Grundsatzstreit um Kammerbeiträge |
Alexander Müller |
19.06.2025 10:54 Uhr |
Die Bemessung der Mitgliedsbeiträge nach Umsatz sorgt für Diskussionen. / © IMAGO/IlluPics
Im November 2020 hat sich die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) eine neue Beitragsordnung verpasst. Seit Januar 2021 werden alle Umsätze zur Bemessung des Beitrags herangezogen, die vorherige Deckelung bei zwölf Millionen Euro Umsatz wurde gestrichen.
Natürlich führte die Umverteilung zu Streit. Die Verfechter der Regelung finden eine prozentual gleiche Bemessung aller Apotheken gerecht, die Gegner monieren, einzelne Apotheken müssten damit unverhältnismäßig hohe Beiträge zahlen. Einer dieser »Großapotheker« klagte gegen seine Beitragsbescheide, mit denen seit 2021 pro Quartal fünfstellige Beträge von ihm gefordert wurden. Vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf ging es konkret um die Jahre 2021 bis 2024.
Rechtswidrig sei daran vor allem, so das klagende Kammermitglied, dass die Beitragsbemessung an den Umsatz anknüpfe und nicht an den Ertrag. Nur letzterer bilde aber seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ab und könne Maßstab seiner Belastung mit Beiträgen sein.
Gerade in der spezialversorgenden Apotheke lägen die Umsatzrenditen rund zehn Prozentpunkte unterhalb gewöhnlicher Apotheken. Die unverhältnismäßig hohe Belastung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie das Äquivalenzprinzip. Denn eine Umverteilung zwischen reichen und armen Apothekern sei zwar im Steuerrecht zulässig, aber nicht im Beitragsrecht. Ungerecht empfand der Kläger auch, dass sich die Kammer bei Apothekern, die ihre Umsätze nicht mitteilten, an den Angaben der Finanzbehörden orientiere – also an den Gewinnen.
Die Kammer verteidigte die Bemessung der Mitgliedsbeiträge nach Umsatz. Und mit der Abschaffung der Beitragsdeckelung sei man dem Vorbild der benachbarten Kammer Westfalen-Lippe gefolgt – dort bestätigt vom Oberverwaltungsgericht Münster und genehmigt vom Sozialministerium als Aufsichtsbehörde. Für 98 Prozent der Apotheken sei die Regelung sachgerecht. Wenn der Kläger sich entscheide, durch das Zytostatika-Geschäft den normalen Betrieb einer Apotheke zu verlassen und ein mittelständisches Unternehmen mit Umsätzen jenseits der 50 Millionen Euro jährlich zu gründen, so trage er selbst die Verantwortung dafür.
Das zweite Kernargument des klagenden Apothekers: Die Aufhebung der Kappungsgrenze sei unverhältnismäßig, weil sie nicht zur Sicherung des Haushalts der Beklagten erforderlich gewesen sei.
Die Kammer entgegnete, dass sie im Gegensatz zu den Haushaltsgesetzgebern in Bund, Ländern und Kommunen kaum auf Kredite zurückgreifen könne. Die Haushaltsdeckung habe daher einen besonders hohen Stellenwert. Die eigene Haushalts- und Kassenordnung sehe eine Mindestrücklage in Höhe von Betriebsmitteln für sechs Monate vor.
Doch das Gericht folgte der Argumentation der AKNR nicht und verwies auf die strengen Grundsätze der Rechtsprechung zur zulässigen Rücklagenbildung. Denen würden die Haushaltspläne der Kammer für die Jahre 2021 bis 2024 nicht gerecht, weil die finanziellen Rücklagen dem Gebot der Schätzgenauigkeit nicht entsprächen. Zwar darf sich eine Prognose im Nachhinein als falsch erweisen, zu ihrer Zeit – »ex ante« – muss sie aber sachgerecht und vertretbar sein.
Rücklagen müssen laut Urteil an einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gebunden sein. Eine Überbrückung von Einnahmeverzögerungen oder -ausfällen wäre ein solcher Zweck, solange dies in angemessener Höhe erfolgt – sonst ist es eine unzulässige Vermögensbildung. Ein Haushaltsplan kann laut Gericht sogar rechtswidrig sein, wenn eine überhöhte Rücklage beibehalten wird.
