»Geschenke, die nicht nachvollziehbar sind« |
Cornelia Dölger |
22.06.2023 14:00 Uhr |
Lieferengpässe, Rezepturarzneimittel, Retaxierungen: Das alles hängt miteinander zusammen und hat unlängst erneut zu großem Ärger in der Apothekerschaft geführt. Mit dem geplanten Lieferengpassgesetz sollen Nullretaxe in ihrer bisherigen Form wegfallen. Dafür haben die Innungskrankenkassen kein Verständnis. / Foto: picture alliance / Stefanie Oberhauser / EXPA / pic
Kurz bevor das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) morgen im Bundestag beschlossen werden soll, kommt von den Krankenkassen noch einmal Kritik an für Apotheken wichtigen Themen in dem Gesetz. Erst vor wenigen Tagen hatte sich gezeigt, dass der vergangene lautstarke Protest der Apothekerschaft unter anderem am Retaxierungsgebaren der Krankenkassen doch Wirkung zeigt: So soll auf Änderungsanträge der Regierungsfraktionen hin im geplanten Lieferengpassgesetz festgehalten werden, dass die Nullretaxation in ihrer bisherigen Form abgeschafft werden soll. Diese Zahlungsverweigerung der Kassen etwa bei Formfehlern auf Rezepten oder bei Nichteinhalten von Rabattverträgen ist den Apotheken bekanntlich seit Langem ein Dorn im Auge, weil sie bei Nullretaxen auf ihren Kosten sitzenbleiben. Auch die Präqualifizierungspflicht für Apotheken bei der Hilfsmittelabgabe soll mit Inkrafttreten des ALBVVG größtenteils wegfallen.
Wenn es aber nach der Interessenvertretung der Innungskrankenkassen (IKK e.V.) geht, darf an der üblichen Praxis nicht gerüttelt werden, weder beim Retax noch bei der Präqualifizierung. Kurz vor der zweiten und dritten Lesung im Bundestag heißt es heute von dem Verein: »Die Innungskrankenkassen sehen die kurzfristig eingebrachten Änderungsanträge zum Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) kritisch.« »Schon wieder« würden den Apotheken »Geschenke gemacht, die nicht nachvollziehbar sind«, betonte Geschäftsführer Jürgen Hohnl in der Mitteilung. Dies gelte zum einen für die Einschränkungen der Retaxierungen, so Hohnl. Denn hierdurch würden die Grundlagen für die Rabattverträge der Kassen geschwächt.
Zum anderen ist auch der Wegfall der Präqualifizierungspflicht für Apotheken in Hohnls Augen unverständlich. »Die Präqualifizierung ist keine unangemessene bürokratische Last, sondern sichert die Qualitätsstandards in der Hilfsmittelversorgung. Sanitätshäuser und Gesundheitshandwerke stellen sich der unabhängigen Prüfung! Wieso die Apotheken nicht mehr?“.
Das Thema Nullretax war erst vor wenigen Tagen noch einmal hochgekocht, als vor allem in den sozialen Medien Apothekerinnen und Apotheker ihrem Ärger darüber Luft machten, dass zahlreiche Rezepte von einer Krankenkasse retaxiert worden waren. Konkret ging es um Fiebersäfte für Kinder, die die Apotheken im vergangenen Dezember – in der Hochphase von Lieferengpässen und Erkältungsfällen gleichermaßen – selbst hergestellt hatten.
Vor dem Hintergrund der anhaltenden Lieferengpässe bei wichtigen Arzneimitteln war den Apotheken eigentlich von den Kassen zugesichert worden, dass sie wegen der Notlage unkomplizierter handeln könnten. Das sah die IKK classic offenbar nicht so und retaxierte wegen fehlender Dosierungsangaben einige Rezepte für besagte Fiebersäfte. Die Apotheker, allen voran der Holzgerlinger Apothekeninhaber Björn Schittenhelm, ärgerten sich über das Vorgehen. Schittenhelm sagte zur PZ, die Kassen hätten »Maß und Mitte sowie ihren inneren Kompass« verloren.
Auf PZ-Anfrage meldete sich inzwischen auch die IKK classic zu Wort. In einem Statement betonte die Kasse, dass sie keine Null-Retaxierung vorgenommen habe, »weil Fertigarzneimittel als Rezeptur hergestellt wurden«. Vielmehr sei man den Apotheken »für ihren engagierten Einsatz sogar sehr dankbar«.
Ohnehin habe man »die besondere Situation der Apotheken im Blick«, hieß es auf PZ-Anfrage von der Kasse. »Dennoch gelten auch bei der Herstellung und Abgabe von Rezepturarzneimitteln arzneimittelrechtlich verankerte Sicherheitsregelungen. Wenn wir bei der Prüfung der Rezepte festgestellt haben, dass diese vereinbarten Regelungen (wie zum Beispiel die Angabe der Dosierung) nicht eingehalten wurden, haben wir Nullretaxe ausgesprochen.«
Die Zahl dieser Nullretaxe halte sich aber sehr in Grenzen, hieß es weiter. Im Dezember 2022 seien Rezepte für Fieber- beziehungsweise Schmerzmittel »im geringen zweistelligen Bereich« retaxiert. »Das waren 0,002 Prozent von allen im Dezember 2022 mit uns abgerechneten Rezepten. Es handelt sich also nur um wenige Einzelfälle.«