Hersteller: »Hype um Abnehm-Spritzen hat uns überrumpelt« |
PZ-Redakteurin Daniela Hüttemann hakte bei den Experte nach: Dr. Frank Ratter von Novo Nordisk, Apotheker Manfred Krüger und Oliver Stahl von Lilly (v.l.) / Foto: PZ/Alois Mueller
Bei den neuen Abnehm-Spritzen, die in den (sozialen) Medien zuletzt für viel Aufruhr gesorgt hatten, handelt es sich um synthetisch oder rekombinant hergestellte Peptide, die die Wirkung von Inkretin-Hormonen an den jeweiligen Rezeptoren nachahmen. Sie regulieren die Glucose-abhängige Ausschüttung von Insulin und Glukagon und beeinflussen somit den Blutzuckerspiegel. Gleichzeitig scheinen sie aber auch im ZNS ein Sättigungsgefühl auszulösen.
Aufgrund ihrer blutzuckersenkenden Wirkung kamen sie zunächst als Antidiabetika bei Typ-2-Diabetes auf den Markt. Man merkte jedoch schnell, dass die Patienten auch abnahmen. Daher kommen nun einige bekannte, aber auch neue Substanzen in nächster Zeit auf den Markt.
Zahlen des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass mit knapp 54 Prozent mehr als jeder Zweite übergewichtig ist. Und rund jeder Fünfte (19 Prozent) der Erwachsenen sogar als adipös gilt – Tendenz steigend. Vor dem Hintergrund des Versorgungsgenpasses bei Diabetes-Mitteln diskutierten auf der diesjährigen Expopharm in Düsseldorf Experten aus Industrie und Offizin im Rahmen des Formats PZ-Nachgefragt über den neuen Hype um die »Abnehm-Spritzen«.
Fest steht: Die Nachfrage nach Wegovy®, der Semaglutid-Variante als Adipositas-Mittel ist da. Das Präparat ist aber kaum zu bekommen. Der weltweite Off-Label-Use hatte die Hersteller nach eigenen Aussagen überrumpelt und die Heilberufler verärgert.
Sowohl Oliver Stahl, Leiter Corporate Affairs bei Lilly Deutschland, sowie Dr. Frank Ratter, Director Strategy Office & Medical Operations Diabetes & Obesity von Novo Nordisk, machten auf dem Podium keinen Hehl daraus, dass sie derzeit den Bedarf im Markt nicht decken können und entschuldigten sich für Lieferengpässe. Beide Unternehmen haben aber nach eigenen Angaben einen einstelligen Milliardenbetrag in die Hand genommen, um ihre Produktionskapazitäten auszubauen – und um künftig auch lagern zu können, denn im Moment geht alles sofort raus, was produziert wird.
Der Hype in den sozialen Medien sei aber nur eines der Probleme, die bei den Mitteln massive Lieferengpässe erzeugen. Alternative Märkte seien eine weitere Schwierigkeit. »Was nach dem Großhandel passiert, wissen wir nicht«, so Ratter. Viele Packungen tauchten plötzlich in Osteuropa wieder auf. Und es gebe keine Möglichkeiten, dem Schwarzmarkt einen Riegel vorzuschieben oder den Warenfluss anderweitig zu steuern.
Wie teilen die Hersteller aber nun ihre knappen Kontingente auf? Ratter zufolge stellt jede Landesvertretung der Unternehmen zunächst seinen eigenen Bedarfsplan auf. Bleibe die Nachfrage im üblichen Wachstumsrahmen und beim eigentlichen Indikationsgebiet, könnte Novo Nordisk die Patienten nach wie vor gut versorgen, hieß es.