50 Prozent des Jahreshaushaltes pauschal auf die hohe Kante zu legen, geht aus Sicht des Gerichts zu weit. Die Kammer müsse stets im Einzelfall prüfen, ob die allgemeine Rücklage, die sie für ein Haushaltsjahr vorsieht, durch entsprechende Finanzrisiken gerechtfertigt ist. »Eine Kalkulation der allgemeinen Rücklage hat nicht stattgefunden, wäre aber geboten gewesen«, so das Gericht.
Die Kammer hatte argumentiert, sie benötige die allgemeine Rücklage, weil es gerade bei großen Apotheken, deren Jahresabschlüsse nicht rechtzeitig fertig würden, zu verspäteter Mitteilung der relevanten Jahresumsätze und damit auch zu einer verspäteten Berechnung der fälligen Beiträge komme. Das komme zwar vor, so das Gericht, dennoch flössen der Kammer in dieser Zeit ja Mittel zu. Einen konkreten Bedarf habe die Kammer im Verfahren jedenfalls nicht dargelegt.
Die »Verlustrücklage« ist für drohende Einnahmeausfälle oder Kostensteigerungen vorgesehen, wenn Apotheken schließen oder ihre Beiträge nicht zahlen. Dafür hält die Kammer rund ein Viertel der erwarteten Beitragszahlungen vor. »Konkrete Hinweise auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Apotheken, beziehungsweise ein Apothekensterben in dieser Größenordnung hat die Beklagte jedoch nicht benannt«, so das Gericht, dem eine tragfähige Begründung für die Ausgleichsrücklage insgesamt fehlte.
Ausgleichsrücklagen in Höhe von 15 Prozent seien in der Rechtsprechung gebilligt, so das Gericht, teilweise würden auch 30 Prozent noch als angemessen betrachtet. 54 Prozent der erwarteten Ausgaben für das Jahr 2021 als Absicherung wie bei der AKNR erscheine dagegen nicht gerechtfertigt. Auch für die folgenden Beitragsjahre stellte das Gericht ein Missverhältnis zwischen den Rücklagen und der finanziellen Absicherung fest. Die Gesamtrücklagen entsprachen in diesen Jahren jeweils über 60 Prozent der geplanten Ausgaben. Dass die Kammer sogar einen unplanmäßigen Beitragszuwachs nutzte, um ihre Absicherung weiter zu erhöhen, war für die Richter nicht nachvollziehbar.
Der rechtliche Spielraum einer Heilberufskammer sei auch nicht wegen des betreuten Versorgungswerks größer. Schließlich sei die Haftung der Kammer für Verbindlichkeiten der Einrichtung ausdrücklich ausgeschlossen – und tatsächlich spielten Rücklagen für das Versorgungswerk im Kammerhaushalt keine Rolle, auch nicht in den Krisenjahren.
Aufgrund der zu hohen Rücklagen ist laut Urteil »die den Haushaltsplänen zugrundeliegende Ermittlung des Beitragsbedarfes der Beklagten nicht haltbar«. Entsprechend seien auch die Beitragsbescheide des klagenden Apothekers aufzuheben.
Die Kammer hatte noch vorgebracht, es bestehe allenfalls Anspruch auf eine Korrektur der Beitragsbescheide im Umfang des Anteils an den beanstandeten Rücklagenpositionen. Doch diese Berechnung sah das Gericht nicht als seine Aufgabe an und würde sie auch für einen Eingriff in die Selbstverwaltung der Kammer halten.
Offen ließ das Gericht damit auch die Kernfrage: Ob die Beitragsbemessung anhand der Umsätze zulässig ist oder ob sie an den Erträgen anknüpfen müsste. Immerhin könne sich die Kammer aber auf einige gerichtliche Entscheidungen berufen, die das aktuelle Vorgehen für rechtlich zulässig gehalten hätten, heißt es im Urteil.
Gegen die Entscheidung kann innerhalb eines Monats die Berufung beim Oberverwaltungsgericht Land Nordrhein-Westfalen in Münster beantragt werden. Für die nicht beklagten Beitragsbescheide hat das Verfahren im Übrigen keine Bedeutung – was für die Kammer immerhin eine beruhigende Tatsache ist.