Hetzkampagne gegen Apothekerin |
Alexander Müller |
29.09.2025 14:58 Uhr |
Apothekerin Uta Mühle wurde im Netz übel beschimpft – weil sie einen Reimport abgab. / © Privat
Eine Kundin machte Apothekerin Mühle auf das Video aufmerksam, das auf der Plattform Tiktok seit Wochen massenhaft aufgerufen und kommentiert wurde. Hochgeladen hatte es ein Kunde – oder besser Ex-Kunde – der St. Georg Apotheke bereits am 20. August. Inzwischen wurde das Video gelöscht.
Der großflächig tätowierte Mann mit freiem Oberkörper beschimpft in dem Beitrag die Apothekerin, von der er sich übervorteilt fühlt. Stein des Anstoßes: Bei der abgegebenen Packung handelte es sich um einen Reimport. Schon die kyrillischen Buchstaben auf der Verpackung regen den Mann auf, der recht offensichtlich der rechten Szene angehört.
Worüber er sich aber vor allem »auskotzen« will, wie er es nennt, ist der Preis. Während er für die Salbe für 10,53 Euro gezahlt hat, fand er unter einem Aufkleber den Aufdruck 2,28 Euro. »Diese Mistschweine! Da verdienen sie sowieso schon einen Haufen Geld mit kranken Leuten und dann wird man noch so verarscht. Diese dreckigen Mistratten«, so sein wütender Monolog. In die Apotheke würde er nicht mehr gehen. »Sind Verbrecher. Sind Juden«, poltert der Mann.
Schon die Verleumdung an sich fand Mühle heftig, doch was sie in den Kommentaren unter dem Video lesen musste, erschütterte die Apothekerin zutiefst. Mehr als 32.000 Mal sei das Video aufgerufen worden, 174 Kommentare hat sie vor dem Wochenende gesehen. Von üblen Beschimpfungen bis zu obszönen Gewaltaufrufen war alles dabei. Einige davon waren so konkret, dass sich Mühle außer Stande sah, am Wochenende ihren Notdienst zu verrichten. Die Kammer gewährte ihr die Befreiung.
»Das Schlimme ist, dass das so real ist«, sagt Mühle. Der Urheber des Videos wohne in der Nähe der Apotheke, auch einige der Hasskommentare kann Mühle ihren Kunden zuordnen. Deswegen will sie gegen die Verleumdung und die Hetzjagd vorgehen und Strafanzeige stellen. Selbst wenn das neuen Ärger bringen sollte: »Mein Anwalt sagt, eingeschmissene Scheiben könnten dann mein kleinstes Problem sein. Vielleicht könne ich dann nicht mehr hier leben. Aber dann ist das eben so.«
Die Apothekerin will den Hass nicht wortlos hinnehmen: »Es geht mir auch darum, die Gesellschaft zu sensibilisieren: Es kann jeden treffen.« Seit Generationen lebt die Familie in der Gegend, ist etabliert und die Apotheke ein fester Bestandteil der Gemeinde. Doch jetzt hat sie ihr Personal angewiesen, nur noch zu zweit in den Handverkauf zu gehen, vorsichtig zu sein und Auffälligkeiten sofort zu melden. Die Ortspolizei sei zum Glück ebenfalls nebenan.
»Ich liebe meinen Beruf, ich will nicht kuschen«, sagt Mühle. Und sie hat auch viel Zuspruch erhalten, von Kollegen, von Kammer und Verband, auch vom Bürgermeister. Ein Sprecher des Thüringer Apothekerverbands kündigte gegenüber der PZ an: »Das Video erfüllt aus unserer Sicht den Straftatbestand der Volksverhetzung. Wir werden das zur Anzeige bringen.«
Die Landesapothekerkammer Thüringen hat über die Gebietsvertrauensapothekerin von den Vorfällen erfahren. »Wir sind entsetzt, mit welcher Menschenverachtung hier agiert wird. In einer normalen Welt wäre der Patient in die Apotheke zurückgegangen und hätte sich beschwert, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt. Dann wäre die Sache sehr schnell zu klären gewesen. So aber muss eine Apothekerin nun um Leib und Leben fürchten, weil ein Mob im Netz nicht wirklich Antworten, sondern allein Empörung will«, so Kammer-Geschäftsführer Danny Neidel gegenüber der PZ. Und weiter: »Wir kennen Frau Mühle als engagierte Apothekerin, die selbst Kommunikationsschulungen angeboten hat, der es also wichtig ist, Sorgen und Nöte ihrer Mitmenschen zu verstehen. Dass sie nun einer solchen Bedrohung ausgesetzt wird, ist nicht hinnehmbar.«
Für Mühle ist jede Unterstützung wichtig. Thüringen zu verlassen, wäre ihre letzte Option. Ihre Hauptapotheke betreibt Mühle in Gotha. Vielleicht sei der Vorfall auch eine Chance, um auf die Zustände aufmerksam zu machen. »Ich weiß, dass sich hier viele radikalisiert haben, war aber trotzdem entsetzt, was heute alles salonfähig ist«, so die Apothekerin zu PZ.
Zwischenzeitlich hat sich auch Reimporteur Eurimpharm mit einer Stellungnahme geäußert: »Wir bedauern die Irritationen, die im Zusammenhang mit einer von uns gelieferten Fungoral® 2 % Creme entstanden sind«, heißt es in dem Schreiben, das der PZ vorliegt.
In einigen europäischen Ländern sei es gesetzlich vorgeschrieben, dass der Apothekenverkaufspreis direkt auf der Packung aufgedruckt sei. »Bei rund 80 Prozent unserer Produkte setzen wir neue Faltschachteln ein, bei etwa 20 Prozent – wie in diesem Fall – ist dies rechtlich nicht möglich«, so Eurimpharm weiter. In diesen Fällen wird der Preis dann überklebt.
Der kritisierte Preisunterschied ergebe sich aus der Preisspannenverordnung. Die einzige Alternative zu dem Produkt, das nur Eurimpharm importiere, sei die Creme Nizoral® 2%, die für knapp 15 Euro gelistet ist. Der Patient sei also sehr günstig versorgt worden, betont der Reimporteur. Das Unternehmen will trotzdem die Kennzeichnung der eigenen Produkte verbessern, um Missverständnisse künftig zu vermeiden. Auch wenn Mühle nachvollziehen kann, dass nicht alle ihre Kunden Reimporte und die Handelsvorschriften kennen – als Missverständnis würde sie den Vorfall nicht bezeichnen.