Herz, Hand und menschliche Intuition bleiben gefragt |
Lukas Brockfeld |
25.04.2024 17:42 Uhr |
Schon heute werden KI-Anwendungen bei Untersuchungen und Behandlungen eingesetzt. / Foto: IMAGO/Sylvio Dittrich
Als Chat-GPT im Herbst 2022 der staunenden Öffentlichkeit präsentiert wurde, schien allen klar, dass künstliche Intelligenz die nächste große Innovation in der Computertechnik wird. Doch wie können KI-Anwendungen die Arbeit im Gesundheitswesen unterstützen? Der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Mieves traf sich heute mit dem Apotheker Marc Kriesten und mit Ana Dujić von der »Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft« des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu einem Fachgespräch. Später kamen noch weitere Expertinnen und Experten zu Wort.
Ana Dujić hob zunächst die große Bedeutung hervor, die künstliche Intelligenz in naher Zukunft erlangen dürfte: »Wir gehen als Bundesministerium der Arbeit davon aus, dass es bis zum Jahr 2035 keinen einzigen Job mehr gibt, der nicht ohne KI ablaufen wird.« Das bedeute nicht, dass beispielsweise eine Krankenschwester aufhöre, selbst die Patienten zu versorgen, aber sie könnte bei der Dokumentation ihrer Arbeit von einem KI-Assistenten unterstützt werden. In den kommenden Jahren müssten praktisch alle Menschen ein Grundverständnis für KI-Anwendungen erwerben, da diese in allen Arbeitsbereichen wichtig werde.
Einige Arbeitnehmer haben Angst, durch KI ihre Jobs zu verlieren. Dujić teilt diese Sorge jedoch nicht: »Wir brauchen diese Entwicklung. Wir haben gar nicht mehr genug Menschen, um alle Aufgaben zu verrichten.« Die Bundesagentur für Arbeit dürfte beispielsweise bis Ende des Jahrzehnts allein aus demografischen Gründen etwa 40 Prozent ihrer heutigen Beschäftigten verlieren. »Wir brauchen Technologie, um die personellen Lücken zu schließen.«
Im Anschluss erklärte Marc Kriesten das Potential von KI-Anwendungen in den Offizinen. Der Apotheker aus Dinslaken nutzt selbst bereits künstliche Intelligenz in seinem Arbeitsalltag. Er erklärte, dass die Apothekenteams mit »Painpoints« wie Bürokratie, Unterfinanzierung und fehlenden Fachkräften zu kämpfen haben. »Wir müssen uns unbedingt mit KI beschäftigen, weil sie ein Lösungsansatz für diese Themen sein kann«, betonte Kriesten.
Der Approbierte hat sich mithilfe von Chat-GPT einen Managment-Assistenten und einen KI-Apotheker gebaut. Letzterer wird allerdings nur zu Testzwecken eingesetzt. Seine Assistenzsoftware wurde mit den Daten seines Unternehmens und mit persönlichen Informationen trainiert und ist jetzt in der Lage, den Apotheker zum Beispiel beim Erstellen eines Vortrags zu unterstützen oder ein Marketingkonzept zu erstellen.
»Wir haben viele ausländische Fachkräfte, die eine gewisse Sprachbarriere haben. Polymedikationsberichte sind beispielsweise relativ komplex zu schreiben, da können große Sprachmodelle sehr hilfreich sein«, erklärte Kriesten. In Nordrhein habe man ein entsprechendes Projekt, das gut funktioniere. Der Apotheker stellte eine Reihe an Anwendungen vor, die beispielsweise bei der Preiskalkulation helfen, Telefonhotlines entlasten oder Hautkrankheiten erkennen können.
Das oberste Ziel sei es, Prozesse effizienter zu gestalten. So könnten die Menschen entlastet und die Qualität ihrer Arbeit gesichert werden. Doch die aktuellen KI-Anwendungen hätten auch ihre Probleme: »Die aktuellen Sprachmodelle basieren alle auf Deep Learning. Sie sind auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet und dabei intransparent. Wir können aktuell nicht nachvollziehen, wie und warum sie bestimmte Entscheidungen treffen. Das ist eine Black Box«, erläuterte Kriesten.
Künstliche Intelligenz werde immer für bestimmte Anwendungen trainiert und es sei schwer, sie auf veränderte Situationen anzupassen. Außerdem sei sie durch ihre Datengrundlage limitiert, die oft mit Verfälschungen und Vorurteilen belastet seien. »KI kann nicht fühlen und hat kein moralisches Urteilsvermögen. Wenn falsche Trainingsdaten drin sind, kann sie sogar halluzinieren«, erklärte der Apotheker. Er war sich daher sicher, dass »Herz, Hand und menschliche Intuition« noch lange gefragt sein werden.
Im Laufe des Fachgesprächs kam auch Felix Nensa, Radiologie-Professor an der Uniklinik Essen, zu Wort. Über die vor einigen Jahren populäre Vorstellung, dass KI den klassischen Radiologen überflüssig machen könnte, kann Nensa nur lachen: »Wir haben einen eklatanten Fachkräftemangel in der medizinischen Versorgung. Das System funktioniert nur noch, weil sich die Kolleginnen und Kollegen kaputt machen.«
Medizin sei eine »zutiefst menschliche Angelegenheit«, die jungen Fachkräfte wollten sich um andere Menschen in Not kümmern. Doch stattdessen würden sie 80 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Tätigkeiten wie Dokumentation verbringen. Das sei enorm frustrierend, viele würden daher ihre Arbeit im Gesundheitswesen aufgeben.
Jetzt könne man mit KI-Anwendungen dafür sorgen, dass Mediziner, Apotheker und Pflegekräfte sich wieder auf die Patienten konzentrieren können. »Dafür müssen wir aber auch die digitale Infrastruktur im Gesundheitswesen hinbekommen. Nur mit KI wird es nicht gelöst. Wir können KI nicht auf einem Faxgerät implementieren«, betonte der Professor.