Gesundheitstalk am Spinnrad |
Jennifer Evans |
29.04.2024 07:00 Uhr |
Wenn sich Frauen im Mittelalter zur Handarbeit trafen, gaben sie sich oft gegenseitig Ratschläge zu Schwangerschaft und Geburt. / © Adobe Stock/danmorgan12
Im Mittelalter und frühneuzeitlichen Europa spielten Frauen eine signifikante Rolle in Sachen Gesundheit und Heilwissen. In Untersuchungen, die sich allein auf Berufsbezeichnungen stützen, waren sie zwar unterrepräsentiert. Nicht aber in den Bereichen Pflege und Körperarbeit, wo sie bereits ein breites Spektrum an Dienstleistungen anboten. Das berichtet die Verhaltens- und Datenwissenschaftlerin Pragya Agarwal in ihrem Beitrag auf der Wissenschaftsplattform »The Conversation«. Sie ist unter anderem Gastprofessorin für soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten an der englischen Universität Loughborough.
Frauen praktizierten seinerzeit allerdings meist in häuslicher Umgebung – außerhalb der Männerdomänen, was die wissenschaftliche Medizin damals war. Daher entwickelten die Damen eigene Netzwerke, um ihre Therapien im Verborgenen auszuüben oder um ihre medizinischen Erkenntnisse weiterzugeben.
Zum Beispiel trafen sich im 15. Jahrhundert französische Frauen zur Handarbeit. Während sie an den Spinnrädern saßen, tauschten sie sich aus. Infolge dieser Zusammenkünfte entstand um das Jahr 1480 ein Werk namens »Les Évangiles des Quenouilles«, eine Sammlung von mehr als 250 Frauenweisheiten zu Schwangerschaft, Geburt und Gesundheit. Darin fanden sich neben Tipps zur Heilung von Krankheiten auch Ratschläge hinsichtlich Fehlgeburten, Geschlechtsverkehr sowie Problemen bei der Empfängnis. Das umfangreiche gesammelte Wissen gaben auserwählte Leiterinnen unter ihnen in regelmäßigen Abständen an die Nachfahren sowie andere Frauen weiter. Ein Schreiber zeichnete zusätzlich mündliche Überlieferungen auf.
Viele der Heilerinnen galten laut Agarwal zu dieser Zeit zwar als Hexen, aber sie fanden durch ihre Gesundheitsnetzwerke einen Weg, Kontrolle und Autonomie über ihren eigenen Körper zu erlangen. Obwohl sie nicht den Status eines Mediziners hatten, stellten sie doch Rezepte für Gesundheit und Wohlbefinden zusammen – vor allem für die Oberschicht.
Innerhalb ihrer sozialen Netzwerke unterstützten sich die Frauen zudem gegenseitig. Sie schrieben einander ihre Sorgen und Probleme in Briefen, so die Wissenschaftlerin. Doch als sich der Arztberuf im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts zunehmend etablierte, verloren die Heilerinnen immer mehr an Respekt. Da man ihnen magische Kräfte nachsagte oder sie als Hexen titulierte, seien viele der informellen Netzwerke zerbrochen.
Nach Agarwals Auffassung ist aber diese Form der sozialen Unterstützung bis heute zu beobachten. Viele Frauen verließen sich bei gynäkologischen Entscheidungen nach wie vor auf ihre Schwestern, Mütter oder Freundinnen. Dasselbe gelte für die sexuelle und reproduktive Gesundheit. Wichtig bleiben solche Netzwerke in ihren Augen besonders für die ländlichen Regionen dieser Erde. Dort also, wo Analphabetismus sowie mangelnder Zugang zu geschultem Fachpersonal und Bildung ein Problem darstellen. Nicht zuletzt vernetzten sich der Wissenschaftlerin zufolge Frauen nach wie vor, um medizinische Information auszutauschen – nur heute geschehe das per Messaging-Gruppen übers Smartphone.