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Take-Home-Naloxon

Heimvorteil bei Opioid-Überdosierung

Naloxon kann bei Opioid-Überdosierungen Leben retten – vorausgesetzt, es ist zur Hand. Das zu ermöglichen, ist das Prinzip von Take-Home-Naloxon. Die Maßnahme ist in Deutschland noch nicht flächendeckend etabliert, die Apothekerschaft könnte sich hier einbringen.
Christina Hohmann-Jeddi
07.07.2025  09:00 Uhr

Mit 2227 drogenbedingten Todesfällen lag die Zahl der Drogentoten im Jahr 2023 auf dem höchsten Niveau seit Beginn der Datenerfassung. Das geht aus dem aktuellen Bericht der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht zur Situation illegaler Drogen hervor, der im Dezember 2024 vorgestellt wurde. »Die Anzahl der drogenbedingten Todesfälle hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt«, berichtete auch Simon Fleißner von der Technischen Hochschule Nürnberg beim Jahrestreffen des Bundesverbands der Versorgungsapotheker (BVVA) Anfang Juni in Mainz. In etwa 36 Prozent der Fälle wurden Opioide allein oder in Kombination mit anderen Substanzen konsumiert.

Die rechtzeitige Anwendung des Opioid-Antagonisten Naloxon kann Todesfälle bei Opioid-Konsumenten verhindern. Naloxon hebt die Wirkung von Opioiden innerhalb von Minuten auf, indem er sie von ihren Rezeptoren verdrängt, was die Atemdepression beendet. »Wird die Substanz bei Überdosierungen eingesetzt, überleben etwa 98 bis 99 Prozent der Behandelten«, sagte Fleißner. Selbst wenn keine Überdosierung vorliegt, richtet die Anwendung keinen Schaden in Form von Nebenwirkungen an.

Ein entsprechendes Präparat muss aber im Notfall zur Hand sein. Hier setzt Take-Home-Naloxon (THN) an. Bei dieser Maßnahme wird der Konsumierende in der Handhabung des Präparats geschult und kann es dann mit nach Hause nehmen, um es bei Bedarf einsetzen zu können.

Das funktioniere nur, wenn der Konsument im Fall einer Überdosierung nicht allein ist, da er es sich nicht selbst verabreichen kann, betonte der Sozialarbeiter. Das sei aber häufig der Fall: Studien zufolge waren 30 bis 60 Prozent der Menschen mit letalen Überdosierungen nicht allein. THN gelte daher als Standard in der Versorgung von Opioid-Konsumierenden – wobei die Versorgung mit Naloxon in Deutschland aber noch kein Standard, sondern die Ausnahme sei.

Bundesweites Modellprojekt NALtrain 

Bisher werde THN vor allem von einzelnen Einrichtungen der Suchthilfe umgesetzt. Um Todesfälle wirksam zu verhindern, müsste es bundesweit etabliert werden. Hierzu wurde das vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) initiierte bundesweite Modellprojekt NALtrain gestartet, an dem Fleißner federführend beteiligt war. Bei dem Train-the-Trainer-Projekt, das von Juli 2021 bis Juni 2024 lief, erhielten insgesamt 870 Mitarbeiter aus fast 400 Einrichtungen der Drogen- und Suchthilfe oder Gefängnissen eine Ausbildung, um Konsumierende schulen zu können. Diese Schulung erreichte dann 2412 Konsumierende, von denen 1532 ein Naloxon-Präparat erhielten.

Hier zeigte sich bereits das erste Problem: Es sei schwierig, nach der Schulung ein Rezept für das verschreibungspflichtige Naloxon zu organisieren, berichtete Fleißner. Die Ärzteschaft sei damit sehr zurückhaltend. 

