Geschichte lenkt den Wohlstand |
Jennifer Evans |
18.12.2024 09:00 Uhr |
Die Wurzeln wirtschaftlicher Ungleichheit liegen tief in der Geschichte. Unter anderem politische Systeme prägen laut einer Studie den Wohlstand einer Nation. / © Adobe Stock/Monstar Studio
Die reichsten 20 Prozent der Länder der Welt sind etwa 30-mal reicher als die ärmsten 20 Prozent. Darüber hinaus ist die Einkommenskluft zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern in den vergangenen 75 Jahren stabil geblieben: Obwohl die ärmsten Länder reicher geworden sind, holen sie nicht auf. Was beeinflusst also den wirtschaftlichen Wohlstand auf lange Sicht?
Die diesjährigen Nobelpreisträger für Wirtschaft, Daron Acemoglu und Simon Johnson, beide vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, sowie James Robinson von der Universität Chicago in Illinois, haben eine Erklärung gefunden. Dafür untersuchten sie die Geschichte des europäischen Kolonialismus sowie die Unterschiede zwischen Ländern wie den USA und Australien im Vergleich zu Ländern in Afrika südlich der Sahara oder Südasien.
Gründe für die derzeitigen Wohlstandsunterschiede sind demnach vor allem die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme, welche die Kolonisatoren ab dem 16. Jahrhundert einführten und oft beibehielten. Mancherorts ging es darum, die einheimische Bevölkerung auszubeuten und Ressourcen zum Nutzen der Kolonisatoren zu gewinnen. Anderswo schufen die Kolonisatoren integrative politische und wirtschaftliche Systeme, die den europäischen Migranten langfristig nutzten.
Dabei unterscheiden die Autoren zwischen inklusiven Institutionen, die jedem Bürger die Teilnahme an wirtschaftlichen Vorgängen ermöglicht, und extraktiven Institutionen, die das Ziel haben, sich selbst zu bereichern. In Ländern, die zum Zeitpunkt der Kolonisierung arm waren, entstanden häufig integrative Institutionen, die im Laufe der Zeit zum Wohlstand der Bevölkerung führten. Das sei ein Grund dafür, warum ehemalige Kolonien, die einst reich waren, heute arm sind und umgekehrt.
Als Beispiel für die Analyse diente die Stadt Nogales, die zum Teil in Mexiko und zum Teil in den USA liegt. Der mexikanische Teil im Bundesstaat Sonora ist heute ärmer als der US-amerikanische in Arizona. Und das, obwohl die Bevölkerung, Kultur und das Klima identisch sind. Der einzige Unterschied kommt demnach durch die gesellschaftlichen Institutionen. Im amerikanischen Norden hatten die Menschen durch die Siedler mehr Möglichkeiten bekommen, was Ausbildung, Job sowie politische Rechte anging. Im mexikanischen Süden von Nogales hingegen entstanden durch die spanischen Kolonien ganz andere Einrichtungen, heißt es. Organisierte Verbrechen machen es Unternehmern schwer, korrupte Politiker halten sich hartnäckig.
Und noch einen weiteren Zusammenhang stellten die Wissenschaftler fest: Je höher die Sterblichkeit bei den Kolonisatoren, desto niedriger das heutige Pro-Kopf-Bruttoinlandprodukt. Das liegt laut der Studie daran, wie gefährlich es seinerzeit war, ein Gebiet zu kolonisieren. Sprich: Je dichter die indigene Bevölkerung, desto größer war der zu erwartende Widerstand. Andererseits bot eine größere indigene Bevölkerung – sobald sie besiegt war – lukrative Möglichkeiten für billige Arbeitskräfte. Dies führte dazu, dass weniger europäische Siedler in bereits dicht besiedelte Kolonien zogen. Dünner besiedelte Gebiete boten den Kolonisatoren dagegen weniger Widerstand, aber auch weniger auszubeutende Arbeitskräfte, sodass sich dort generell mehr europäische Kolonisatoren niederließen.
Zudem entwickelten die Preisträger einen theoretischen Rahmen, der erklärt, warum manche Gesellschaften bis heute in ihren Zustand von extraktiven Institutionen gefangen bleiben und Reformen sich oft so schwer gestalten. Im Kern geht es dabei um politische Macht und das Problem der Glaubwürdigkeit zwischen herrschender Elite und Bevölkerung.
Extraktive Institutionen verschaffen Machthabern nämlich kurzfristige Vorteile, hemmen aber das Wirtschaftswachstum. »Solange das politische System ihnen garantiert, dass sie die Kontrolle behalten, wird niemand ihren Versprechen über künftige Wirtschaftsreformen trauen«, heißt es. Nach Ansicht der Preisträger ist dies eine Ursache dafür, warum keine Verbesserung eintritt. Unter bestimmten Umständen sei es jedoch möglich, dass sich einige Länder von der Vergangenheit lösten und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit etablierten, heißt es.
Das Fazit des Forschungsteams: Institutionen, die entstanden, um Massen auszubeuten, waren schlecht für das langfristige Wachstum eines Landes. Während jene Einrichtungen, die wirtschaftliche Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit schufen, dem Erfolg zuträglich waren und die Armut in Schach hielten.