Heparin-Spritze nach Kobrabiss? |
Sven Siebenand |
06.08.2024 15:30 Uhr |
Speikobras spucken zur Verteidigung und treffen dabei das Auge eines vermeintlichen Angreifers meist zielsicher aus einigen Metern Entfernung. Das Gift kann dann zu schweren Verätzungen der Hornhaut führen. Die Schlangen können aber auch zubeißen und dem Opfer ihr gefährliches Gift injizieren. / Foto: Adobe Stock/Craig
Kobras töten jedes Jahr weltweit Tausende von Menschen. Schätzungsweise Hunderttausend weitere werden durch Nekrosen infolge eines Kobrabisses schwer verletzt; oft muss der betroffene Körperteil amputiert werden. Wenn überhaupt vor Ort verfügbar, dann ist das Gegengift teuer und es wirkt nicht oder kaum gegen die durch den Biss verursachte Nekrose.
Die Entdeckung eines Teams um Tian Y. Du von der University of Sydney in Australien könnte das Ausmaß der durch Kobrabisse verursachten Gesundheitsschäden zukünftig deutlich reduzieren. Wie die Forschenden in der Fachzeitschrift »Science Translational Medicine« berichten, könnten zudem womöglich auch die Überlebensraten nach einem Schlangenbiss gesteigert werden, weil die Giftwirkung verlangsamt wird.
Im ersten Schritt ihrer Arbeit widmeten sich die Wissenschaftler der zytotoxischen Wirkung des Giftes der Roten und der Afrikanischen Speikobra auf humane Zellen. Das Team verwendete eine CRISPR-Technologie, um menschliche Gene zu identifizieren, die das Kobragift benötigt, um eine Nekrose zu verursachen. Dabei fand es heraus, dass das Schlangengift viel weniger wirksam war, wenn Gene ausgeschaltet waren, die für die Synthese bestimmter Proteoglykane wichtig sind. Insbesondere die Heparan/Heparin-Biosynthese fiel den Wissenschaftlern ins Auge. Heparan ist mit Heparin verwandt und befindet sich auf der Oberfläche vieler Zellen. Die Forscher vermuten, dass die Toxine hieran binden und die Zytotoxizität ins Rollen bringen.
Aus ihrer Beobachtung und der Tatsache, dass Heparan und Heparin sehr ähnlich aufgebaut sind, leiteten die Wissenschaftler die Hypothese ab, dass extern zugeführtes Heparin die Zellen vor dem Kobragift schützen könnte, indem es das Toxin bindet, bevor es an Heparan auf der Zelloberfläche andockt.
Tatsächlich konnten sie genau dies zunächst in Zellversuchen feststellen. Später injizierten sie Mäusen Schlangengift und behandelten sie gleichzeitig mit den niedermolekularen Heparinen Tinzaparin oder Dalteparin. Beide konnten das Ausmaß der Nekrose reduzieren. Tinzaparin war dabei erfolgreicher, weshalb sich die Wissenschaftler im nächsten Versuch auf Tinzaparin fokussierten. Sie injizierten den Mäusen erst das Kobragift und behandelten sie danach subkutan mit Tinzaparin. Auch dies reduzierte das Ausmaß der Gewebsnekrose deutlich.
Diese präklinischen Ergebnisse müssen natürlich noch in klinischen Studien bestätigt werden. In der Originalpublikation weisen die Forscher auch auf bestimmte Limitationen ihrer Arbeit hin, etwa die Tatsache, dass auch Tinzaparin Nekrosen nicht zu 100 Prozent verhindern konnte. Es ist also noch weitere Forschungsarbeit notwendig. Ebenfalls zu untersuchen ist, inwiefern der Einsatz von niedermolekularen Heparinen nach dem Biss dann zu Blutungsereignissen führen könnte.