| Lukas Brockfeld |
| 01.12.2025 16:26 Uhr |
Daniela Teichert, Christian Stallberg, Frank Wartenberg und Tim Steimle (v.l.n.r.) diskutierten über die Krise der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). / © Screenshot
Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) kämpft mit enormen finanziellen Problemen. Zum Jahreswechsel 2024/25 haben fast alle Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge deutlich erhöht. Experten rechnen bereits ab 2026 mit weiteren Beitragssteigerung von mehr als 3 Prozent. Die Politik streitet gerade intensiv über mögliche Maßnahmen – erst in der vergangenen Woche scheiterte die Sparpläne des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) im Bundesrat. Der demografische Wandel und steigende Behandlungskosten dürften die Probleme in den kommenden Jahren noch deutlich verschärfen.
Angesichts dieser Krise wurde am Montag auf der »Pharma Trends 2026« Konferenz in Berlin auch über die Frage »Reform zur Sicherung der GKV-Finanzierung – Skalpell oder Motorsäge?« diskutiert. Dafür waren Daniela Teichert (Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost), Tim Steimle (Leiter des Fachbereichs Arzneimittel der Techniker Krankenkasse) und Frank Wartenberg (President Central Europe beim Analysedienstleister IQVIA) eingeladen. Die Moderation übernahm Christian Stallberg.
Daniela Teichert hob gleich zu Beginn den Ernst der Lage hervor. »Wir haben an verschiedenen Stellen des Systems kleine Brände, aber noch brennt es nicht lichterloh. Wir haben seit Jahrzehnten das Problem der versicherungsfremden Leistungen. Unsere Versicherten zahlen immer mehr Geld, aber sie sehen nicht, dass sich etwas in ihrer Versorgung verbessert«, sagte die AOK-Vorsitzende. Daher hätten die Krankenkassen jetzt auch gegen die Finanzierung der Leistungen für Bürgergeldempfänger geklagt.
»In den letzten Legislaturperioden wurde immer mehr Geld ausgegeben als Einnahmen generiert werden konnten. Wir hatten noch in diesem Jahr einen historischen Anstieg der Zusatzbeiträge. Das zeigt, dass das System anfängt zu kippen«, mahnte Teichert. Deutschland müsse dringend bedarfsgerechte Strukturen aufbauen und mutige Reformen einleiten. Insbesondere im stationären Sektor seien massive Effizienzsteigerungen nötig.
Auch Tim Steimle warnte, dass das GKV-System bald einen »Kipppunkt« erreichen könnte. Deutschland habe im internationalen Vergleich sehr hohe Ausgaben für pharmazeutische Produkte und andere Gesundheitsleistungen. »Lassen Sie uns auf die patentgeschützten Arzneimittel schauen, da müssen wir sparen! Und lassen sie uns schauen, was im Bereich der Generika und Biosimilar möglich ist. Da müssen wir Zugang und Versorgung organisieren«, sagte Steimle. Ein mögliches Instrument hierzu sei eine Anpassung und Dynamisierung der Herstellerabschläge für Arzneimittel.
Frank Wartenberg reichte das nicht. »Der Herstellerabschlag ist das einfachste Instrument, um Geld in das System zu bringen. Das ist aber nicht nachhaltig. Das Instrument hat sich zwar in der Vergangenheit bewährt, aber es löst die Probleme nicht. Genauso wenig wie zusätzliche 50 Milliarden Euro ins System zu kippen. Wir müssen an die Strukturen ran und der größte Bereich sind hier die Krankenhäuser«, so der IQVIA-Experte. Auch bei den versicherungsfremden Leistungen müsse gespart werden.
Daniela Teichert betonte, dass aktuell genügend Geld im Gesundheitssystem sei, doch die Ausgaben müssten besser gesteuert werden. »Das geplante Primärarztsystem ist hier ein bisschen falsch. Wir wollen Primärversorgung organisieren. Das ist keine völlig arztzentrierte Versorgung. Das ist einer der limitierenden Faktoren, die wir uns nicht mehr leisten können«, so die Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost. Die Patientensteuerung müsse interdisziplinär erfolgen sodass nur die Menschen eine Praxis aufsuchen, die auch eine ärztliche Versorgung benötigen.
Auch Frank Wartenberg sprach sich für mehr interdisziplinäre Versorgung aus. »Wir haben vor 12 Jahren eine Studie gemacht. Da haben wir gesehen, wie Apotheken, die mit Ärzten vernetzt waren, die Versorgung von Kindern mit Epilepsie erheblich verbessert haben, mit deutlich geringeren Kosten«, erzählte Wartenberg. Das deutsche Gesundheitssystem müsse Schranken abbauen, was beispielsweise beim Impfen bereits passiere. Allgemein brauche es in vielen Versorgungsbereichen intelligentere und flexiblere Lösungen.