Großes Protest-Finale in Dresden |
Ein »Weiter so« gibt es nicht mehr: Tausende Apothekenmitarbeitende aus der Region »Ost« kamen heute nach Dresden. / Foto: PZ/Tebroke
Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) unterstützt die Forderungen der Apotheker. Köpping dankte den Apotheken bei der Kundgebung auf dem Dresdner Theaterplatz für das, was sie für die Gesundheitsversorgung tagtäglich leisteten und auch für ihre Unterstützung in Pandemiezeiten und beim Thema Lieferengpässe. »Ich bin heute hier, weil auch ich Sie unterstützen will«, so die Ministerin. »Ich habe gut zugehört, was Sie eben gesagt haben, und Sie haben meine volle Unterstützung! Ausnahmslos!«
Mit Blick auf die Forderung nach mehr Honorar und auf das Problem Fachkräftemangel betonte sie, die Apothekerschaft könne versichert sein: »Wir nehmen Ihre Anliegen wirklich sehr ernst. Nehmen Sie unsere Unterstützung gerne mit.« Köpping unterstrich, dass der Stau in der Gesundheitsversorgung sehr groß sei. »Wir müssen das nach und nach abarbeiten.« Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) habe dicke Bretter zu bohren, denn man müsse bedenken: »Es ist einfach viele viele Jahre nichts passiert«, worauf Pfeifen und Applaus einsetzte. Die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) habe das Thema der Apotheken wirklich auf der Agenda, »wir als Gesundheitsminister, wir werden uns für Sie einsetzen«, versicherte Köpping.
Ja, sie sei definitiv auch für eine Honorarerhöhung. »Ich finde, man kann das nicht immer über einen Kamm scheren.« Sicherlich hätten große Apotheken einen einträglichen Umsatz, aber die kleinen Apotheken seien es, die unter die Räder kämen. »Und das kann man eben nicht alles gleichsetzen. Deshalb braucht es eine Honorarerhöhung.«
Anke Rüdinger, Vorsitzende des Berliner Apotheker-Vereins, betonte, für sie wolle sich eine vorweihnachtliche Stimmung nicht einstellen, denn die Apotheken erstickten in Arbeit. Während der Pandemie kamen sie teils an die Grenzen ihrer Kräfte, »nebenbei« hätten sie ihre eigentliche Arbeit erledigt und so die ambulante Versorgung gesichert. »Das ist unsere Aufgabe, unser Beruf, unsere Berufung!«, sagte sie und erntete Applaus. Der Dank dafür sei, dass die Bundesregierung das Honorar in Form des erhöhten Kassenabschlags gekürzt habe. So krass sei das Missverhältnis, dass man die Bundesregierung eigentlich fragen wolle: »Geht es noch? Kriegen Sie eigentlich noch etwas mit?«
46 Cent subventionierten die Apotheken pro Rx-Packung, »das kann doch nicht wahr sein«, so Rüdinger. Ob Lauterbach glaube, dass die Apotheken wegen Reichtums schlössen? 2700 Apotheken hätten seit 2015 für immer geschlossen, jede zehnte sei defizitär. Doch die Bundesregierung sehe weiter keine Gründe für eine Anpassung des Fixums. Wie viele Apotheken müssten eigentlich noch vom Netz gehen?
Die politische Untätigkeit schade dem Ansehen der Demokratie, die Apotheken sorgten hingegen täglich dafür, dass der soziale Frieden gewahrt werde. Lauterbach sei monatelang nicht zu sprechen gewesen für die, die im Gesundheitswesen tätig seien. »Wir stehen hier nicht zum Spaß, sondern weil wir keine andere Wahl haben! Wir werden nicht locker lassen«, versprach sie.
Sachsens Kammerpräsident Göran Donner betonte, er wolle über mögliche Reformpläne nicht mehr über die Medien unterrichtet werden. Im Übrigen gehörten solche Pläne wie die zu den Apotheken light »in den Schredder«. Die Arzneimitteltherapie den Patienten zu erklären, ihnen zu helfen, darum gehe es. Das und noch vieles mehr sei es, was den Apothekerberuf auszeichne. »Lassen Sie die bewährten Strukturen in Ruhe«, adressierte Donner an die Politik. Man sei zwar heute am Ende des Protestmonats, »aber wir sind noch lange nicht fertig!«, rief er. Und unterstrich in Richtung Politik: »Wir haben keine Wünsche, wir haben Forderungen!«
Ein »Weiter so« sei mit den Apotheken nicht mehr zu machen, hatte Thomas Dittrich, Vorsitzender des Sächsischen Apothekerverbands (SAV), einleitend auf der Bühne vor der Dresdner Semperoper betont. Bei sonnig-kaltem Winterwetter kündigte der Verbandschef an, heute, am 29. November 2023, würden die Apotheken den Schlusspunkt der Novemberproteste setzen. »Und es wird dank Ihnen ein lauter und deutlicher sein«, rief er in die Menge.
Dittrich begrüßte die Apothekenteams aus Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt sowie Sachsen. Die Apotheken zählten wie 99,5 aller Unternehmen in Deutschland zu den kleinen und mittleren Unternehmen, gehörten mithin zum Mittelstand, der das Rückgrat der Wirtschaft in Deutschland bilde. Heute kämpften sie um den langfristigen Erhalt der Versorgungssicherheit der Bevölkerung, so Dittrich.
