Globale Krisen und goldene Zeitalter |
Lukas Brockfeld |
15.05.2024 15:35 Uhr |
Wirtschaftsminister Robert Habeck hielt eine Rede zur Eröffnung der BPI-Hauptversammlung. / Foto: BPI/Kruppa
Die Pharmabranche gehört zu den bedeutendsten Industriezweigen Deutschlands. Sie beschäftigt mehr als 120.000 Menschen und ihre Produkte retten tagtäglich zahlreiche Leben. Am Dienstag kamen gleich zwei Bundesminister zur Abendveranstaltung der BPI-Hauptversammlung. Im Französischen Dom in Berlin sprachen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) über die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft und erklärten ihre politischen Pläne.
Der Wirtschaftsminister betonte zunächst die Wichtigkeit der Pharmaindustrie, ohne sie würde die Gesellschaft einen erheblichen Verlust an Gesundheit und Lebenszeit erleiden. »Die Selbstverständlichkeit, mit der wir alltägliche Probleme, aber auch wirklich bedrohliche Krankheiten Schritt für Schritt in den Griff bekommen, bis hin zu Krebstherapien die noch vor einigen Jahren undenkbar waren, die liegt an der Leistungsfähigkeit Ihrer Branche«, sagte Habeck in Richtung der anwesenden Pharmaunternehmerinnen und -Unternehmer.
Deutschland sei zwar nicht mehr die »Apotheke der Welt«, doch die deutsche Wirtschaft sei gerade im Pharmabereich noch immer sehr stark. »Anders als viele andere Branchen verlangen Sie nicht nach mehr Geld, sondern nach vernünftigen Rahmenbedingungen. Das ist ein bescheidener Vorschlag«, lobte der Vizekanzler.
Habeck erklärte, dass die Pharmabranche mit vielen strukturellen Problemen zu kämpfen habe, die aktuell auch andere Industriezweige plagten. Als Beispiel nannte er den gravierenden Fachkräftemangel, der aktuell das Wirtschaftswachstum der gesamten Bundesrepublik bremse. Die Digitalisierung könne dazu beitragen, das Fehlen von Arbeitskräften abzufedern. »Dazu muss man die Infrastruktur so ertüchtigen, dass Investitionen in digitale Techniken Erfolg haben. Die aktuelle Infrastruktur ist teilweise nicht ausreichend und brüchig«, gestand der Minister ein.
Auch die »Hydra« der überbordende Bürokratie sei ein Problem. »Wir haben uns einen Luxus erlaubt, der sich jetzt bitter rächt. Wir wollten die Dinge so weit kontrollieren, dass auf gar keinen Fall irgendetwas passieren kann«, klagte Habeck. Inzwischen sei die Freiheit für Innovation und Forschung so eingeschnürt, dass viele Entwicklungen zum Stillstand kämen.
Da die Bürokratie durch ein großes Sicherheitsbedürfnis entstanden sei, könne sie nur durch die Bereitschaft zu mehr Eigenverantwortung überwunden werden. »Ich verstehe Sie und Ihre Branche so, dass Sie genau das wollen, es aber auch von der Politik und der Verwaltung fordern«, sagte der Minister. Man müsse viele Regeln und Vorschriften prüfen und wenn möglich ersetzen.
Die deutsche Pharmaforschung ist in den vergangenen Jahren international zurückgefallen. Als wesentliche Ursache machte Habeck die strengen Bestimmungen beim Datenschutz aus: »Die Forschung ist immer stärker datengetrieben, doch der Datenschutz ist so eng geschnürt, dass viele Wissenschaftler, die Anwendungsdaten brauchen, lieber nach Südamerika oder Großbritannien gehen.« Doch der Vizekanzler äußerte sich zuversichtlich, dass das neue Medizinforschungsgesetz zur Lösung des Problems beitrage.
