdings nicht das statistische Erfolgskriterium von mehr als 20 Prozent als untere Grenze des Konfidenzintervalls.
Die Daten der Zwischenanalyse der Phase-III-Studie bei Personen über 60 Jahre sind ebenfalls positiv. In diese Studie waren 34.284 Teilnehmer eingeschlossen. 17.215 Personen hatten den RSVpreF-Impfstoff erhalten. 17.069 Personen waren mit einem Placebo geimpft worden.
RSV-assoziierte Erkrankungen der unteren Atemwege mit mindestens zwei Anzeichen oder Symptomen traten bei elf Teilnehmern in der Impfstoffgruppe (1,19 Fälle pro 1000 Personenjahre Beobachtungszeit) und 33 Teilnehmern in der Placebogruppe (3,58 Fälle pro 1000 Personenjahre Beobachtungszeit) auf. Daraus errechnet sich eine Wirksamkeit des Impfstoffs von 66,7 Prozent. In zwei Fällen in der Verumgruppe (0,22 Fälle pro 1000 Personenjahre Beobachtung) sowie in 14 Fällen in der Placebogruppe (1,52 Fälle pro 1000 Personenjahre Beobachtung) traten mit mindestens drei Anzeichen oder Symptome für RSV-assoziierte Erkrankungen der unteren Atemwege auf (Impfstoffwirksamkeit nach diesem Kriterium 85,7 Prozent).
RSV-assoziierte akute Atemwegserkrankungen (sekundärer Endpunkt) traten bei 22 Teilnehmern in der Impfstoffgruppe (2,38 Fälle pro 1000 Personenjahre Beobachtungszeit) und 58 Teilnehmern in der Placebogruppe (6,30 Fälle pro 1000 Personenjahre Beobachtungszeit) auf (Wirksamkeit des Impfstoffs, 62,1 Prozent).
Die Häufigkeit lokaler Reaktionen war in der Impfstoffgruppe höher (12 Prozent) als in der Placebogruppe (7 Prozent); systemische Ereignisse traten mit etwa gleicher Häufigkeit auf (27 Prozent versus 26 Prozent). Schwere oder lebensbedrohliche unerwünschte Ereignisse wurden bei 0,5 Prozent der Impfstoffempfänger und 0,4 Prozent der Placebo-Geimpften gemeldet.
Auf Anfrage des Science Media Centers hinsichtlich der Sicherheitsproblematik bei der Impfung von Schwangeren antwortet Dr. Roland Elling, pädiatrischer Infektiologe am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Freiburg: »Prinzipiell ist es sicherlich interessant, auch einen Beobachtungszeitraum von länger als sechs Monaten nach der Geburt zu analysieren. Das Risiko für eine Hospitalisierung wegen einer RSV-Infektion, und auch für schwere Verläufe mit langem Krankenhausaufenthalt oder der Notwendigkeit einer Intensivtherapie ist aber im ersten Lebenshalbjahr am größten. Insofern ist der Fokus auf das erste Lebenshalbjahr plausibel.«
Die Frage, inwiefern dieser Impfstoff die Versorgung von Neugeborenen mit RSV verändern könnte, antwortet der Experte: »Könnte man wirklich die Hälfte aller krankenhauspflichtigen RSV-Infektionen von Säuglingen im ersten Lebenshalbjahr verhindern, wäre das nach allen bisher nicht geglückten Versuchen einer RSV-Impfung für das Säuglingsalter ein wichtiger Erfolg. Das 99,17-Prozent-Konfidenzintervall für Hospitalisierung (bis zu 180 Tage) ist aber mit 10,1 bis 80,7 Prozent groß, sodass diese Daten sehr vorsichtig interpretiert werden müssen.«
Auch Professor Dr. Bernhard Resch, stellvertretender Leiter der klinischen Abteilung für Neonatologie und Forschungseinheit für neonatale Infektionserkrankungen und Epidemiologie der Medizinischen Universität Graz, äußerte sich zurückhaltend hinsichtlich der Wirksamkeit des Impfstoffs zum Schutz der Neugeborenen: »Das Konfidenzintervall ist weit und die untere Grenze ist 14 Prozent, das erscheint mir nicht sehr viel. Da es sich um eine saisonale Infektion handelt, müssen eigentlich die Kinder, die vor der Saison geboren sind, besonders geschützt sein und die am Ende der Saison könnten den geringsten Schutz haben – das ist aber auf einen ersten schnellen Blick nicht zu finden.«
Auf die Frage, inwiefern es zu erwarten ist, dass sich diese Daten noch bis zum Ende der klinischen Studie ändern (weitere Endpunkte 12/24 Monate), antwortet Resch: »Es wird sich wahrscheinlich nicht mehr viel ändern und Pfizer könnte das Rennen gewonnen haben. Unklar ist jedoch, wie diese Impfung in der Schwangerschaft aufgenommen werden wird.«