Geliebter Müll |
Angela Kalisch |
10.07.2023 07:00 Uhr |
Farbenfrohe Schönheit und Bedrohung der Natur: Plastik ist ein Material voller Widersprüche. »L’arbre à palabres« von Pascale
Marthine Tayou, 2012 / Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Plastik genießt keinen guten Ruf. Vor allem das ungelöste Problem der Entsorgung des schwer abbaubaren Materials belastet das ökologische Gewissen. In den verschiedenen Kunststoffen enthaltene Additive, beispielsweise Weichmacher, stellen zudem ein Risiko für die Gesundheit von Lebewesen dar, wobei noch gar nicht alle Gefahren und langfristigen Auswirkungen hinreichend bekannt sind.
Sensible Bereiche wie Kinderspielzeug, Kosmetik oder Primärverpackungen für Lebensmittel und Medikamente unterliegen deshalb zu Recht der besonderen Kontrolle. Verpackungsmaterial, das mit dem Inhalt direkt in Berührung kommt, soll diesen schützen, darf aber nicht damit interagieren. Das stellt vor allem bei Flüssigarzneimitteln eine Herausforderung dar. Andererseits haben Kunststoffe gerade in der Medizin unschlagbare Vorteile gegenüber Materialien wie Glas oder Keramik, da sie leichter sind, nicht splittern und durch Einwegverwendung nicht sterilisiert werden müssen und somit in der Anwendung hygienischer sind.
Aller Kritik zum Trotz sind Kunststoffe aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Seit der massenhaften Produktion, beginnend mit den 1950er-Jahren, war die gesellschaftliche Einstellung zu Plastik immer wieder erheblichen Veränderungen unterworfen. Das spiegelt auch die bildende Kunst wider, deren Umgang mit dem Material die Geschichte des Plastiks erzählt, wie eine Ausstellung in Frankfurt am Main in der Schirn Kunsthalle und einem Begleitprogramm im Naturkundemuseum Senckenberg zeigt.
Künstliches Paradies: »Eden Artificiale« von dem italienischen Künstler Gino Marotta. / Foto: 2021 Marino Colucci, Courtesy Erica Ravenna Gallery, Rome
Die Ausstellung »Plastic World« ist noch bis zum 1. Oktober 2023 in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zu sehen.
In den 1960er-Jahren galt Plastik als der Wunderstoff, aus dem einfach alles entstehen kann. Gebrauchsgegenstände und auch Kunstwerke wurden für jedermann erschwinglich und dadurch demokratisiert, was als Fortschritt und Befreiung gefeiert wurde. Zugleich eröffnete das neue Material einer jungen Generation unendliche Möglichkeiten, sich künstlerisch neu zu erfinden und sich deutlich vom Kunst- und Gesellschaftsverständnis der Vergangenheit abzusetzen. »Pop Art« und »Space Age« zeugen von einer Bewegung, in der es gar nicht bunt und künstlich genug zugehen konnte, um sich experimentell auszudrücken und spielerisch Utopien von einer besseren Welt zu erschaffen.
Auf die Euphorie folgte allerdings rasch ein Umdenken. Die Ölkrise in den 1970er-Jahren zeigte die Grenzen des Wachstums auf, Konsumkritik und Überflussgesellschaft rückten auch die Problematik der Wegwerfmentalität und der Einwegprodukte in den Fokus nicht nur politischer, sondern auch künstlerischer Auseinandersetzung. Die Trash-Bewegung brachte Kunstwerke aus ausrangierten Objekten hervor und machte in Installationen die drohende Vermüllung des Planeten zum Thema.
Der wachsende Wohlstand führte in den Industrienationen mit der Zeit zu einem schizophrenen Verhältnis zu Kunststoffen. Plastik ist verpönt und wird gemieden, bestenfalls verantwortungsbewusst dem Recycling zugeführt. Gleichzeitig ist das moderne Leben ohne Kunststoffe überhaupt nicht mehr denkbar, gehören daraus hergestellte Gegenstände vom Sportschuh bis zum Smartphone zu begehrten und unverzichtbaren Konsumgütern, während die Probleme der Entsorgung in ferne Länder exportiert werden.
Mit diesem Spannungsfeld zwischen ökologischem Gewissen und verführerischer Schönheit setzt sich die Kunst auseinander, indem sowohl die Gegensätzlichkeit von Natur und Künstlichkeit als auch ihre Überwindung in posthumanen Projektionen zum Ausdruck gebracht werden. Materialfetisch und moralisches Bewusstsein, Ewigkeit und Zerfall bilden die Pole, in denen sich die Frage stellt, wie mit einem Material umzugehen ist, das uns in allen Bereichen des Lebens umgibt und das wir nicht mehr loswerden.