Frühchen-Geburt – ein Papa erzählt |
Jennifer Evans |
08.05.2025 09:00 Uhr |
Bei einer Frühgeburt leiden nicht nur die Mütter, sondern auch die Väter. Vielen Krankenhäusern täte mehr Sensibilität gut. / © Adobe Stock/Tobilander
PZ: Sie sind Vater von Zwillingen, die zehn Wochen zu früh zur Welt kamen. Wie haben Sie diese emotionale Situation in deutschen Krankenhäusern erlebt?
Pelz: Ein Fall wie unserer ist für die Ärzteschaft und das Pflegepersonal Routine. Unsere Kinder waren zwar Frühgeborene, aber in einem Zustand, der vergleichsweise stabil war. Als Eltern empfindet man das jedoch völlig anders. Es ist eine Extremsituation. Doch unsere Erfahrungen in zwei verschiedenen Krankenhäusern waren sehr unterschiedlich. In der ersten Klinik, in der wir waren, weil unsere Kinder während des Urlaubs per Kaiserschnitt geholt werden mussten, brachte uns das Krankenhauspersonal sehr viel Verständnis entgegen. Es erkannte, wie schwer und existenziell diese Situation für uns war. Ärzte und Pfleger fragten uns, wie es uns geht, und die Antwort interessierte sie wirklich. Einige schenkten uns ein Lächeln oder lobten uns, wenn wir etwas gut gemacht hatten. Das ist sehr viel wert, wenn man überfordert ist.
PZ: Wie war es im zweiten Krankenhaus?
Pelz: Als die Kinder nach zwei Wochen in eine Klinik in unserem eigentlichen Wohnort kamen, herrschte dort ein anderer Ton. Zwar gab es auch nette Mitarbeitende, aber grundsätzlich sprach man mit uns eher vorwurfsvoll. Warum können Sie das immer noch nicht? Oder: Sie müssten doch jetzt schon viel weiter sein. Gemeint war die Erwartung, dass wir sofort in der Lage sein sollten, unsere Kinder richtig versorgen zu können. Wir hatten das Gefühl, dass wir unser Bestes geben und täglich viel hinzulernen, aber wir sind nun mal keine Profis.
PZ: Ist in dem hektischen Krankenhaus-Alltag »nur« das Menschliche zu kurz gekommen oder hatte er auch Auswirkungen auf die medizinische Betreuung beziehungsweise Beratung?
Pelz: Im zweiten Krankenhaus bekamen wir im Prinzip keine richtige medizinische Beratung. Teilweise fragten uns die Ärzte selbst, wie die Medikation unserer Kinder aussieht und welche Untersuchungen bereits gemacht wurden. Sie hatten offenbar keine Zeit, die Akte zu lesen. Leider wussten wir oft nicht, welche Checks schon stattgefunden hatten, weil fast niemand mit uns sprach. Zur Visite kamen in der Regel wechselnde Ärztinnen und Ärzte. Und irgendwann haben meine Frau und ich einfach gehofft, dass es den Kindern relativ gut gehen muss, wenn die Mediziner immer kürzer vorbeischauen und keine zu umfassenden Behandlungen durchführen. Aber die Unsicherheit blieb.
PZ: Hat Ihnen diese Ungewissheit Angst gemacht?
Pelz: Wir waren besorgt und fragten uns, ob die Ärzte bei den flüchtigen Visiten und Untersuchungen überhaupt mitbekommen, was mit unseren Kindern los ist oder womöglich etwas übersehen. Wir hatten völliges Neuland betreten und waren überfordert. Durch eine bessere Kommunikation hätte man uns dieses Angstgefühl sicher nehmen können.
PZ: Was muss sich in der Kommunikation im Krankenhaus ändern?
Pelz: Für uns wäre gut gewesen, wenn das medizinische Personal im zweiten Krankenhaus Offenheit zum Austausch signalisiert hätte. Nach dem Motto: Eltern fragt ruhig, kein Problem, wir erklären euch und zeigen euch alles. Oder: Es ist gar nicht schlimm, wenn ihr etwas nicht wisst. Das baut Ängste schnell ab. Man muss den Angestellten zugutehalten, dass sie oft wohl keine Kraft mehr hatten, um zu Eltern besonders sensibel oder mitfühlend zu sein. Es muss in der Zukunft doch möglich sein, eine Atmosphäre zu schaffen, in der eine gute Arbeit kräftemäßig leistbar ist. Das entspricht auch dem Anspruch einiger Krankenhausmitarbeitenden, die wir kennengelernt haben.
PZ: Bei einer Frühchen-Geburt liegt der Fokus oft auf den Müttern und nicht auf den Vätern. Muss sich die Gesellschaft wandeln?
