Hersteller kritisieren BfArM für DiGA-Zulassung |
Jennifer Evans |
18.11.2022 10:30 Uhr |
Rund 40 digitale Gesundheitsanwendungen können die Ärzte ihren Patienten verschreiben. Das Verfahren dahinter läuft aber nicht immer rund. / Foto: Adobe Stock/tadamichi
Ärzte dürfen ihren Patienten seit einiger Zeit digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) verschreiben und die Kassen müssen dafür zahlen. Das hatte der Gesetzgeber 2019 im Digitale-Versorgung-Gesetz (DGV) geregelt. Inzwischen haben es knapp 40 DiGAs geschafft, in das sogenannte DiGA-Verzeichnis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu kommen. Das ist die Voraussetzung für die Erstattung der digitalen Anwendung. In einem Positionspapier zeigt der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) nun erhebliche Mängel beim derzeitigen Zulassungsverfahren auf und schießt dabei scharf in Richtung Zusammenarbeit mit dem BfArM.
»Die derzeitige Ausgestaltung und Interpretation des Verfahrens zur Aufnahme von DiGA in das DiGA-Verzeichnis hat zur Folge, dass die Integration in die Versorgung deutlich geringer ausfällt, als es möglich wäre«, heißt es in dem Papier. Digitale Anwendungen, die etwa die menschliche Komponente beinhalteten, hätten beim BfArM kaum Aussicht auf Erfolg. Gemeint ist, dass laut SVDGV derzeit vornehmlich ein medizinischer Endpunkt ausschlaggebend für die Listung ist, nicht aber die Verbesserung oder Koordination von Behandlungsabläufen. Das steht nach Auffassung des Verbands »im Widerspruch zur Intention des Gesetzgebers«. Unter anderem deswegen fordert er dringend eine Veränderung an der aktuellen Situation.
Fest steht: Zwischen Herstellern und BfArM scheint es beim Thema DiGA-Zulassung zu holpern. Es wundert den SVDGV nach eigenen Angaben kaum, dass es in den vergangenen Monaten kaum mehr eine digitale Anwendung auf die BfArM-Liste geschafft hat, einige sogar wieder davon gestrichen wurden. Vieles ist demnach auf die Abläufe und das Kommunikationsverhalten der Behörde zurückzuführen.
Generell hat das Bundesinstitut drei Monate Zeit, über die Aufnahme der Innovationen zu entscheiden. Doch Rückfragen oder Änderungsaufforderungen erhielten die Hersteller häufig erst gegen Ende dieser Frist, kritisiert der Verband. »Zur Beantwortung werden dann äußerst kurze Fristen von wenigen Tagen gesetzt, teilweise nur über das Wochenende.« Eine Behebung der Mängel sei daher oft nicht mehr möglich, insbesondere dann nicht, wenn der Hersteller für sein Produkt mit externen Partnern wie Universitäten oder Forschungsinstitutionen kooperiere.
Darüber hinaus seien die Anforderungen für die Listung in den vergangenen Monaten »deutlich gestiegen«, moniert der SVDGV weiter. »Während vor einem Jahr noch eine einarmige oder eine retrospektive Studie mit einer historischen Kontrollgruppe, zum Beispiel aus der Literatur, für einen DiGA-Antrag ausreichte, wird derzeit häufig eine kleine randomisierte Studie (randomized controlled trial, kurz: RCT) gefordert«, heißt es in dem Papier.
Auch bei etwaigen Fristverlängerungen haben die DiGA-Hersteller offenbar Probleme mit dem BfArM. Demnach verlängert die Behörde den Erprobungszeitraum zum Teil nur um einen kleinen Anteil der beantragten Zeit. Das sei nicht nur intransparent, sondern behindere auch die Planungssicherheit, weil den Herstellern grundsätzlich nur eine einmalige Verlängerung zustehe, beschwert sich die Interessensvertretung.
Darüber hinaus hält sich das BfArM laut dem Positionspapier nicht immer an das »vorab abgestimmte Evaluationskonzept« und verlangte nach SVDGV-Angaben bereits mehrmals zusätzliche Subgruppenanalysen. Da die Hersteller entsprechende Erhebungen allerdings meist nicht mehr kurzfristig umsetzen könnten, sei es in der Folge oftmals zur Ablehnung der Anträge gekommen.
Ein weiterer Dorn im Auge sind dem SVDGV die Anforderungen an die Vergleichsgruppen. Die DiGA-Verordnung sieht nämlich vor, dass bei einer vergleichenden Studie zum Nachweis eines positiven Versorgungseffekts die Vergleichsgruppe der Versorgungsrealität entsprechen muss. Allerdings kämen die DiGAs häufig dort zum Einsatz, wo bisher Versorgungslücken bestünden, bemängelt der Verband. In solchen Fällen würde die Versorgungsrealität also am besten durch die Nicht-Anwendung der DiGAs abgebildet. Analog zum Arzneimittelbereich wird dann häufig eine Verblindung der Studie mit einer placebobasierten Kontrollgruppe gefordert. Das ist in den Augen des SVDGV aber nicht sinnvoll: »Entweder wäre eine Placebo-App so schlecht, dass Studienteilnehmer:innen trotz Verblindung die Gruppenzuteilung leicht erkennen, oder sie wäre so gut, dass kein Placebo, sondern eine jedenfalls minimale (artifizielle) Intervention angewendet wird«, argumentiert der Verband.
Damit die Unsicherheiten des derzeitigen Verfahrens nicht weiter ein Existenzrisiko für die betroffenen Unternehmen darstellt, fordert der Verband konkrete Nachbesserungen, um das DiGA-Verfahren planbarer zu gestalten. Dazu gehört seiner Ansicht nach eine rechtlich bindende Vorabprüfung sowohl für DiGAs und DiPAs (digitale Pflegeanwendungen) als auch durch das BfArM sowie konkrete Fristen. Zudem müssten die Hersteller ausreichend Zeit haben, um umfangreiche Rückfragen detailliert und fundiert zu beantworten. Auch sollten künftig menschliche Leistungsanteile berücksichtigt werden – wie vom Gesetzgeber im Sozial Gesetzbuch (SGB V) vorgesehen. Und zuletzt regt der Verband noch eine bessere personelle Ausstattung des BfArM an, um dem erhöhten Arbeitsaufkommen »zuverlässig nachkommen zu können«.
Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung vertritt E-Health-Anbieter und -Förderer gegenüber anderen Partnern im Gesundheitssystem, der Politik und der Öffentlichkeit.