Große Sorgen um das deutsche Gesundheitssystem |
Viele Menschen haben das Gefühl, dass die Gesundheitsversorgung teurer und schlechter wird. / © imago/Jochen Tack
Die Deutschen blicken offenbar mit Skepsis auf die Koalitionsgespräche in Berlin, wenn sie an das Thema »Gesundheit und Pflege« denken: 85 Prozent von ihnen glauben, dass dieses Thema in den aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD zu kurz kommt. Lediglich acht Prozent gehen vom Gegenteil aus. Das ergab eine aktuelle, repräsentative Forsa-Umfrage für den Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK). Für die Umfrage wurden 1000 Menschen über 18 Jahren zu den Themen Pflege, Finanzierung und Zukunft der Versorgung befragt.
Dringenden Handlungsbedarf sehen die Bürgerinnen und Bürger demnach bei den stark steigenden Krankenkassenbeiträgen: Immerhin 91 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass trotz steigender Kassenbeiträge die Qualität der Gesundheitsversorgung gleichbleibt oder sogar noch schlechter wird. Von der Politik erwarten sie eine gerechtere Finanzierungsstruktur.
42 Prozent wollen laut der Umfrage, dass versicherungsfremde Leistungen, also Leistungen, die nicht in direktem Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung der Versicherten stehen, aus Steuermitteln finanziert werden. 81 Prozent sprechen sich dafür aus, dass die Krankenkassen das Recht erhalten sollten, gegen die zweckfremde Verwendung ihrer Gelder durch die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen.
»Bei den GKV-Finanzen sitzen wir auf einem Pulverfass und die Lunte ist extrem kurz: politisch gewollt gibt es kaum noch finanzielle Spielräume, die Beitragszahler müssen staatliche Aufgaben finanzieren und gleichzeitig laufen die Ausnahmen ungebremst davon. Den Verhandlern muss jetzt klar sein, dass der Koalitionsvertrag eine Explosion verhindern und endlich Entlastung für die Versicherten und die Wirtschaft bringen muss«, so Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes, in einer Pressemitteilung.
Die schwierige Situation in der Pflege ist scheinbar in den Köpfen und Geldbeuteln angekommen: 54 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind besorgt oder sehr besorgt, im Falle einer Pflegebedürftigkeit nicht angemessen versorgt zu werden. Und 64 Prozent machen sich Sorgen oder große Sorgen, dass sie im Falle einer eigenen Pflegebedürftigkeit in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, etwa durch den Eigenanteil in Pflegheimen. Die Erhebung ergibt auch eine klare Forderung an die künftige Bundesregierung: 92 Prozent der Befragten sprechen sich für die Einführung eines Pflegelohns für pflegende Angehörige aus.
»Diese Umfrageergebnisse zeigen, wie sehr die Frage nach der Zukunft und Finanzierbarkeit der Pflege die Menschen verunsichert«, sagt Klemm. »Wir brauchen dringend eine Reform in der Pflege, die Menschenwürde und Finanzierbarkeit vereint – und keinen Koalitionsvertrag nach dem Motto ›Viele Wege führen nach Rom!‹, der die Pflege mit zwei floskelhaften Sätzen abspeist. Erst Zielvorgaben machen und dann vier Jahre lang überlegen, wie wir dorthin kommen, wird nicht länger funktionieren. Die Zeit für Absichtserklärungen ist vorbei.«
Geht es nach den Bürgerinnen und Bürgern, muss die Prävention in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen als bisher: 77 Prozent der Befragten fordern, dass die Erhaltung der Gesundheit und die Vermeidung von Krankheiten einen größeren Stellenwert bei den Leistungen der GKV haben soll. Derzeit fließen nur rund drei Prozent aller Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen in Prävention.
»Jedes Jahr sterben in Deutschland mehr als 120.000 Menschen, weil Prävention nicht ernst genug genommen wird«, erläutert BKK-Chefin Klemm. »Damit muss endlich Schluss sein. Prävention gehört ganz oben auf die Prioritätenliste und fest in allen Politikfeldern verankert, damit die Menschen gar nicht erst krank werden. Schon allein deshalb muss das Thema Gesundheit jetzt prominent und ernsthaft auf den Verhandlungstisch der Koalitionsgespräche kommen«.
Zudem, so die Ergebnisse der Umfrage, sollte die Vergütung der Leistungserbringenden für medizinische Behandlung vorrangig von der Qualität abhängen: 59 Prozent der Befragten sprechen sich demnach für eine qualitätsabhängige Vergütung aus. Viele der Befragten wünschen sich außerdem eine Integrierte Versorgung: 82 Prozent plädieren für eine Verpflichtung aller medizinischen Bereiche, die Behandlung und Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten gemeinsam und abgestimmt zu erbringen.