Gossip hat eine wichtige Funktion |
| Jennifer Evans |
| 18.03.2024 07:00 Uhr |
Plausch beim Friseur: Überall auf der Welt gibt es Klatschtanten und -onkel. Auf dem Land begegnet man ihnen laut einer Studie etwas häufiger. / © Getty Images/Cat Gwynn
Tratscherei und Gerüchte haben ein schlechtes Image. Dennoch ist dieser Zeitvertreib weltweit zu beobachten – unabhängig von Alter, Geschlecht, Kultur und sozioökonomischem Status. Im Schnitt verbringt jeder Mensch eine Stunde am Tag damit, über andere zu reden.
Ein Wissenschaftsteam der US-amerikanischen Universitäten Maryland und Stanford ist aufgrund seiner Untersuchungen der Ansicht: das Gerede über andere ist nicht pauschal schlecht. Der Informationsaustausch über eine nicht anwesende Person kann nämlich deren Ruf formen. Und dieses Wissen können die Empfänger der Klatschgeschichten dann nutzen. Etwa dazu, um besser einzuschätzen, ob sie mit bestimmten Menschen enger in Kontakt treten oder diese lieber meiden wollen.
»Wenn Menschen wissen wollen, ob jemand ein guter Gesprächspartner ist, und wenn sie diese Informationen aus Klatsch erhalten können – vorausgesetzt, die Informationen sind ehrlich – kann das sehr nützlich sein«, betonte Dana Nau, Mitautor der Studie und emeritierter Professor vom Fachbereich Computer Science and Institute for Systems Research der Universität Maryland.
Ein Rätsel für die Wissenschaft war aber bislang, welchen Benefit die Klatschtanten oder -onkel selbst von ihrem Verhalten hat? Dient Klatsch dazu, sich selbst zu schützen oder um andere auszunutzen? Um das zu verstehen, arbeitete das Forscherteam mit einem Modell, das menschliche Entscheidungsfindung nachahmte. Ziel war es herauszufinden, welche zwischenmenschliche Interaktion eine Person dazu veranlasst, ihr Verhalten zu verändern, um eine Belohnung zu erhalten. Mit anderen Worten: In welchen Fällen kooperierten die Empfänger mit den Klatschtanten, wendeten sich von ihnen ab, wurden selbst zu Klatschtanten oder änderten ihre Strategie, weil sie Vorteile erkannten? Am Ende der Simulation waren übrigens 90 Prozent der virtuellen Probanden zu Klatschtanten und -onkeln geworden.
Das Forscherteam nimmt an, dass Menschen in Anwesenheit eines ihnen bekannten Informationsverbreiters eher zur Kooperation bereit sind – motiviert davon, ihren eigenen Ruf zu schützen. Für den Tratschenden selbst kann diese Kooperation eine Belohnung darstellen. Nau: »Wenn andere Leute sich von ihrer besten Seite zeigen, weil sie wissen, dass Sie tratschen, werden sie eher mit Ihnen zusammenarbeiten.« Ein Pluspunkt für die Klatschtanten. Und diese Belohnung wiederum inspiriert laut dem Wissenschaftler dann andere Menschen dazu, ebenfalls zu tratschen.
Heraus kam bei der Untersuchung auch, dass negativer Klatsch eine abschreckende Wirkung auf die Empfänger hatte. Und da sie selbst in Zukunft nicht gleichermaßen der Gerüchteküche zum Opfer fallen wollten, gaben sie sich zum Beispiel weniger egoistisch. Angesichts der Fähigkeit, das Verhalten anderer zu beeinflussen und damit mehr Kooperation in eine Gemeinschaft zu bringen, haben Klatschtanten und -onkel praktisch eine Art »evolutionären Vorteil«, meint das Forscherteam.
Trotz des negativen Beigeschmacks hat Gossip also auch eine nützliche Funktion. Sobald Dritte positive oder negative Informationen über andere haben, können sie besser beurteilen, mit wem sie gut zusammenarbeiten können. Und das wirkt sich letztlich vorteilhaft auf eine soziale Gruppe aus.
Das Modell hat außerdem enthüllt, warum es mancherorts mehr Klatschwillige gibt als anderswo. Deren Anzahl steigt nämlich in engen sozialen Netzwerken und auch dann, wenn die Mobilität der Personen gering ist. Das deckt sich den Forschenden zufolge mit vorangegangenen Beobachtungen, dass die Dichte von Informationsstreuern in ländlichen Gebieten größer ist.
Nau wies darauf hin, dass seine Forschung weder die menschliche Komplexität abdecke noch Verhaltensstudien ersetzen könne. Computersimulationen könnten jedoch neue Theorien liefern, die zu Folgeuntersuchungen mit menschlichen Probanden anregen. In einem Punkt ist sich das Forschungsteam aber sicher: Klatsch und Tratsch wird nie aussterben.