Für diese Phytos gibt es Evidenz |
Pflanzliche Mittel gegen Atemwegserkrankungen und Husten stehen an erster Stelle des Phytopharmakamarkts. Was ist empfehlenswert? / © Getty ImagesYana Tatevosian / 500px
Als Phytopharmaka-Experte zeigte sich Fürst von der jüngst aktualisierten S2k-Leitlinie zur »Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten« enttäuscht. »Was die pflanzlichen Arzneimittel betrifft, ist das ein Rückschritt zur Vorgängerversion der Leitlinie. Klare Aussagen, welche Extrakte gute klinische Daten haben und dass Phytopharmaka zum Teil mehr Evidenz besitzen als die chemisch-synthetischen Arzneistoffe, fehlen diesmal.«
Die Vorgängerleitlinie habe mehr Orientierung geboten - auch weil niedergeschrieben war, dass Wirksamkeitsbelege extraktgebunden sind. »Ohne die Nennung von Handels- beziehungsweise – wenn vorhanden – Extraktnamen ergeben sich aus den Angaben in der Leitlinie wenig hilfreiche Hinweise. Ist etwa von Eukalyptusöl die Rede, ist das sehr unkonkret«, sagte der pharmazeutische Biologe im Gespräch mit der PZ.
Beispielsweise habe das Präparat Angocin® Anti-Infekt N gezeigt, dass es die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Atemwegsinfektionen gegenüber Placebo verringern kann. »Die Fixkombination aus Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel verfügt über eine aussagekräftige Studie mit mehreren hundert Personen, die das vorbeugende Potenzial gegen Infekte in der Erkältungssaison beweist. Danach gab es 40 Prozent weniger Erkältungen in der Verumgruppe.« Zugelassen ist Angocin® Anti-Infekt für die Indikationen Bronchitis und Sinusitis, nicht dagegen zur Prävention.
Die Evidenz im Bereich Atemwege ist jedoch laut Fürst nicht so gut wie im Bereich der ableitenden Harnwege. Senföl-haltige Zubereitungen - die genannte gepulverte Drogenmischung ist das einzige in Deutschland verfügbare Arzneimittel - verfügen über ein breites antimikrobielles Wirkspektrum, was sich zur Prophylaxe und Therapie von immer wiederkehrenden unkomplizierten Harnwegsinfektionen nutzen lässt. »Die Datenlage der enthaltenen Isothiocyanate ist auch deutlich besser als etwa die zu Bärentraubenblättern«, so Fürst.
Nachteil des Präparates: Dadurch, dass es sich nicht um einen Extrakt, sondern um die gepulverten Drogen handelt, sind relativ viele Tabletten einzunehmen. »Hier wäre es zu begrüßen, wenn die Herstellerfirma nachlegen und zum Extrakt übergehen würde.« Eine HMPC-Monographie des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel bei der Europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMA zu dieser Fixkombination gibt es nicht.
Als evidenzbasiert stellte Fürst auch Purpursonnenhutkraut-Presssaft vor, der zur kurzzeitigen Prävention und Therapie von Atemwegsinfekten eingesetzt werden kann. Es gebe eine Well-established-Use-Monographie des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der EMA für Presssaft oder Trockenextrakt. Studien, zum Beispiel mit Echinacin®, hätten gezeigt, dass es »den Patienten schneller besser geht und das ist entscheidend«. Dies gelte auch für den Trockenextrakt Esberitox® mono und compact. Alle anderen Zubereitungen wie aus Echinaceae pallidae radix oder E. angustifolia radix sind lediglich Arzneizubereitungen nach traditioneller Anwendung.
Bei einer akuten Rhinosinusitis kann das Apothekenteam laut der in Überarbeitung befindlichen S2k-Leitlinie eine Behandlung mit dem patentierten (Misch-)Extrakt BNO 1016 (Sinupret® extract) oder mit »definierten Eukalyptus-Extrakten« – wie es in der Leitlinie heißt – empfehlen. Zum Tragen kommen die sekretolytischen und entzündungshemmenden Effekte der Inhaltsstoffe. Bei rezidivierender oder chronischer Rhinosinusitis gebe es hingegen keine Empfehlung, so der Experte.
Auch reines 1,8-Cineol (Soledum® forte, Sinolpan® forte), definitionsgemäß als Reinsubstanz kein Phytopharmakon, könne die Symptome bei akuter nicht eitriger Rhinosinusitis um mehrere Tage schneller verbessern. »Auch hier gibt es valide Daten, die Hersteller haben ihre Hausaufgaben gemacht.« Einen deutlichen Benefit habe Pelargonium-sidoides-Extrakt EPs® 7630 (Umckaloabo®) bei Erwachsenen mit bakterieller Sinusitis gezeigt. »Das sind interessante Studiendaten, aber es hat keine Zulassung dafür.«
Dürftig sieht es mit Evidenzen laut Fürst bei der Indikation Halsschmerzen aus. In der aktuellen S3-Leitlinie zu Pharyngitis werde ein Salbeifluidextrakt-Rachenspray positiv erwähnt, das in Deutschland aber nicht auf dem Markt ist. »Zum einen halte ich die Darreichungsform als Spray für effektiver als Lutschen und Gurgeln und zum anderen hat Salbei eine entzündungshemmende Komponente.« Bedauerlich findet es Fürst, dass Umckaloabo® in einer doppelblinden randomisierten placebokontrollierten Studie bei Kindern mit Tonsillopharyngitis »beeindruckend schneller wirkte, es dafür aber nicht zugelassen ist. Die 78 mit Verum behandelten Kinder waren nach einer Woche annähernd symptomfrei«.
