Herzinfarkt durch Pseudoephedrin? |
Die Herzstiftung rät von Pseudoephedrin-haltigen Erkältungsmitteln ab. Besser auskurieren und auf klassische Einzelwirkstoffe setzen, lautet die Empfehlung. / © Getty Images/Burak.Sur
Forschende des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) wollen eine mögliche Assoziation zwischen der Einnahme von Pseudoephedrin-haltigen Erkältungsmitteln und Herzinfarkten genauer untersuchen. Gefördert wird das Vorhaben unter anderem von der Deutschen Herzstiftung, die dazu eine Pressemitteilung herausgegeben hat. Bislang seien Einzelfallberichte von Herzinfarkten, Schlaganfällen und anderen schweren Ereignissen im Zusammenhang mit einer Pseudoephedrin-Anwendung auch bei jungen Menschen nur unzureichend untersucht.
»Wir wollen genau verstehen, für wen und unter welchen Voraussetzungen diese Mittel gefährlich werden könnten, um so gegebenenfalls Patienten besser zu schützen«, sagt Professor Dr. Heribert Schunkert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Aus epidemiologischen Studien sei bislang keine besorgniserregenden Wirkungen von Pseudoephedrin auf das Herz-Kreislauf-System bekannt gewesen, heißt es in der Pressemitteilung. »Gerade bei weit verbreiteten und rezeptfrei erhältlichen Erkältungsmitteln mit Pseudoephedrin ist eine fundierte Risikobewertung unerlässlich«, betont Schunkert.
Leiten wird die Studie Professor Dr. Thomas Eschenhagen, Institutsdirektor des Zentrums für Experimentelle Medizin und Institut für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie am UKE. Er habe als Experte für die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) den Fall eines 42-jährigen Mannes begutachtet. Dieser hatte nur 30 Minuten nach der einmaligen Einnahme eines Beutels des Erkältungspräparates Aspirin® Complex einen schweren Herzinfarkt erlitten, an dem er einige Tage später starb. Dazu verschickte die AkdÄ im Dezember 2024 eine Drug Safety Mail. Der Mann hatte zuvor keine Herz-Kreislauf-Probleme gehabt. Im Angiogramm nach dem Infarkt waren aber diffuse Spasmen der Herzkranzgefäße zu sehen. »Dieser Fall war der Anlass, mich intensiver mit der Materie zu beschäftigen«, so Eschenhagen.
»In der Literatur findet man seit Jahren ähnliche Fallberichte, oft bei zuvor völlig unauffälligen, häufig jungen Menschen«, berichtet der Pharmakologe. Der Zusammenhang zwischen Pseudoephedrin und Koronarspasmen sei plausibel: »Pseudoephedrin ist ein indirektes Sympathomimetikum, das – übrigens ähnlich wie Amphetamine, also etwa Ecstasy oder Kokain – zur Freisetzung des Neurotransmitters Noradrenalin führt.« Das wiederum verengt die Gefäße, was die gewünschte Wirkung für die Nasenschleimhaut und Nasennebenhöhlen ist, am Herzen aber gefährlich werden kann.
Gefäßspasmen durch Pseudoephedrin können auch im Magen-Darm-Trakt auftreten: 2019 gab es eine Warnung vor ischämischer Colitis. Auch Blutgefäße im Gehirn können betroffen sein: 2024 wurde im Zusammenhang mit Pseudoephedrin vor »Donnerkopfschmerz« und Gefäßschäden im Gehirn bis hin zum Schlaganfall gewarnt.