Pelz: Grundsätzlich ist es gut und richtig, dass die Mütter im Mittelpunkt stehen, weil sie die Hauptlast der Geburt tragen. Aber die Väter sollen nicht vergessen werden. Ich glaube, langsam baut sich in der Gesellschaft, in der Medizin und in den Familien die traditionelle Sichtweise ab, dass die Geburt in erster Linie Frauensache ist und die Männer nur danebenstehen. Meiner Ansicht nach gibt es noch Nachholbedarf. Auch bei Frühgeburten ist es wichtig für Kliniken, die Väter mit einzubeziehen, ihnen alles zu erklären und sie anzulernen – schließlich geht es um den Umgang mit einem unheimlich fragilen Wesen. Und für Männer ist meines Wissens nach die Sorge noch größer, das zerbrechliche Baby zu verletzen.
Auch auf politischer Ebene muss etwas passieren. Vätern von Frühchen oder Kindern mit Behinderung sollte es ermöglicht werden, unmittelbar nach der Geburt ein paar Tage für ihre Familie da sein zu können. Und auch eine Form staatlicher Unterstützung zu bekommen. Denn nicht jeder kann sich das finanziell leisten. Ich hatte einen sehr kulanten Arbeitgeber, aber ich weiß, das ist nicht überall so.
PZ: Wie hat es sich für Sie angefühlt, wenn die eigenen Kinder an Schläuchen hängen und man sie nicht berühren kann?
Pelz: Das hat unfassbar wehgetan. Es existiert der innige Wunsch, seine Kinder auf den Arm zu nehmen, sie auf der Brust liegen zu haben – und dann steht man vor so einem Inkubator und ist vom guten Willen anderer Menschen abhängig. Das ist eine unfassbar schwierige und schmerzhafte Situation. Oft habe ich mir gesagt, dass die Phase vorbeigeht – mal gelang es mir erfolgreicher, mal weniger. Dabei habe ich an eine Bergwanderung gedacht. Bis man oben ist, ist es sehr anstrengend. Aber irgendwann steht man auf dem Gipfel. Und dann ist man froh und vielleicht auch stolz, dass man durchgehalten hat und alles geschafft hat. Die Ärztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal können auch hier viel zur Hoffnung beitragen, indem sie kommunizieren, dass ein Kind nicht immer dieses kleine fragile Wesen im Inkubator bleiben wird.
PZ: Betreten Sie nach dieser Erfahrung Krankenhäuser mit einem anderen Gefühl?
Pelz: Ich werde dieses Erlebnis niemals vergessen und es ist natürlich auch mit einer gewissen Emotionalität verbunden. Sicherlich bin ich Ärztinnen und Ärzten gegenüber misstrauischer geworden. Zum Beispiel hatten wir beim Entlassungstermin um Vorlauf gebeten, weil wir keine Familie zur Unterstützung vor Ort hatten. Und dann sollte meine Frau plötzlich von heute auf morgen die Klinik verlassen. Sie ist aus allen Wolken gefallen. Das hat eine Menge Vertrauen gekostet. Klar sind die Kliniken überlastet, aber hinzu kommt das Gefühl, kein individueller Fall zu sein, sondern nur eine Zahl. Das hat mich geprägt. So denke ich manchmal, werden meine Liebsten tatsächlich adäquat behandelt oder geht es darum, eine Diagnose zu verharmlosen, damit die Behandlung möglichst billig wird? Auch wenn ich eigentlich gar nicht so misstrauisch sein will.
PZ: Sind Sie als Vater ängstlicher als Sie es womöglich ohne diese Erlebnisse geworden wären?
Pelz: In der ersten Zeit nach dem Krankenhaus auf jeden Fall ja. Es war ein seltsames Gefühl, weil plötzlich keine Überwachung mehr da war, kein Knopf, den man drücken konnte, um Hilfe zu holen. Mir war das Risiko um eine übertriebene Ängstlichkeit bewusst und ich habe darauf geachtet, nicht übervorsichtig zu werden. Aber meine Kinder haben mir geholfen. Als sie mit kindlichem Zutrauen anfingen, ihre Welt zu entdecken und schließlich mit dem Laufrad durch die Gegend flitzten, schwand die Angst und ich sagte mir: Sie gehen schon ihren Weg. Zum Glück sind auch keine erkennbaren Spätfolgen zurückgeblieben. Das beruhigt. Und je mehr Vorsorgeuntersuchungen positiv ausfallen, desto leichter wird es, die Erfahrung irgendwann zu einem Kapitel werden zu lassen, das man abschließen kann.
Daniel Pelz: Frühchenpapa – Ein Wegbegleiter, Brandes & Apsel Verlag, 2022, 152 Seiten, ISBN: 978-3-95558-333-0, EUR 14,90