Gegen die Stigmatisierung von Schizophrenie |
Alexandra Amanatidou |
10.10.2025 18:00 Uhr |
Laut Zahlen des Pharmaunternehmens Johnson & Johnson liegt die Wahrscheinlichkeit, zu irgendeinem Zeitpunkt des Lebens an Schizophrenie zu erkranken, zwischen 0,5 und 1 Prozent. / © Imago/EHL Media
»Wir können die Krankheit und das Wort Schizophrenie hassen, aber nicht die Menschen, die mit dieser Herausforderung leben«, sagte Péter Kéri während der online Veranstaltung von Politico. Der Präsident des Globalen Bündnisses für die Interessenvertretung von Menschen mit psychischen Erkrankungen (GAMIAN) wurde im Alter von 43 Jahren selbst mit Schizophrenie diagnostiziert. »Menschen mit dieser Erkrankung können zwar viel erreichen, doch das Einzige, was in Erinnerung bleibt, wenn sie den Raum verlassen, ist ihre Erkrankung.«
Eine Schizophrenie beginnt meist im jungen Erwachsenenalter. Etwa 20 Prozent der Patienten haben eine dauerhafte Psychose, ebenso viele nur eine einmalige Episode. Im Vordergrund stehen oft die Positivsymptome wie Halluzinationen (akustisch, visuell, taktil) und Wahn, typischerweise Verfolgungswahn. Laut Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit etwa 23 Millionen Menschen oder 1 von 345 Menschen (0,29 Prozent) betroffen. Die Angaben variieren jedoch nach Studie. Laut Zahlen des Pharmaunternehmens Johnson & Johnson liegt die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an Schizophrenie zu erkranken, zwischen 0,5 und 1 Prozent. Das würde bedeuten, dass in Deutschland rund 800.000 Menschen betroffen sind.
Laut einer Studie des Generika- und Biopharmazeutika-Herstellers TEVA haben 88 Prozent der an Schizophrenie erkrankten Menschen negative Reaktionen von anderen erlebt und sich zu 89 Prozent schon einmal verurteilt gefühlt. Die gleiche Studie zeigt, dass sich 77 Prozent der Menschen ohne diese Erkrankung unwohl dabei fühlen würden, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der Schizophrenie hat, und dass 60 Prozent die Krankheit mit Gewalt assoziieren.
In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Wahrnehmung für die Erkrankung verändert, aber es gebe noch viel zu tun, sagte John Saunders, Geschäftsführer der Europäischen Föderation der Vereinigungen von Familien von Menschen mit psychischen Erkrankungen (EUFAMI). »Die Menschen müssen mehr über Schizophrenie erfahren, denn die damit verbundene Scham hält Menschen und Familien davon ab, nach Therapien und Hilfe zu suchen.« Wichtig sei es, Unterstützung aus der Familie zur erhalten und eine frühe Diagnose zu bekommen. »Stigma und Vorurteile können durch offenes Ansprechen überwunden werden«, so Saunders. Medien und Politik sollen mehr darüber sprechen.
Auch Ana Maria Tijerino Inestroza, Referentin für psychische Gesundheit bei der WHO-Europa bestätigte, dass eine der wichtigsten Methoden, um Stigmatisierung zu bekämpfen, das Gespräch mit Menschen sei, die diese Erfahrungen durchgemacht haben. »Soziale Kontakte sind der Weg. Bei der Genesung geht es nicht nur um Symptome, sondern auch um soziale Akzeptanz.« Genesung sei etwas sehr Persönliches und sei nicht für alle gleich. Laut Tijerino Inestroza sei es auch wichtig, dass Akteure die verschiedenen Aspekte der Krankheit, etwa finanzielle oder soziale, betrachten, nach Lösungen suchen. Auch Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, sollten an dem politischen Verhandlungstisch sitzen.
Die Europäische Union habe einen neuen Fokus auf das Thema mentale Gesundheit gesetzt, insbesondere nach der Corona-Pandemie, die die psychische Gesundheit vieler junger Menschen beeinflusst hat, sagte Tomislav Sokol, EU-Abgeordnete für die Partei »Kroatische Demokratische Gemeinschaft« und Mitglied der Interfraktionellen Arbeitsgruppe für psychische Gesundheit.
»Schätzungen zufolge hatten im Jahr 2019 mehr als 14 Millionen junge Menschen im Alter von 15 bis 29 Jahren psychische Probleme«, so die Daten der Europäischen Union. Auch aus dem Bericht »Health at a glance« der internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht hervor, dass sich der Anteil junger Menschen mit Angst- und Depressionssymptomen in mehreren Mitgliedstaaten im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie mehr als verdoppelt hat.
Die EU konzentriere sich auf Prävention, den Austausch von »Best Practices« und die Unterstützung lokaler Gemeinschaften, sagte Sokol. Der Politiker ist der Meinung, dass ein verbesserter Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten, Unterstützung für die betroffenen Familien und die Bekämpfung von Stigmatisierung notwendig seien. Auch grenzüberschreitende, klinische Studien zu Schizophrenie seien notwendig. Investitionen, die Menschen mit Schizophrenie unterstützen, sind laut Sokol »die beste Investition«.
Anlässlich des Welttages für psychische Gesundheit fanden in den Bundesländern Aktionen und Diskussionsrunden statt, darunter die öffentliche Auftaktveranstaltung im Berliner Pfefferberg.
Auch in den Zentren für Psychiatrie in Baden-Württemberg finden bis zum 20. Oktober zahlreiche Veranstaltungen statt. In diesem Jahr steht das Thema »Zugang zu Diensten und Leistungen – psychische Gesundheit in Katastrophen und Notfällen« im Mittelpunkt.
»Menschen, die Opfer von Katastrophen, Gewalt- oder Notfallsituationen werden, sind einem hohen Risiko ausgesetzt, dass ihre psychische Gesundheit leidet. Gleichzeitig sind Menschen mit psychischen Erkrankungen in Krisen- und Katastrophensituationen besonders verwundbar und benötigen besonderen Schutz«, sagte Sozial- und Gesundheitsminister Manne Lucha.
Die Bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach warb in einer Pressemitteilung für mehr Offenheit im Umgang mit psychischen Erkrankungen. »Psychische Erkrankungen dürfen kein Tabu in unserer Gesellschaft sein. Denn es ist wichtig, dass Betroffene schnell Hilfe erhalten. Von großer Bedeutung ist dabei insbesondere die Stärkung der psychischen Gesundheit von jungen Menschen.«
Dazu erläuterte sie den neuen »Masterplan Prävention«. Dieser umfasse insgesamt 250 Maßnahmen, um die Gesundheit der Menschen in Bayern zu stärken. »Dazu zählen auch verschiedene Maßnahmen, um die psychische Gesundheitsförderung insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zu intensivieren.«