Da epidemiologische Studien keine ungünstige Wirkung von Pseudoephedrin auf das Herz-Kreislauf-System nachgewiesen hätten, sei klar, dass diese schweren Nebenwirkungen sehr selten sein müssen. »Eine naheliegende Erklärung ist, dass eine besondere – seltene – Genkonstellation existiert, die einzelne Menschen dafür besonders empfänglich macht«, vermutet Eschenhagen. »Nach genau dieser Genkonstellation wollen wir nun suchen.«
Die Herzstiftung erklärt das Vorgehen der Studie so: Zunächst müssten alle entsprechenden Fälle identifiziert werden. Dies sei schwierig, da die Einnahme frei verkäuflicher Erkältungsmittel bei einer Medikamentenanamnese nach einem Herzinfarkt bislang nicht routinemäßig erfasst wird. Am UKE werden seit einigen Monaten alle Patienten, die mit einem Infarkt eingeliefert werden, danach gefragt. Die Patienten füllen dafür einen Fragebogen mit Bildern aller entsprechenden Kombipräparate aus. Der Bogen darf gern auch von anderen Krankenhäusern genutzt werden, um die Datengrundlage zu erweitern.
Pseudoephedrin ist laut Herzstiftung in mindestens 15 frei verkäuflichen Erkältungsmitteln enthalten, neben Aspirin® Complex etwa auch in Boxagrippal®, Grippostad® Complex, Grippal Complex Doppelherz, RatioGrippal®, Wick® Duogrippal, Rhinopront® Kombi. Genaue Verkaufszahlen konnte die Herzstiftung nicht nennen, geht jedoch von hunderttausendfacher Anwendung in der Erkältungssaison allein in Deutschland aus.
Zugleich haben nun Mitarbeitende des Universitären Herz- und Gefäßzentrums begonnen, das eingelagerte Blut von Infarktpatienten der letzten Jahre, die am UKE behandelt wurden, auf Pseudoephedrin zu testen. Hatten sie auch Koronarspasmen, soll im Nachhinein wenn möglich eine genetische Testung stattfinden.
Das Studienziel sei, mindestens 20 Patienten zu finden, die nach Anwendung eines Pseudoephedrin-haltigen Präparats Gefäßspasmen erlitten haben. Aber auch mit weniger Fällen ließen sich bereits Aussagen zum genetischen Risiko machen, meint Eschenhagen – und hat bereits bestimmte Gene im Verdacht: »Es könnte sich um Genvarianten handeln, die zu einer Überaktivität der gefäßverengenden Signalwege oder auch einer Fehlfunktion der gefäßerweiternden Signale führen.«
Sollte sich diese Hypothese bestätigen, könnte ein Gentest entwickelt werden, der eine Anfälligkeit für schwere Nebenwirkungen unter Pseudoephedrin nachweist. Das könnte auch für andere Arzneistoffe mit verwandtem Wirkmechanismus relevant sein, etwa Triptane. Auch bei Rauschmitteln wie Kokain, Ecstasy und Crystal Meth könnte der Mechanismus relevant sein.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) schlug bereits 2024 risikominimierende Maßnahmen für schwere Nebenwirkungen von Pseudoephedrin vor. Es wurde bestätigt, dass diese Arzneimittel bei Patienten mit schwerem oder unkontrolliertem (nicht behandeltem oder therapieresistentem) Bluthochdruck oder bei Patienten mit schweren akuten oder chronischen Nierenerkrankungen oder Nierenversagen nicht angewendet werden sollen. »Vorsichtig sein sollten auch Menschen mit autonomer Dysfunktion, etwa bei Diabetes, Parkinson oder Autoimmunerkrankungen«, so die Herzstiftung.
Grundsätzlich ist Pseudoephedrin bei Erkältungen verzichtbar. Eschenhagen rät zu den klassischen Alternativen: »Auch ASS, Ibuprofen oder Paracetamol allein können bei grippalen Infekten das Fieber senken und Gliederschmerzen lindern. Und Nasensprays mit den Wirkstoffen Oxy- oder Xylometazolin können die Nase wieder frei machen.«
Zudem sieht er die aufputschende Wirkung des Pseudoephedrins kritisch: »Es ist die Frage, ob es der Genesung förderlich ist, wenn man dank der Mittel seine Alltagsaktivitäten unvermindert fortsetzt und dann vielleicht sogar eine Herzmuskelentzündung riskiert.«