Habeck nutzte den Abend auch, um über die weltpolitische Bedeutung der Arzneimittelproduktion zu sprechen. Man könne nicht länger auf verlässliche Lieferketten und stabile politische Verhältnisse vertrauen. »Was machen wir denn, wenn beispielsweise Antibiotika Europa nicht mehr erreichen, weil irgendjemand auf die Idee gekommen ist, uns damit zu erpressen?«, fragte der Minister. Deutschland müsse daher eine Reserve an bestimmten Medikamenten anlegen. Die anwesenden Vertreter der Pharmaindustrie seinen eingeladen, seine Regierung dabei zu unterstützen.
Habeck erklärte, dass er von den starken Netzwerkstrukturen in der Pharmabranche beeindruckt sei. »Am Ende sind es die Menschen, die ihre Kreativität, ihre Erkenntnisse und ihren Mut mit anderen Menschen teilen. Diese Menschen interagieren miteinander und lernen voneinander. Dieser Austausch und das Bilden von Clustern machen die eigentliche Stärke unseres Standortes aus«, erklärte der Vizekanzler. Politik und Industrie müssten unbedingt darauf achten, dass diese Cluster niemals kaputt gingen.
Nach dem Wirtschaftsminister hielt auch Gesundheitsminister Lauterbach eine Rede. In dieser hob er ebenfalls die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft hervor und machte die Bürokratie und den strengen Datenschutz als wesentliche Hürden für Wirtschaft und Forschung aus.
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach hielt eine Rede im Französischen Dom. / Foto: BPI/Kruppa
Doch aktuell sei das Gesundheitsministerium dabei, viele der Probleme zu lösen. Neuregelungen wie das Medizinforschungsgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz würden das Gleichgewicht von Datenschutz und Datennutzen wieder herstellen. Mit der elektronische Patientenakte stünden außerdem bald viele neue Daten pseudonymisiert für die Forschung zur Verfügung. »Das ist eine ganz neue Ära«, betonte Lauterbach.
Die Pharmaindustrie habe diesen »Aufbruch« bereits zur Kenntnis genommen und investiere daher im großen Stil in der Bundesrepublik. Lauterbach nannte mehrere Unternehmen wie Roche und Merck, die in den vergangenen Monaten Milliarden in Deutschland investierten. »Das hatten wir seit Jahren nicht und das ist kein Zufall«, sagte der Gesundheitsminister.
»Durch die Durchbrüche in vielen Forschungsfeldern, durch die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, durch neue therapeutische Verfahren, zum Beispiel in der Onkologie, können wir einem goldenen Zeitalter der pharmazeutischen Forschung und Industrie entgegengehen«, freute sich Lauterbach. Man werde daher alle Gesetzesvorhaben darauf ausrichten, aus Deutschland einen geeigneten Standort für ein solches goldenes Zeitalter zu machen. Das werde nicht nur gute Arbeitsplätze schaffen, sondern auch Heilung und Linderung für viele Krankheiten bringen.
Am Ende seines Vortrags attestierte Lauterbach bei sich scherzhaft eine »Studienlesesucht«, und klagte, dass er aufgrund der vielen hochwertigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen immer schneller lesen müsse. Mit Blick auf die nahe Zukunft der Pharmaforschung sagte er: »Es wird sehr spannend werden, eine großartige Zeit.«
Nach den beiden Ministern hielt auch der Journalist Christoph von Marschall einen Vortrag. Der Experte für US-amerikanische Politik erwartet jedoch nicht den Anbruch einer großartigen Zeit, sondern warnte vor einer zunehmend chaotischen Weltordnung. Er sprach ausführlich über die in seinen Augen nicht unwahrscheinliche Wiederwahl von Donald Trump. »Die zweite Amtszeit Trumps wird eine andere sein als die erste, in der ersten hat er nur geübt«, warnte von Marschall.
Deutschland habe als Exportnation jahrzehntelang von einer stabilen und regelbasierten Weltordnung profitiert. »Wir leben von Voraussetzungen, die wir selbst nicht garantieren können«, betonte der Journalist. Inzwischen gelte auf der Welt mehr und mehr das Recht des Stärkeren, doch niemand habe Angst oder Respekt vor Deutschland oder der EU. Die Bundesrepublik müsse daher dringend ihre Defizite in den Griff bekommen, vor allem beim Militär. »Trumps Rückkehr könnte ein Weckruf sein, den wir brauchen«, sagte von Marschall.