Denn obwohl es »in Zeiten wie diesen« eigentlich selbstverständlich sein müsse, dass der Mittelstand gestärkt werde, verweigere die Bundesregierung Antworten auf die Forderungen der Apotheken. Es sei ein Trugschluss zu glauben, dass die Probleme einfach ausgesessen werden könnten, so Dittrich. Dennoch stellten sich das Bundesgesundheitsministerium, der Minister und die Bundesregierung blind und taub dafür. »Deshalb versammeln wir uns vor der beeindruckenden Kulisse der Semperoper und sind nicht zu übersehen und vor allem nicht zu überhören!«, rief Dittrich. In der Tat war die Pfeif- und Applauskulisse der laut Veranstalter rund 3500 Protest-Teilnehmenden mitunter ohrenbetäubend.
Für fast alle Bereiche habe es deutliche Lohnerhöhungen gegeben, die angesichts explodierter Preise auch berechtigt seien. »Für uns soll der Ausgleich für die enorm gestiegenen Kosten nicht gelten? Warum nicht?«, fragte Dittrich. Die Apotheken wollten ihren staatlichen Versorgungsaufrag mit Engagement erfüllen, doch ohne angemessene Finanzierung gehe es nicht. Deshalb müsse das Fixum von 8,35 auf 12 Euro angehoben und dynamisiert werden.
Denn dass 8,35 Euro die fixen Kosten decken sollten, sei »ein Märchen, aber kein schönes«. Der »Gipfel der Ignoranz« sei das Lieferengpassgesetz (ALBVVG), das eine 50-Cent-Pauschale für das Lieferengpassmanagement vorsieht. Apotheken entstünden durch Engpässe ein jährlicher Aufwand von 5,6 Millionen Stunden unbezahlter Arbeit, so Dittrich. Bei einem rechnerischen Zeitaufwand von rund 6 Stunden in der Woche pro Apotheke (diese Zahl basiert laut Dittrich auf einer europäischen Studie zum Zeitaufwand beim Engpassmanagement) bedeuteten die 50 Cent einen Stundenlohn von 1,62 Euro. Das liege noch unter dem Mindestlohn von Albanien. »Das ist vollkommen inakzeptabel!«, so Dittrich.
Unterstützung kam auch aus der Landespolitik. Per Video aus Wien zugeschaltet, kritisierte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), dass die Bundesregierung an allen Ecken und Enden spare und das Thema Versorgung offenbar keinen Wert habe. »Dann passiert eben genau das«, so Kretschmer mit Verweis auf die anhaltenden Lieferengpässe. Apothekerinnen und Apotheker liebten ihren Beruf, müssten aber täglich mit überbordender Bürokratie und anderen Widrigkeiten kämpfen. »Was Sie jeden Tag erleben, ist symptomatisch für die Bundesrepublik«, so Kretschmer. Die Apotheken sollten am Ball bleiben. »Sie kämpfen für das richtige Ziel, ich bin an Ihrer Seite«, versicherte Kretschmer.
Alexander Dierks, Generalsekretär des CDU-Landesverbands Sachsen, betonte, angesichts der gestiegenen Preise und Löhne sei es wichtig, dass auf Augenhöhe besprochen werde, wie die Vergütungssituation der Apotheken verbessert werden könne. Es sei »ungeheuerlich« gewesen, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Mitte Juni beim bundesweiten Apotheken-Protesttag für die demonstrierenden Menge vor seinem Ministerium nur einen Twitter-Kommentar übrig gehabt habe. »Das ist einfach kein guter Stil«, so Dierks.
Susanne Schaper von der Linken im Sächsischen Landtag erteilte den geplanten »Apotheken light« eine Absage. Gerade im ländlichen Raum, wo oft Hausarztpraxen fehlten, seien es doch die Apotheken, die umfassend beraten könnten. Was denn »der Mist« mit den abgespeckten Filialapotheken solle, »damit wird es nicht funktionieren«, so Schaper. Die Apotheke light stärke die flächendeckende Versorgung nicht wie von Lauterbach propagiert, »sie schwächt sie«.
Unterstützung gab es auch aus der Thüringer Landespolitik. Robert-Martin Montag, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Thüringer Landtag, und seine Kollegin Babette Pfefferlein, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, zeigten großes Verständnis für die Forderungen der Apothekenteams. Beide erteilten dem Konzept »Apotheke light« eine Absage. Montag setzt sich zudem verstärkt für Bürokratieabbau ein, denn manche bürokratischen Vorgaben verhinderten eine Apothekenübernahme, weil sie aufgrund vorgeschriebener Raumgrößen oder barrierefreiem Zugang vom Nachfolger massive Umbauten erfordern. Um Apothekenschwund aufgrund solcher formaler Vorgaben zu vermeiden, sollten Abweichungen von der Apothekenbetriebsordnung zulässig sein, so Montag.
In den fünf Ost-Bundesländern bleiben heute Tausende Apotheken geschlossen. Die Mitarbeitenden sind nach Dresden gereist, um gegen die aktuelle Sparpolitik der Bundesregierung zu protestieren und für mehr wirtschaftliche Stabilität der öffentlichen Apotheke zu kämpfen. Der Protest richtet sich vor allem gegen die Pläne von Bundesgesundheitsminister Lauterbach. Dieser will mit Apotheken light, also Filialen mit PTA-Vertretung ohne Approbierte, ohne Notdienst und Rezepturerstellung gegen das fortschreitende Apothekensterben angehen. Die Apothekerschaft hält diese Pläne für kontraproduktiv und realitätsfern. Sie fordern stattdessen, endlich das Apothekenhonorar zu erhöhen und die Apotheken wirtschaftlich zu stabilisieren.