Früher testen, länger leben |
Annette Rößler |
30.05.2025 16:20 Uhr |
HIV-Selbsttests aus der Apotheke haben ein diagnostisches Fenster von zwölf Wochen. So lange nach einer frischen HIV-Infektion kann diese also mit den Tests nicht nachgewiesen werden. / © picture alliance/dpa-tmn
Wie stark die Immundefizienz bei einem Patienten mit HIV-Infektion bereits fortgeschritten ist, lässt sich an der Zahl der CD4-Zellen im Blut ablesen. Diese liegt bei Gesunden zwischen 500 und 1500 pro µl Blut, bei HIV-Infizierten deutlich darunter, weil der Erreger die Immunzellen zerstört. »Unter 200 CD4-Zellen pro µl Blut besteht ein substanzieller Immundefekt«, sagte Professor Dr. Christoph Spinner von der Technischen Universität München beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran.
Menschen mit einer so niedrigen CD4-Zellzahl haben ein hohes Risiko für Aids-definierende Erkrankungen. Hierzu zählen bestimmte andere Virus-, Pilz-, bakterielle oder parasitäre Infektionen, zum Beispiel mit Cytomegalieviren, Mycobakterien oder Pneumocystis, aber auch Krebserkrankungen wie ein Non-Hodgkin-Lymphom oder ein Kaposi-Sarkom. Wird eine Aids-definierende Erkrankung diagnostiziert, sollte der Patient auf HIV getestet werden.
Das gilt auch bei den sogenannten Indikatorerkrankungen, etwa andere sexuell übertragbare Infektionen, Herpes zoster, Hepatitis B oder C sowie ungeklärtes Fieber. Indikatorerkrankungen deuten auf einen Immundefekt oder ein riskantes Sexualverhalten hin. Bei mehr als 0,1 Prozent der Patienten mit einer solchen Erkrankung liegt eine nicht diagnostizierte HIV-Infektion vor.
Professor Dr. Christoph Spinner / © PZ/Alois Müller
Spinner zitierte eine Untersuchung aus Berlin, in die 270 sogenannte Late Presenters, also Patienten mit spät gestellter Diagnose einer HIV-Infektion, eingeschlossen waren (»HIV Medicine« 2016, DOI: 10.1111/hiv.12403). In dieser Studie waren die häufigsten Indikatorerkrankungen eine Soor-Ösophagitis, ein Wasting-Syndrom, also ein ungewollter Gewichtsverlust von mehr als 10 Prozent in sechs Monaten, und eine Pneumozystose. »Erschreckend war, dass jeder fünfte Studienteilnehmer zuvor Kontakt mit dem Gesundheitswesen gehabt hatte, ohne dass ihm ein HIV-Test angeboten wurde – trotz Indikatorerkrankung«, sagte Spinner.
Das von UNAIDS definierte Ziel, dass mindestens 95 Prozent der mit HIV infizierten Menschen sich dessen bewusst sein sollen, wird in Deutschland verfehlt. Hierzulande sind es nur 92 Prozent. Im Zweifelsfall gelte: lieber ein HIV-Test zu viel als zu wenig, so der Infektiologe, der hierbei auch Apothekenteams in der Pflicht sieht. Es sei wichtig, die Indikatorerkrankungen zu kennen und Betroffene zu einem HIV-Test zu motivieren, auch wenn das Thema zugegebenermaßen oft heikel sei. Auf der Website der Initiative Eurotest steht ein Leitfaden zu HIV-Indikatorerkrankungen für Angehörige von Gesundheitsberufen zur Verfügung.