»Gesundheit ist eine geostrategische Waffe« |
Melanie Höhn |
26.03.2025 15:00 Uhr |
Versorgung der Menschen in Deutschland mit Arzneimitteln ist auch ein sicherheitspolitisches Thema geworden. / © Adobe Stock/Vextox
Die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland vernachlässigt bislang einen entscheidenden Aspekt: die Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten. Davor warnt Andreas Burkhardt, Vorsitzender des Verbands Pro Generika: »Eine stabile Arzneimittelversorgung muss Teil unserer Verteidigungsstrategie werden. Gesundheit ist eine geostrategische Waffe«.
Die aktuelle Abhängigkeit von China, die vor allem Generika betreffe, mache Deutschlands Gesundheitssystem verwundbar und damit politisch erpressbar. Die Versorgung der Menschen in Deutschland mit Arzneimitteln sei nicht mehr bloß ein gesundheitspolitisches Thema, so Burkhardt. In Zeiten, in denen sich die Machtverhältnisse auf der Welt verschieben und offene Handelskriege geführt werden, sei sie auch ein sicherheitspolitisches Thema geworden.
Für Burkhardt ist klar: Die zukünftige Bundesregierung muss das Problem zügig angehen: »Für die Sicherheit der Patientinnen und Patienten braucht es eine ressortübergreifende Strategie für die Grundversorgung, die folgende Ziele hat: mehr Resilienz, mehr Diversifizierung und mehr europäische Unabhängigkeit.«
Dass Burkhardt mit dieser Auffassung nicht allein ist, zeigt ein offener Brief von elf EU-Gesundheitsministern – darunter auch Karl Lauterbach – der Deutschlands Abhängigkeit bei Arzneimitteln als »Achillesferse der europäischen Verteidigungspolitik« bezeichnet.
Laut der Minister könne es Europa sich nicht länger leisten, Arzneimittelsicherheit als zweitrangig zu behandeln. Alles andere sei eine schwerwiegende Fehlkalkulation – »eine, die unsere Abhängigkeit von lebenswichtigen Medikamenten zur Achillesferse der europäischen Sicherheit machen könnte«, meldeten sich Gesundheitsminister mit dem Brief auf dem Portal »Euronews« zu Wort.
Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen könne die Globalisierung bedrohliche Nebenwirkungen haben, insbesondere bei lebenswichtigen Gütern.
80 bis 90 Prozent der weltweit produzierten Antibiotika werden in Asien hergestellt – hauptsächlich in China. Man müsse sich nur vorstellen, was passiere, wenn die Lieferkette für diese Medikamente inmitten eines eskalierenden Konflikts unterbrochen wäre: Ohne Antibiotika würden unsere Gesundheitssysteme »schlichtweg zusammenbrechen«, schreiben die Minister. Ohne diese lebenswichtigen Medikamente würden Routineoperationen zu risikoreichen Eingriffen und leicht behandelbare Infektionen könnten tödlich verlaufen. Ausländische Akteure könnten diese Abhängigkeit leicht in eine kritische Schwachstelle verwandeln – eine, die Europas Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit massiv gefährden könnte.
Europa sei zu 60 bis 80 Prozent von Asien abhängig – Preisdruck auf billige Generika sowie höhere Arbeits- und Umweltkosten seien die Hauptgründe für diese Verlagerung.
Inzwischen würden alle europäischen Länder mit Medikamentenengpässen kämpfen, hauptsächlich aufgrund fragiler Lieferketten. Als Reaktion auf anhaltende Medikamentenengpässe hatten die EU-Mitgliedstaaten im Mai 2023 ein Gesetz über kritische Arzneimittel gefordert: Die Minister betonten in diesem Zusammenhang die Relevanz des »Critical Medicines Act« (CMA), ein Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Arzneimittelengpässen, der erst kürzlich von der Europäischen Kommission vorgestellt wurde.
Ziel des Gesetzes ist es, Schwachstellen in den Lieferketten kritischer Arzneimittel zu identifizieren, die europäische Produktion zu unterstützen und die Lieferketten zu diversifizieren.
Zudem warnten die Gesundheitsminister, dass sich die geopolitischen Realitäten inzwischen rasant verändert hätten: Sicherheit sei für die europäischen Staats- und Regierungschefs zur obersten Priorität geworden. »Dieses Sicherheitsparadigma sollte Gesundheitssysteme und Arzneimittel umfassen. Verschiedene Medikamente, darunter Antibiotika, Anästhetika und Thrombolytika, sind nicht nur für die zivile Gesundheitsversorgung, sondern auch für militärische und Notfallszenarien unverzichtbar«, heißt es in dem offenen Brief. Daher sei es unerlässlich, dass die EU das CMA-Gesetz in den breiteren Sicherheitsrahmen Europas integriert.
Die Europäische Kommission müsse ihre Bemühungen beschleunigen, Schwachstellen in den Lieferketten dieser strategisch wichtigen Medikamente zu erfassen und zu bewerten. Werden Schwachstellen identifiziert, müsse Europa entschlossen handeln und die inländische Produktion nach Möglichkeit steigern können.
Der »Critical Medicines Act« müsse als »robustes Instrument« fungieren: Ein Teil seiner Finanzierung müsse in umfassendere EU-Verteidigungsausgabenpläne eingebettet werden, einschließlich der Finanzmechanismen des neuen Verteidigungspakets. »Denn ohne lebenswichtige Medikamente sind Europas Verteidigungsfähigkeiten gefährdet«, so die Minister. Darüber hinaus müsse der CMA Europas fragmentierten Ansatz zur Bevorratung lebenswichtiger Medikamente berücksichtigen.
Ein koordinierter europäischer Ansatz – basierend auf Transparenz, Zusammenarbeit und Solidarität – sei erforderlich, um sicherzustellen, dass lebenswichtige Medikamente verfügbar sind, wann und wo sie benötigt werden. Die Gesundheitsminister führten weiter aus, dass Europa es sich nicht länger leisten könne, die Arzneimittelsicherheit als zweitrangig zu behandeln. Der Critical Medicines Act müsse zu einem »wirksamen, umfassenden strategischen Programm« ausgebaut werden, das durch EU-Verteidigungsmittel unterstützt werde, um die strategische Autonomie des Kontinents zu sichern.
Alles andere wäre eine schwerwiegende Fehlkalkulation – »eine, die unsere Abhängigkeit von lebenswichtigen Medikamenten zur Achillesferse der europäischen Sicherheit machen könnte«.
Union und SPD haben sich in ihren Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt, die einseitige Abhängigkeit von China zu reduzieren. Das dürfte besonders die Arzneimittelproduktion betreffen. Auch in der künftigen Entwicklungspolitik soll das Thema Gesundheit eine Rolle spielen.