Fußball besser mit Kopfschutz? |
Christina Hohmann-Jeddi |
20.10.2021 12:00 Uhr |
Wiederholte Kopfstöße erhöhen bei Profifußballern das Risiko für eine neurodegenerative Erkrankung. / Foto: Getty Images/David Madison
Vor zwei Jahren habe eine Kohortenstudie aus Schottland gezeigt, dass bei Profifußballspielern die Sterblichkeitsrate durch neurogenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Morbus Alzheimer sowie Motoneuronerkrankungen wie die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) signifikant höher ist als in Vergleichsgruppen der Allgemeinbevölkerung (»NEJM« 2019). Das berichtet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einer Pressemitteilung. Insgesamt fanden sich bei Fußballprofis dreimal häufiger neurodegenerative Hauptdiagnosen auf dem Totenschein (1,7 Prozent versus 0,5 Prozent).
Nun analysierte ein Team um Emma Russel von der Universität Glasgow diese retrospektive Kohorte mit 7676 ehemaligen Fußballprofis sowie mehr als 23.000 mit Blick auf Alter, Geschlecht und sozialen Status gematchten Kontrollpersonen aus der Allgemeinbevölkerung genauer. Hierbei wurden mögliche Assoziationen des Risikos für die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen in Bezug auf die Spielfeldposition der Fußballer, die Länge der Berufskarriere und die Geburtsjahrgänge ermittelt.
Insgesamt wurde bei 386 der ehemaligen Berufsfußballspieler (5 Prozent) und 366 der gematchten Kontrollen (1,6 Prozent) eine neurodegenerative Erkrankung identifiziert. Das Risiko war damit um den Faktor 3,7 erhöht, berichten die Forschenden im Journal »JAMA Neurology«. Am häufigsten, nämlich um den Faktor 5 höher, waren Verteidiger betroffen. Torhüter hatten verglichen mit der Allgemeinbevölkerung kein signifikant erhöhtes Risiko. Auch die Karrierelänge war entscheidend: So war das Risiko am höchsten bei einer Berufskarriere von mehr als 15 Jahren (Hazard Ratio 5,2). Hinsichtlich der Geburtsjahrgänge war das Risiko für alle zwischen 1910 und 1969 geborenen Spieler ähnlich.
Das Team sieht die Ergebnisse als Bestätigung der Hypothese, dass wiederholte Kopfverletzungen, auch wenn es sich dabei nicht um schwere Schädel-Hirntraumen handelte, das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen beziehungsweise eine chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE) erhöhen können, da Spieler in Verteidigungsposition ein deutlich höheres Risiko hatten als andere Feldspieler. Der Zusammenhang mit der Karrierelänge spricht für eine Bedeutung der kumulativen Exposition.
»Die chronische traumatische Enzephalopathie durch wiederholte leichtgradige Kopfverletzungen bei Sportarten wie Boxen, Fußball, American Football, Rugby oder Eishockey ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen«, erklärt Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN. »So können Schutzmaßnahmen durchaus sinnvoll sein und haben sich in vielen Risikosportarten bereits etabliert. Angesichts der Daten sollte nun auch beim Fußball ein Kopfschutz erwogen werden. Dies können dämpfende Helme sein oder andere neuartige Entwicklungen, wie beispielsweise ein dieses Jahr von der FDA zugelassenes spezielles Stoßschutz-Device.«
Der sogenannte Q-Collar wird um den Hals getragen und übt einen geringen Druck auf die Halsschlagadern aus. Dadurch wird die Durchblutung des Gehirns minimal erhöht, weshalb durch die Volumenzunahme die Bewegung des Gehirns im Schädel reduziert wird. Es kann bei Stößen gegen den Kopf nicht mehr so stark gegen den Schädel stoßen.
Die DGN betont, wie wichtig Sport dennoch ist. »Gerade beim Amateur- und Jugendsport ist die Datenlage zum möglichen Risiko neurodegenerativer Erkrankungen bei entsprechenden Sportarten nicht ausreichend«, so Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. Zudem habe Sport nachweislich positive Effekte auf die Gesundheit und insbesondere auf das Gehirn. »Wahrscheinlich überwiegt insgesamt der Nutzen die Risiken. Dies sollte uns aber nicht davon abhalten, potenzielle Risiken bestimmter Sportarten zu minimieren.«