Die beste Evidenzlage gibt es laut dem Pharmazeuten für die Indikation Erkältungshusten und Bronchitis. Randomisierte klinische Studien belegen eine Linderung der Intensität und ein schnelleres Abklingen des Hustens gegenüber Placebo für folgende Zubereitungen:
Die Pflanzenauszüge haben einen rund zwei bis zweieinhalb Tage schnelleren Heilungsverlauf von Atemwegsinfekten und Bronchitis. Dabei reduzieren sie die Hustenattacken und Sputum. Wie stellt man sich die Wirkweise vor? Die expektorierend wirkenden Inhaltsstoffe helfen, die Sekretviskosität zu normalisieren und über die Aktivierung der Flimmerhärchen die körpereigene mukoziliäre Clearance anzutreiben. Das fördert das Abhusten von Sekret. Sputum, das leichter abgehustet werden kann, entlastet die Hustenrezeptoren. Das Saponin α-Hederin in Efeuextrakten wirkt außerdem indirekt bronchodilatierend: Indem es die Zahl von β2-Zellen auf der Bronchialschleimhaut erhöht, verbessert es auch deren Ansprechbarkeit durch Adrenalin, was bronchospasmolytisch wirkt.
Fürst legt Wert darauf, dass Phytopharmaka als Vielstoffgemische nicht streng nach Expektorans oder Antitussivum einzuteilen sind. Allein schon die Bezeichnung »antitussiv wirksam« passe für eine pflanzliche Zubereitung nicht. »Schließlich haben pflanzliche Arzneimittel einen anderen Wirkmechanismus als die zentral angreifenden Antitussiva.“«
Vielmehr gebe es Phytopharmaka, die sich gegen Reizhusten wenden. Präparate mit Schleimstoff-haltigen Drogen wie Isländisch Moos (zum Beispiel Isla® Halspastillen), Eibisch (zum Beispiel Bronchostop®, Phytohustil®, Naturalis® Mund- und Rachenspray) oder Primelwurzel (zum Beispiel Ipalat® Halspastillen) befeuchten die Schleimhäute, indem sie den Speichelfluss anregen und mucilaginös wirken. Die in den Schleimstoffen enthaltenen Polysaccharide bilden mit dem Speichel eine Art Schutzfilm, der sich an die Schleimhaut anhaftet. Entzündete Epithelzellen werden so vor weiteren Reizen geschützt.
Bei den Bronchitis-Phytopharmaka gingen entzündungshemmende und antiinfektive Effekte Hand in Hand, weil sich darunter viele Ätherisch-Öl-Drogen befinden, die beides können. »Das Besondere im Bereich der Naturstoffe im Infektionsbereich ist, dass sie einen breiten Ansatz haben sowie meist antiviral und antibakteriell wirken.« Bestes Beispiel sei der Pelargonium-Spezialextrakt EPs 7630. »Sein Wirkprinzip ist nicht auf einen Mechanismus zu reduzieren, sondern als synergistisches Zusammenspiel mehrerer Wirkansätze zu sehen. Besonders ist die immunstimulierende Komponente.«
Der Spezialextrakt wirkt gegen ein breites Spektrum an (Erkältungs-)viren wie Rhino- und Influenzaviren oder SARS-CoV-2 und unterstützt die Abwehrkräfte, bevor sich eine Infektion ausgebreitet hat. Der Extrakt ist in der Lage, sowohl das Eindringen in als auch das Ausschleusen von Viren aus Schleimhautzellen zu verhindern. »Eine Wirkung, die kein chemisch definierter Arzneistoff besitzt«, erklärte der Experte.
So hemmt der Extrakt den Zelleintritt etwa von Influenzaviren, indem er deren Hämagglutinin-Andockstellen besetzt. Nach der Replikation in der Zelle wird der Austritt per Neuraminidasehemmung erschwert. Durch die Stimulation von Interferon ß schützt er zudem nicht nur Zellen vor der Zerstörung, sondern aktiviert auch die natürlichen Killerzellen der körpereigenen Abwehr. So entstehen insgesamt weniger Viren und die Belastung wird eingedämmt.
Auch zu bereits lange genutzten Heilpflanzen kann es neue Fakten geben. So kann Fenchelöl höhere Konzentrationen der Substanz Estragol enthalten, die im Verdacht steht, kanzerogen zu sein. Fencheltee sollte daher nicht von Kindern bis zum Alter von vier Jahren und nicht von Stillenden getrunken werden. Darauf wies die Europäische Arzneimittelagentur EMA vor zwei Jahren hin.
Die Substanz führte in Tierversuchen in hohen Dosen zu Krebs in der Leber. Da der Estragol-Gehalt im Fenchelöl stark schwanken kann, wird bei kleinen Kindern und Stillenden vorsorglich von der Anwendung von Fencheltee abgeraten. Auch bei älteren Kindern bis zum elften Lebensjahr sollte Fencheltee nur zurückhaltend zum Einsatz kommen, so die EMA.
»Die Estragol-Problematik ist schon länger bekannt, allerdings unter experimentellen Bedingungen. Forschungsprojekte untersuchen nun genauer, wie viel Estragol durch Teezubereitungen überhaupt aufgenommen wird, um relevante toxikologische Einschätzungen geben zu können. Besonders die innerliche Anwendung von reinem Fenchelöl wird immer kritischer gesehen«, wertete Fürst.
Zurzeit prüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Sicherheit fenchelhaltiger Lebensmittel wie Tees. Die Behörde hatte für den Herbst eine Stellungnahme angekündigt.