Gibt es die »Minipille« bald ohne Rezept? |
Daniela Hüttemann |
19.01.2024 16:00 Uhr |
Es ist gut vorstellbar, dass vor allem jüngere Frauen den direkten Erwerb der Minipille in der Apotheke bevorzugen würden. Die Kosten übernimmt die Krankenkasse in der Regel ohnehin nicht mehr ab einem Alter von 22 Jahren. / Foto: Adobe Stock/megaflopp
Am Dienstag findet die halbjährliche Sitzung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht statt. Auf der Tagesordnung steht dieses Mal nur ein einziges Thema: Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht für Desogestrel 75 µg, auch bekannt als Minipille. Die rein Gestagen-haltige Minipille ist von verschiedenen Anbietern in Deutschland auf dem Markt, unter anderem als Jubrele®, Evakadin® und Cerazette®.
HRA Pharma, das zum Perrigo-Konzern gehört, steht hinter dem Antrag. Das Unternehmen hatte sich bereits in Großbritannien und den USA erfolgreich für den OTC-Switch eingesetzt. Dort ist die Desogestrel-haltige Minipille seit 2021 unter dem Namen Hana® und 2023 in den USA als Opill™ mit 75 µg Norgestrel rezeptfrei erhältlich. In Deutschland wäre es das erste hormonelle Verhütungsmittel, das ohne ärztliche Verschreibung zu bekommen ist. Bislang hat HRA Pharma/Perrigo hier noch kein entsprechendes Präparat auf dem Markt.
Die Minipille gilt als sicher, wenn sie konsequent zur gleichen Uhrzeit jeden Tag eingenommen wird (Desogestrel- Präparate wie Jubrele haben sogar ein Nachholfenster von zwölf Stunden). Als rein Gestagen-haltiges Präparat hat sie ein geringeres Thrombose-Risiko als die herkömmlichen Kombipillen mit Estrogen-Komponente. Tatsächlich werden rein Gestagen-haltige Präparate Frauen mit Risikofaktoren für Thromboembolien sogar bevorzugt verschrieben.
»Desogestrel verhindert den Eisprung, wirkt sich aber ansonsten nicht auf die gynäkologischen Organe aus«, hatte die Frauenärztin Professor Dr. Mandy Mangler vom Vivantes Auguste-Viktoria- und Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin vergangenen Herbst bei einer »PZ Nachgefragt«-Diskussionsrunde zum Thema OTC-Switch der Minipille auf der Expopharm gesagt. Daher seien keine regelmäßigen Untersuchungen der Ovarien und Gebärmutterschleimhaut bezüglich möglicher Wucherungen nötig wie unter den Estrogen-haltigen Produkten.
Aus gynäkologischer Sicht spreche auch nichts dagegen, wenn Apotheken die Minipille zur Verhütung an junge Frauen und ohne Erstverordnung durch einen Frauenarzt abgeben. »In den meisten Fällen ist bei einer Verhütungsberatung eine gynäkologische Untersuchung ohnehin nicht nötig, am wenigsten bei Verordnung von Desogestrel.« Viele Frauen, vor allem jüngere, scheuten die vaginale Untersuchung. Daher könnte der niedrigschwellige Zugang ohne Arztbesuch mit vertraulicher Beratung in der Apotheke die Schwelle senken, sich ein wirksames Verhütungsmittel zu beschaffen.
Der Pharmakoökonom Professor Dr. Uwe May hatte bei der Diskussionsrunde mit Umfrage-Ergebnissen belegt, dass Wartezeiten, Ängste und Schamgefühl einige Frauen davon abhielten, sich regelmäßig beim Arzt die Pille verschreiben zu lassen. Auch solche sozioökonomischen Faktoren inklusive einer reproduktiven Selbstbestimmung sollten bei der Diskussion um einen OTC-Switch berücksichtigt werden.
Mangler hatte betont, dass die regulären gynäkologischen Krebsvorsorgetermine unabhängig von der Verschreibung einer Verhütungspille erfolgen können und sollen. »Krebsvorsorge ist richtig und wichtig, aber nicht mit Zwang, das ist eine Form der Entmündigung.« Eine Verhütungsberatung dagegen könne auch in der Apotheke erfolgen, denkbar auch im Rahmen einer pharmazeutischen Dienstleistung.
Generell ist die Bedeutung der Hormonpille im Vergleich zu anderen Verhütungsmitteln in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen, wie regelmäßige Krankenkassenauswertungen und Umfragen zeigen. Gemäß der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nutzten zuletzt nur noch 38 Prozent der verhütenden Paare eine Hormon-haltige Pille. 2007 waren es noch 55 Prozent gewesen. »Eine ablehnende Haltung hormoneller Verhütung nimmt in der gesamten sexuell aktiven Bevölkerung zu«, schrieb die BZgA im November 2023. Insbesondere jüngere Befragte seien Hormonen gegenüber kritisch eingestellt.
Hier dürfe man nicht alle Präparate in einen Topf werfen, hatte sich zuletzt auch der Berufsverband der Frauenärzte zu Wort gemeldet und auf die Notwendigkeit einer ausgewogenen Verhütungsberatung hingewiesen (freilich durch Gynäkologen). Zum anstehenden möglichen OTC-Switch gab es keine offizielle Positionierung, wie zuletzt 2014 als es um die Freigabe der »Pille danach« ging.
Der Expertenausschuss, der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einberufen wird, besteht aus Pharmakologen, Ärzten, Apothekern, aber auch Patienten- und Industrievertretern. Sein Votum ist nicht bindend. Letztlich entscheidet das Bundesministerium für Gesundheit, ob es ein Medikament aus der Verschreibungspflicht entlässt. In der Regel folgt das Ministerium jedoch den Empfehlungen des Ausschusses.