Wie viele Konsumierende sollten erreicht werden? Dem Referenten zufolge sollten etwa 30 Prozent der Opioid-Konsumierenden das Notfallmedikament zu Hause haben. »In Deutschland wären das 50.000 Menschen.« Von einer Sättigung in der Zielgruppe sei man somit noch weit entfernt. Der Suchtexperte beschrieb auch die Hürden: die noch bestehende Verschreibungspflicht für Naloxon, Widerstände in der Ärzteschaft und eine fehlende Finanzierung für die Schulungen und das Medikament.

OTC-Switch für Naloxon-Nasenspray

Bei der Verschreibungspflicht könnte sich bald etwas ändern. Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfahl am 21. Januar 2025 den OTC-Switch für Naloxon-Nasenspray zur Anwendung bei bekannter oder vermuteter Opioid-Überdosierung. Einen entsprechenden Referentenentwurf zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsordnung legte das BMG am 17. Juni vor.

Demnach soll Naloxon zur nasalen Anwendung aus der Verschreibungspflicht entlassen werden, »es sei denn, es handelt sich um von der Europäischen Kommission als verschreibungspflichtig zugelassene Arzneimittel«. Bislang sind in Deutschland noch keine entsprechenden OTC-Präparate auf dem Markt, in anderen europäischen Ländern gibt es sie aber bereits.

Der Referentenentwurf sieht zudem vor, dass Naloxon-Nasenspray als Rx für Einrichtungen der Drogen- und Suchthilfe, der Obdachlosenhilfe, des Strafvollzuges, der Zollbehörden, der Ordnungsbehörden und der Bundes- und Landespolizei verschrieben werden kann. »Dadurch wird ein vereinfachter Zugang zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Naloxon zur nasalen Anwendung geschaffen«, heißt es in dem Referentenentwurf. Ein entsprechendes Präparat ist in Deutschland verfügbar: Nyxoid® 1,8 mg von Mundipharma. Es ist EU-weit zentral zugelassen.

Netzwerkarbeit ausbauen, THN in die Breite bringen

Bis OTC-Präparate mit Naloxon zur nasalen Anwendung auf den Markt kommen, sei Netzwerkarbeit wichtig, um die organisatorischen Schritte – Ansprache und Schulung der Konsumierenden, Verschreibung des Präparats und dessen Abgabe in der Apotheke – zusammenzubringen, betonte Fleißner. Auch die bestehenden Vorbehalte in der Ärzteschaft müssten angegangen werden. Es sei wichtig, Institutionen wie Einrichtungen der Suchthilfe, die den Kontakt zur Risikogruppe haben, und die verschreibenden Ärzte in Kontakt zu bringen. Auch die Apothekerschaft könne hier eine Rolle spielen.

Bisher hätten die Apotheken es nicht geschafft, bei THN-Projekten in den Fokus zu kommen, merkte Tobias Bayer von der Röntgen Apotheke in Würzburg an, der die Veranstaltung moderierte. Dabei eigne sich dieses Thema, um sich als Gesundheitsversorger vor Ort zu profilieren – gegebenenfalls mit entsprechender Schulung als pharmazeutische Dienstleistung.

In der anschließenden Diskussion wurde klar, dass sich die Apotheke als eine zusätzliche Anlaufstelle Opioid-Konsumierende etablieren könnte. Apothekenteams könnten mit den Ärzten in der Umgebung sprechen, für THN werben und schließlich ein Training vermitteln, berichtete ein Teilnehmer aus Erfahrung. Dabei sei es aus Kostengründen für die Konsumierenden oder die Suchthilfe wichtig, dass Ärzte das Präparat auf Kassenrezept verordnen. Um THN in die Breite zu bekommen, sei der politische Wille nötig, sagte Bayer. Der OTC-Switch sei wichtig, aber nicht ausreichend.

Fleißner betonte, dass Apotheken eine entscheidende Rolle im THN-Konzept spielen könnten: In anderen Ländern wie Kanada und Australien seien Apotheken die Hauptabgabestellen für Take-Home-Naloxon – inklusive Kurzintervention zur Schulung der Konsumierenden.

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