Stahl bestätigte, dass Lilly ebenfalls die Anfragen aus allen Ländern gleichwertig behandle. Die weltweite Nachfrage habe das Unternehmen aber dennoch überrascht. Man könne derzeit nur bei den Ärzten dafür werben, vom Off-Label-Use abzusehen. »Alles andere ist außerhalb unserer Kontrolle.«
In der Praxis ist die Situation ein großes Ärgernis, wie der Apotheker Manfred Krüger von der Krefelder Linner Apotheke betonte. »Wir können keine Sicherheit mehr bieten.« Patienten ständig auf ein anderes Präparat umzustellen oder sie gar »auf eine Erlebnisreise von einer Apotheke in die nächste zu schicken«, um an das gewünschte Mittel zu kommen, hat in seinen Augen nichts mehr mit einer guten Diabetiker-Versorgung zu tun. Im Gegenteil: Er warnte sogar davor, dass die eingeschränkte Lieferfähigkeit viele Diabetes- und Adipositas-Patienten in ihren Therapieerfolgen wieder zurückwerfe, wenn sie auf Insulin umgestellt werden müssen.
Krüger wollte nicht einleuchten, wie die Konzerne so schlecht vorplanen konnten. »Der Bedarf ist doch klar gewesen«, sagte er. Der Ärger, der Apothekenteams durch die Engpass-Situation der Diabetes-Präparate entstehe, »macht keinen Spaß mehr«, betonte er. Stahl entgegnete, dass es eben »einen Moment« dauere, neue Fabriken hochzuziehen. »Schneller geht es nicht«, beteuerte er.
Angesichts der weltweiten Adipositas-Pandemie hält Krüger es für extrem wichtig, die Diabetes-Beratung als eine neue pharmazeutische Dienstleistung (pDL) einzustufen, die den Apothekerinnen und Apothekern künftig honoriert wird. Auch Ratter sieht die Pharmazeutinnen und Pharmazeuten in einer Schlüsselrolle beim Diabetes-Management und bekräftige, dass Novo Nordisk weiterhin eng mit ihnen zusammenarbeiten wolle. Auch Stahl schätzt »die kompetente Hilfe« aus den Vor-Ort-Apotheken und sprach sich dafür aus, dass grundsätzlich mehr in deren Ausbildung und Vergütung investiert werden sollte.
2007 kam mit Exenatid (Byetta®) von Astra-Zeneca der erste GLP-1-Rezeptoragonist als Diabetesmittel in Deutschland auf den Markt. 2009 folgte Liraglutid von Novo Nordisk unter dem Namen Victoza®, das 2015 als erster Vertreter seiner Wirkklasse auch bei Adipositas unter dem Namen Saxenda® zugelassen wurde. Das blieb aber relativ lang außerhalb von Fachkreisen unbeachtet.
Es folgten weitere Inkretin-Mimetika, darunter Dulaglutid (Trulicity®) von Lilly und zuletzt Semaglutid von Novo Nordisk. Es kam 2018 unter dem Namen Ozempic® als Antidiabetikum in Deutschland in die Apotheken.
Diese Medikamente (bis auf Saxenda®) sind ausschließlich für Menschen mit Typ-2-Diabetes gedacht und nicht als Mittel zum Abnehmen bei reiner Adipositas zugelassen. Trotzdem wurden und werden auch Ozempic und Trulicity dazu eingesetzt – ein Off-Label-Gebrauch, angefeuert auch durch Influencer und Promis wie Elon Musk. Durch die hohe Nachfrage kam und kommt es zu Lieferengpässen dieser Diabetes-Medikamente, auch in Deutschland.
Im Januar 2022 erteilte die EU-Kommission Novo Nordisk die Zulassung für Semaglutid unter dem Namen Wegovy® bei Adipositas. Die offizielle Markteinführung in Deutschland erfolgte allerdings erst anderthalb Jahre später, nämlich Mitte Juli dieses Jahres. Die Wegovy-Spritze muss ebenso wie Ozempic nur einmal die Woche vom Patienten selbst gespritzt werden, ist aber in der Erhaltungsdosis mindestens doppelt so hoch dosiert.
Mitte November 2023 soll mit Tirzepatid (Mounjaro®) von Lilly der erste duale Agonist auf den deutschen Markt kommen – vorerst nur in der Indikation Typ-2-Diabetes. Er ahmt nicht nur die Wirkung von GLP-1 (dem Glucagon-like Peptide 1) nach, sondern auch von GIP (Glucose-abhängiges Insulinotropes Peptid). In klinischen Studien war die Gewichtsreduktion noch einmal deutlicher als unter den GLP-1-Analoga.