Gewissenskonflikte sind irrelevant |
Ev Tebroke |
26.08.2024 13:36 Uhr |
Persönliche Bedenken oder Gewissenskonflikte sind irrelevevant: Es ist die Kernpflicht eines Apothekers, die in seiner Apotheke nachgefragten Arzneimittel abzugeben. Das wird nun mit einem Grundsatzurteil eindeutig klargestellt. / Foto: Adobe Stock/Peter Atkins
Wer eine Abgabe von apothekenpflichtigen Medikamenten aus Gewissensgründen verweigert, verstößt als Apotheker gegen seine Berufspflicht. Das hat das Berufsobergericht für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg eindeutig dargelegt. In dem Fall ging es um einen Berliner Apotheker, der Patientinnen aus Gewissengründen die Abgabe der sogenannten »Pille danach« verweigert hatte. Die Berliner Apothekerkammer hatte berufsrechtlich dagegen geklagt – und die Eignung des besagten Apothekers für die Arbeit in einer öffentlichen Apotheke infrage gestellt. Zu Recht, wie das Urteil zeigt.
Während in erster Instanz im November 2019 lediglich eine Verwarnung ausgesprochen wurde, sieht das OVG in zweiter Instanz ein eindeutiges berufsrechtliches Vergehen. Das wird aus den nun veröffentlichten Urteilsgründen deutlich, die der PZ vorliegen. Demnach unterliegt ein Apotheker in jeglicher Hinsicht dem Versorgungsauftrag. Es sei »die Kernpflicht eines selbstständigen Apothekers, die in seiner Apotheke nachgefragten Arzneimittel abzugeben«, so das Gericht. Den Apotheken obliege die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung (§ 1 Absatz 1 Apothekengesetz). Diese wäre gefährdet, wenn Apotheker zugelassene apothekenpflichtige Arzneimittel aus in ihrer Person liegenden Gründen nicht abgeben und insoweit auf andere Apotheken verweisen dürften.
Das gesetzliche Apothekenmonopol gehe mit einem umfassenden Versorgungsauftrag einher, heißt es weiter in der Begründung. »Als Folge des Apothekenmonopols besteht für die Abgabe von apothekenpflichtigen Arzneimitteln gemäß § 43 Absatz 1 Arzneimittelgesetz Kontrahierungszwang.« Und weiter: »In der Abwägung mit dem im Schutz der Gesundheit der Bevölkerung begründeten umfassenden Versorgungsauftrag des selbstständigen Apothekers überwiegt dieser die Gewissensfreiheit des einzelnen Apothekers.« Ein Apothekenleiter könne bei einem Gewissenskonflikt einem bei ihm angestellten Apothekerkollegen die Abgabe überlassen. Wenn er das nicht möchte oder kann, dürfe er »in letzter Konsequenz nicht länger als selbstständiger Apotheker tätig« sein.
Ina Lucas, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin wertet das Urteil als »Meilenstein«. / Foto: AK Berlin
Ina Lucas, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, sieht das Grundsatzurteil als »Meilenstein«. Es stelle die Bedeutung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch die Apotheke klar heraus. »Nur Apothekerinnen und Apotheker und ihre Teams können – und müssen – unter Einsatz ihrer pharmazeutischen Expertise diese Versorgung sicherstellen.« Apotheken seien insbesondere bei apothekenpflichtigen Arzneimitteln die einzige Abgabestelle. Die Verfügbarkeit im sonstigen Einzelhandel sei ausgeschlossen. »Aus dem dadurch geschaffenen Apothekenmonopol folgt der Versorgungsauftrag.« Dieser wäre gefährdet, wenn Berufsangehörige nach ihren eigenen Wertmaßstäben agierten, so Lucas gegenüber der PZ.
Letztlich gehe es darum, »dass wir in der Ausübung unseres Berufs einen staatlichen Auftrag zu erfüllen haben und unsere persönliche (private) Meinung in der Ausübung unseres Berufes keine Rolle spielen darf, sondern allein der gesetzliche Rahmen und der aktuelle Stand von Wissenschaft und Forschung«. Dies sei Kern der Berufsordnung. »Wir werden als Kammer das Urteil auch zum Anlass nehmen und genau diese Punkte in der Berufsordnung noch einmal genauer herausarbeiten«, so Lucas.
Im konkreten Fall hatte ein Apotheker in Berlin in der Zeit von Juni 2013 bis zum 5. Februar 2017 in vier Fällen die Abgabe der apothekenpflichtigen »Pille danach« aus Gewissensgründen abgelehnt. Dabei hatte er unter anderem im Notdienst argumentiert, das gewünschte Produkt nicht vorrätig zu haben.
Hierzu heißt es seitens des OVG, die Berufsordnung der Kammer, explizit § 9 Satz 2, regele zwar, wenn im Einzelfall die Versorgung mit einem bestimmten Medikament nicht unmittelbar möglich ist. In diesem Fall soll die notdienstbereite Apotheke, »soweit zumutbar, Hilfestellung bei der Beschaffung des Arzneimittels bei einer anderen Notdienstapotheke leisten«. Die Vorschrift legitimiere aber nicht die bewusste Nichtbevorratung, um ein bestimmtes Präparat nicht abgeben zu müssen.
Auch ist es laut Gericht nicht statthaft, zwischen notwendigen und nicht notwendigen Arzneimitteln zu differenzieren. Laut Apothekenbetriebsordnung (§ 15 Absatz 1 Satz 1) habe der Apothekenleiter die Arzneimittel und apothekenpflichtigen Medizinprodukte, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung notwendig sind, in einer Menge vorrätig zu halten, die mindestens dem durchschnittlichen Bedarf für eine Woche entspreche.
Den betroffenen Apotheker tangiert der Gerichtsentscheid übrigens nicht mehr. Er hat seine Apotheke zwischenzeitlich bereits geschlossen.