Hilfe für benachteiligte Menschen |
Lukas Brockfeld |
09.06.2024 10:30 Uhr |
Der Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt soll einen besonders niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung bieten. / Foto: Unternehmensgruppe Hermann Friedrich Bruhn
Ein rasantes Apothekensterben, neue Versorgungsformen und ein hochumstrittenes Apothekenreformgesetz – der VdPP hatte auf seiner Fachtagung am Samstag viel zu besprechen. Einer der eingeladenen Referenten war Alexander Fischer, der sich als Geschäftsführer von »Gesundheit Billstedt/Horn« für die Gesundheitsversorgung sozial benachteiligter Menschen in Hamburg einsetzt. Fischer sprach vor allem über das Konzept des Gesundheitskiosks.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wollte mit seinem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) hunderte Gesundheitskioske in ganz Deutschland schaffen, die den Menschen in einkommensschwachen Stadtteilen einen besonders niedrigschwelligen Zugang zum Gesundheitssystem bieten sollten. Das Vorhaben war von Anfang an umstritten, Kritiker befürchteten die Schaffung teurer und unnötiger Parallelstrukturen. Die Kioske schafften es schließlich nicht in den Referentenentwurf des GVSG. Der VdPP kritisierte Lauterbachs Rückzieher schon im Mai.
Alexander Fischer verwies in seinem Vortrag auf das enorme Gefälle, das bei der Lebenserwartung in verschiedenen Hamburger Stadtteilen beobachtet werden kann. Die Menschen im Brennpunkt Billstedt werden demnach im Durchschnitt nur 71 Jahre alt, die Bewohner der wohlhabenden Viertel können dagegen mit mehr als 80 Lebensjahren rechnen. »Wir haben in einigen Stadtteilen einen hohen Migrationsanteil, viele Alleinerziehende und viele Kinder, das setzt die hausärztliche Versorgung unter Druck«, erklärte Fischer in seinem Vortrag.
In den sozialen Brennpunkten gebe es nur wenige Ärzte und andere medizinische Einrichtungen. Gleichzeitig falle es den Menschen, zum Beispiel aufgrund mangelhafter Deutschkenntnisse, schwer, den Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung zu finden. In den Gesundheitskiosken könnten sich die kranken Menschen dagegen ohne Termin auf Deutsch, Englisch, Portugiesisch, Russisch, Türkisch, Farsi und Dari beraten lassen. Bei ernsten medizinischen Problemen werden sie dann an kooperierende Ärzte oder Krankenhäuser verwiesen. Insgesamt gibt es fünf derartige Gesundheitskioske in der Hansestadt.
»Auch die Apotheken schicken immer wieder Patienten zu uns, beispielsweise wenn sie eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz wahrnehmen oder es Probleme mit der Sprache gibt«, sagte Fischer zur Zusammenarbeit der Gesundheitseinrichtungen vor Ort. Umgekehrt verweise man regelmäßig Patienten an die Apotheke, damit sie dort pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) oder Beratungen zu ihrer Medikation in Anspruch nehmen können.
Alexander Fischer ist vom Konzept des Gesundheitskiosks überzeugt. Ein relevanter Teil der Bevölkerung habe nur eine sehr eingeschränkte Gesundheitskompetenz und bisher fehlten adäquate Strukturen, um den Menschen ein entsprechendes Wissen zu vermitteln. »Es bedarf einer niedrigschwelligen Anlaufstelle, um Prävention und Gesundheitswissen zu vermitteln«, stellte Fischer zum Ende seines Vortrags klar.
Auch Sabine Haul kommt in ihrem Arbeitsalltag regelmäßig mit den besonderen Problemen benachteiligter Menschen in Kontakt. Auf der Fachtagung erklärte die Hamburger Apothekerin die Wichtigkeit der Apotheke in sozialen Brennpunkten: »Wir haben kulturelle, sprachliche und kognitive Barrieren und einen mangelhaften Zugang zur Gesundheitsversorgung. Überall da kann die Apotheke wahnsinnig viel leisten.« Die Offizinen seien eine wichtige niedrigschwellige Anlaufstelle, hätten eine hohe Fachkompetenz und ein enges Vertrauensverhältnis zu den Menschen vor Ort.
Sabine Hauls Apotheke bietet seit Jahren eine ausführliche Medikationsanalyse an, häufig besucht die Approbierte die Patientinnen und Patienten auch zu Hause. Auf der Fachtagung erzählte die Apothekerin von mehreren Patientinnen und Patienten, die beispielsweise aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters oder mangelhafter Kommunikation von Seiten der Ärzte die falschen Medikamente nähmen. »Diese Fälle zeigen, wo wir Probleme haben und wo die Apotheker unterstützen können«, so Haul.
Die Apothekerin erlebt bei ihren Hausbesuchen regelmäßig Probleme, die über die falsche Einnahme von Arzneimitteln hinausgehen. »In der Wohnung eines älteren Ehepaars lagen überall Kabel und Teppiche, die Sturzgefahr war also sehr erhöht. Hinzu kam die sprachliche Barriere. Die beiden wollten einen Antrag auf Schwerbehinderung stellen, hatten dabei aber keine Unterstützung.« In solchen Fällen könne sie die Angehörigen informieren oder eine Hilfseinrichtung einschalten.
Schon länger kann die »erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation« als pharmazeutische Dienstleistung (pDL) abgerechnet werden. Sabine Haul bedauerte auf der Fachtagung, dass die pDL bisher noch nicht so bekannt seien. Das sei schade, denn die Dienstleistungen könnten die interprofessionelle Zusammenarbeit fördern, andere Berufsgruppen für das Thema Medikation sensibilisieren, die Gesundheitskompetenz der Patienten erhöhen und die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern.
Die pDL haben für Haul das Potential, gleichermaßen die Offizinen und die Praxen zu entlasten. »Wir Apotheken sind Leuchttürme und die Zeit war noch nie so reif für pharmazeutische Dienstleistungen wie jetzt. Ich bin aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen sehr motiviert und hoffe, dass die notwendigen Veränderungen zugunsten der Patienten Wirklichkeit werden«, betonte die Apothekerin im Fazit ihres Vortrags.