Haseloff sieht Apotheken als Stützen der Demokratie |
Alexander Müller |
06.09.2024 11:50 Uhr |
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff zu Besuch in der Apotheke am Bahnhof in Halberstadt. / Foto: Staatskanzlei Sachsen-Anhalt/Matthias Bein
Haseloff erscheint überpünktlich, so ist in der Offizin noch Zeit für eine ausführliche Salmiak-Beratung. Der Ministerpräsident outet sich als Liebhaber und kauft großzügig ein. Die beratende PTA mahnt allerdings, dass zu viel Lakritz schlecht für den Blutdruck ist.
Während Haseloff sein Salmiak nascht, erklären Inhaber Grosch und seine stellvertretende Apothekenleiterin Susan Steinbrink die drängendsten Probleme im Alltag: die Lieferengpässe, die steigenden Kosten und die Bürokratie. Zur Veranschaulichung von letzterer wird ein ganzer Müllsack voll mit Nullbons herbeigeschleppt.
Apothekerin Steinbrink beschreibt anschaulich den großen Aufwand, den die Teams beispielsweise mit der Umstellung auf das E-Rezept schultern mussten und müssen – gerade in der Heimversorgung. Und auch die Herstellung von Fieberzäpfchen fresse viel Zeit, gehöre aber zu den Aufgaben einer Apotheke. Natürlich wird auch die Rezeptur besichtigt. Haseloff zeigt sich nach dem Rundgang und einem ausführlichen Gespräch mit dem Team beeindruckt. »Die Infrastruktur stimmt und die Motivation auch.«
Doch nach dem Gruppenfoto vor der Apotheke wird im Seminarraum der Offizin Tacheles geredet. Jens-Andreas Münch, Präsident Apothekerkammer Sachsen-Anhalt, und Ursula Gütle, Vorstand Landesapothekerverband Sachsen-Anhalt, sind zu Groschs Unterstützung gekommen und haben nun eine gute Stunde Zeit, um mit Haseloff über die aktuellen Herausforderungen zu sprechen. Als Vertreterin des Gesundheits- und Sozialministeriums ist außerdem Olivia Lange mit von der Partie.
Münch legte die aktuellen Zahlen zum Apothekensterben vor – 500 Betriebe weniger im vergangenen Jahr. »Und der Trend hat sich in den letzten zwei Jahren sogar noch beschleunigt.« Das Kernproblem sei die seit Jahren nicht erhöhte Honorierung. Immer öfter fänden die Inhaber keinen Nachfolger, weil der Nachwuchs das finanzielle Risiko verständlicherweise scheue, wenn auf der Habenseite nur ein Angestelltengehalt übrig bleibe.
Haseloff zeigte Verständnis für das Problem des Berufsstandes: »Wenn ich gegen das Apothekensterben vorgehen will, muss irgendwo ein Stabilisator eingebaut werden.« Er sieht die FDP besonders in der Pflicht, sich als Vertreter der Freien Berufe für die Apotheken stark zu machen. In Sachsen-Anhalt führt er seit 2021 eine Koalition aus CDU, SPD und FDP.
Im Bund plane Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aber nur eine Umverteilung beim Honorar, erklärte Münch. Und die werde gerade nicht zu mehr Gerechtigkeit führen. Über eine gezielte Stärkung von Landapotheken könne man reden. »Aber wir brauchen jetzt erst einmal eine Anpassung, um aus diesem Loch der vergangenen 20 Jahre herauszukommen«, so der Kammerpräsident.
Gütle rechnete vor, was die von Lauterbach geplante Absenkung des variablen Teils des Honorars für die Apotheken bedeuten würde. »Er koppelt uns noch mehr von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Wir sollen nur noch einen Aufschlag von 2 Prozent bekommen – der Staat verdient 19 Prozent daran.« Diese Zahlen stimmten den Ministerpräsidenten offensichtlich nachdenklich.
Apotheker Grosch erklärte in diesem Zusammenhang die Hochpreiser-Problematik: »Wir haben Rezepte im sechsstelligen Bereich und dann schwebt noch das Damoklesschwert einer Retaxation über uns.« Wenn die Apotheke zur Vorfinanzierung eines Hochpreisers ins Kontokorrent rutscht, zahle sie drauf, ergänzte Münch.
Im Gespräch mit Vertretern von Kammern und Verband sowie dem Landessozialministerium Sachsen-Anhalt wurden die zentralen Probleme der Branche besprochen. / Foto: Staatskanzlei Sachsen-Anhalt/Matthias Bein
Der größte Kritikpunkt an den Reformplänen aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist aber die »Apotheke ohne Apotheker«. Gütle räumte die aus ihrer Sicht falsche Erwartung des BMG ab, dass die PTA-Vertretungsregelung wirklich zu Einsparungen führen werde: »Eine PTA, die dann Verantwortung übernimmt, würde nicht zu einem Preis arbeiten, der unter dem eines Apothekers liegt.« Und überhaupt: »Einen Mangelberuf durch einen anderen zu ersetzen, ist keine Lösung.«
Haseloff hält ebenfalls nichts von der Idee, »durch Reduzierung des Spitzenpersonals« Geld zu sparen. Und der Ministerpräsident brachte selbst einen wichtigen Aspekt ein: »Was ist denn mit den Haftungsfragen? Die PTA benötigen dann doch eine Berufshaftpflichtversicherung.«
Abschließend wurde noch über die geplante Notfallreform gesprochen, die anders als das Apotheken-Reformgesetz sogar schon von Kabinett beschlossen wurde. Haseloff leuchtet überhaupt nicht ein, warum ein funktionierendes Modell der Notdienstversorgung auf diese Art infrage stellen soll. Er versprach, sich in Abstimmung mit den zuständigen Ministerien dafür einzusetzen, dass die Länder hier noch Einfluss nehmen könnten.
Nach seinem Apothekenbesuch betonte Haseloff die Bedeutung der Apotheken. Die Versorgung einer alternden Bevölkerung gerade im ländlichen Raum ist für den Ministerpräsidenten ein zentrales Zukunftsthema: »Wir haben hier einen der sensibelsten Bereiche, was die gesellschaftspolitische Stimmungslage anbelangt. Über solche Themen wird die Stabilität der Demokratie entschieden und ob bei zukünftigen Wahlen die Mitte überhaupt noch eine Mehrheit bekommt.«
Der Kontakt war über Groschs ehrenamtliches Engagement zustande gekommen. Die Apotheke hat sich auf die Versorgung von Patienten mit Multipler Sklerose spezialisiert und unterstützt die Selbsthilfegruppe. Zweimal im Jahr organsiert Grosch das Patientenforum – jeweils zu einem speziellen Aspekt der »Krankheit mit den tausend Gesichtern«. Bei der Jubiläumsveranstaltung – dem 30. Patientenforum – sprach in diesem Jahr Professor Tjalf Ziemssen von der Universität Dresden über »MS in der Forschung«. Am 27. November geht es in diesem Jahr um »MS im Alter« mit dem Neurologen Mike Matzke. Weil der Zuspruch zu den Veranstaltungen so groß ist, reicht der Seminarraum der Apotheke längst nicht mehr aus.
Grosch war einer von hundert Ehrenamtlern, die Anfang August für ihr besonderes Engagement ausgezeichnet wurden. Der Ministerpräsident war in Magdeburg zugegen und Grosch nutzt den Ehrenamtstag kurzerhand, um Haseloff in seine Apotheke einzuladen. Der sagte zu und hielt Wort.
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