Genetische Schlüsselfaktoren für (kritischen) Konsum |
Theo Dingermann |
20.10.2025 18:00 Uhr |
Die genetische Veranlagung trägt mit dazu bei, ob Cannabiskonsumenten eine Substanzgebrauchsstörung entwickeln oder nicht. / © Adobe Stock/Syda Productions
Obwohl Cannabis zweifelsfrei pharmakologisch relevante Eigenschaften besitzt, die bei einem korrekten Einsatz bestimmte Beschwerden positiv beeinflussen können, wird es wegen der einfacheren Verfügbarkeit als Folge politischer Entscheidungen zur Entkriminalisierung immer stärker auch ohne medizinische Indikation konsumiert.
Das sehen etliche Experten kritisch, da ein Risiko für die Entwicklung einer Cannabiskonsumstörung (CUD) besteht, bei der Konsumenten die Substanz trotz schwerwiegender negativer Folgen weiterhin konsumieren. Studien zeigen, dass bis zu 27 Prozent derjenigen, die im Laufe ihres Lebens Cannabis konsumieren, eine CUD entwickeln.
Nun hat ein Team um Dr. Hayley H. A. Thorpe von der University of Western Ontario in Kanada eine Studie im Wissenschaftsjournal »Molecular Psychiatry« publiziert. Darin wurden Daten genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) zum Lebenszeitkonsum von Cannabis (jemals versus niemals konsumiert) sowie zur Nutzungshäufigkeit (Anzahl der Nutzungstage in den 30 Tagen mit dem höchsten Konsum) bei einer Kohorte von 131.895 Personen europäischer Abstammung erhoben. Ziel der Studie war es, genetische Faktoren zu identifizieren, die mit dem Konsum von Cannabis und der Entwicklung von CUD assoziiert sind. Ferner sollten die potenziellen Auswirkungen einer CUD auf Gesundheit und Verhalten untersucht werden.
Eingeschlossen in die Studie waren 23andMe-Teilnehmer, die detaillierte Fragebögen zu ihrem Cannabiskonsum ausgefüllt hatten. 23andMe ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das Untersuchungen eines Teils des Genoms für Privatpersonen anbietet. Für die Studie wurden bis zu 33,4 Millionen genetische Varianten analysiert. Um Verzerrungen durch Populationsunterschiede zu minimieren, war die Studienpopulation auf Personen europäischer Abstammung beschränkt worden.
Die Forschenden identifizierten zwei signifikante Gen-Positionen (genetische Loci) für den Lebenszeitkonsum, von denen ein Locus in der Nähe des CADM2-Gens und ein weiterer in der Nähe des GRM3-Gens lokalisiert war. Das CADM2-Gen codiert für ein Glykoprotein, das in der Gehirnentwicklung, Zelladhäsion und in der synaptischen Signalübertragung eine Rolle spielt. Frühere Studien haben CADM2 mit Impulsivität und Risikoverhalten in Verbindung gebracht, was seine Relevanz für den Cannabiskonsum unterstreichen könnte.
Das GRM3-Gen kodiert den metabotropen Glutamatrezeptor 3 (mGlu3), der inhibitorisch wirkt und der an der Glutamat-Signalübertragung sowie an der synaptischen Plastizität beteiligt ist. Diese Mechanismen könnten erklären, wie genetische Variationen in diesen Genen die Anfälligkeit für Cannabiskonsum und potenziell auch für CUD beeinflussen.
Die Variante im CADM2-Gen, die mit dem Lebenszeitkonsum in Verbindung steht, war durch die Einzelnukleotid-Variante rs35827242 charakterisiert, wohingegen die Einzelnukleotid-Variante rs12673181 mit dem GRM3-Gen assoziiert war.
Mit Bezug auf die Nutzungshäufigkeit von Cannabis wurde ein weiterer Locus in der Nähe des CADM2-Gens identifiziert. Dieser war durch die Einzelnukelotid-Variante rs4856591 definiert.
Die Heritabilität – ein Maß dafür, wie stark die Unterschiede in einem Merkmal innerhalb einer Population auf genetische Unterschiede zurückzuführen sind – des Lebenszeitkonsums lag bei 12,88 Prozent, während die der Nutzungshäufigkeit mit 6,63 Prozent geringer ausfiel.
Mithilfe zusätzlicher Analysen identifizierten die Forschenden 40 weitere Gene, die mit dem Lebenszeitkonsum assoziiert sind, und vier Gene, die eine Relevanz für die Nutzungshäufigkeit besitzen könnten. Interessanterweise gab es – mit Ausnahmen von CADM2 – keine Überlappung zwischen den Genen, die mit den beiden Merkmalen assoziiert waren.
Genetische Korrelationen zeigten, dass der Lebenszeitkonsum stärker mit psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Depression und ADHS assoziiert war, während die Häufigkeit des Konsums schwächere oder keine signifikanten Zusammenhänge aufwies. Dies deutet darauf hin, dass die genetischen Architekturen dieser beiden Merkmale unterschiedlich sind.
Die Ergebnisse der Arbeit unterstreichen die Bedeutung von CADM2 und GRM3 als Schlüsselfaktoren für den Cannabiskonsum und liefern neue Einblicke in die genetischen Grundlagen des Konsums und seiner gesundheitlichen Auswirkungen.
Die Autoren betonen aber auch, dass zukünftige Studien größere und diversere Kohorten einbeziehen sollten, um die Generalisierbarkeit der Ergebnisse zu verbessern und die Rolle von Umweltfaktoren zu klären. Insbesondere die genetischen Mechanismen, die die Häufigkeit des Konsums beeinflussen, könnten wichtige Hinweise auf die Entwicklung von CUD liefern.