Freunde fressen Hirnkapazitäten |
Jennifer Evans |
13.11.2023 07:00 Uhr |
Sandkasten-Freundschaft: Wer schon als Kind und Jugendlicher enge Freundschaften hatte, wird später mal selbstbewusster und glücklicher. / Foto: Getty Images/ozgurcankaya
Der eine hat einen riesigen Freundeskreis, der andere nur eine Handvoll Vertraute. Irgendwie scheint es Typsache zu sein. Stimmt aber nicht. Es kursiert nämlich schon seit gut drei Jahrzehnten eine Zahl in der wissenschaftlichen Welt, wie viele soziale Beziehungen ein Mensch überhaupt pflegen kann. Und zwar sind es 150. Die sogenannte »Dunbar-Zahl«, benannt nach ihrem Erfinder, dem Anthropologen Robin Dunbar. Seine Untersuchungen hatten gezeigt, dass sich die Personen im eigenen Netzwerk zwar verändern können, aber die Anzahl der Sozialkontakte im Laufe des Lebens mehr oder minder konstant bei 150 bleibt. Dazu zählen übrigens neben Verwandten und Freunden auch Nachbarn und Kollegen. Erklärungen fand der Forscher seiner Zeit auch in der Geschichte. Schon in steinzeitlichen Siedlungen lebten demnach meist rund 150 Personen. Auch Sippen von Jägern und Sammlern sowie nordamerikanische Glaubensgemeinschaften schlossen sich häufig zu Gruppen von etwa 150 Personen zusammen.
Für diese Obergrenze gibt es auch einen guten Grund. Sie hängt mit der Größe unseres Gehirns zusammen, wie Dunbar bei seinen Studien mit Affen feststellte. Je größer eine Gemeinschaft, desto größer muss auch das Gehirn ihrer Mitglieder sein, um all die sozialen Informationen verarbeiten zu können. Oder anders: Die Größe einer Gruppe wuchs proportional zur Größe des Neocortex im Gehirn der Affen. Und wird die Gruppe zu groß, reichen die geistigen Kapazitäten dafür nicht mehr aus – und sie zerfällt. Für Menschen heißt das, ab 150 Sozialkontakten können wir uns einfach nicht mehr alles merken. Woher kenne ich die Person, was kann sie und was mag sie eigentlich?
Es hat sich in den letzten Jahren aber gezeigt, dass die sozialen Medien die Grenze wohl etwas nach oben verschoben haben, aber sie nicht gänzlich aushebeln. Zuletzt war von 180 bis 200 Individuen die Rede, die ein einzelner Mensch managen kann. Auch bei Online-Kontakten ist irgendwann Schluss. Jeder Deutsche hat laut dem Hamburger Marktforschungsinstitut »Splendid Research« durchschnittlich sechs Freunde. Zwei Drittel der mehr als 1000 Befragten zählen drei bis zehn Personen zu ihrem Freundeskreis, bei mehr als 15 Prozent sind es elf bis 20 Menschen. Weitere je 10 Prozent haben entweder mehr als 21 oder weniger als zwei Freunde. Wenn es um »wahre Freunde« geht, nennen die Bundesbürger jedoch eine deutlich niedrigere Zahl: Im Schnitt hat jeder drei beste Freunde.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine repräsentative Umfrage der beiden Marktforschungsunternehmen SINUS-Institut und YouGov unter mehr als 2000 Personen. Demnach haben die Deutschen im Schnitt 3,7 enge Freunde und zählen elf Personen zu ihrem erweiterten Freundeskreis. Als Kriterien dafür nannten sie, ob man mit diesen Menschen ehrlich über alles reden kann, ob eine Balance zwischen Geben und Nehmen herrscht und ob gleiche Wertevorstellungen existieren. Im Übrigen gaben drei Viertel der Befragten an, dass man wahre Freundschaften nur real und nicht virtuell führen kann.
Ein kleineres soziales Netzwerk hat aber auch Vorteile für die Gesundheit. So kam vor vier Jahren eine britisch-amerikanische Langzeitstudie zu dem Ergebnis: Wer im Jugendalter wenige, aber sehr enge Freunde hatte, leidet im Erwachsenenalter seltener an Depressionen oder Angst. Diese Erkenntnis bestätigte ebenfalls eine Untersuchung der internationalen Fachgesellschaft Society for Research in Child Development. Wer in der Schulzeit zu einer großen Clique gehörte und beliebt war, ist später nicht unbedingt zufriedener. Glücklicher und selbstbewusster entwickelten sich hingegen diejenigen Jugendlichen, die wenige, aber dafür wahre Freunde hatten. Die Wissenschaft geht davon aus, dass tiefgründige Freundschaften die Persönlichkeitsentwicklung fördern und die Menschen so später selbstbewusster machen.
Eine Verbundenheit kann im Übrigen auch über die Landesgrenzen hinweg existieren. Die Deutschen empfinden die stärkste Freundschaft zu Frankreich (42 Prozent), gefolgt von Österreich (26 Prozent) und den Niederlanden (23 Prozent). Das ermittelte ebenfalls das Sinus-Institut und YouGov. Für die Österreicher sind umgekehrt die Deutschen die besten Freunde.
Weißstirn-Kapuzineraffen stecken ihren Kumpels zur Begrüßung einen Finger in die Augenhöhle. / Foto: Adobe Stock/theins
Aber nicht nur für Menschen sind Freundschaften im Leben wichtig. Auch Tiere wie Affen, Zebras, Murmeltiere, Elefanten und Wale haben ihre Kumpels, die sie schätzen, weil sie ihnen ähnlich sind, sie gleichalt sind oder weil sie ihnen vertrauen. Das berichten Tierverhaltensforschende von der englischen Universität Exeter auf der Wissenschaftsplattform »The Conversation«. Wie wichtig körperliche Berührung für eine Beziehung sein kann, lässt sich auch in der Tierwelt beobachten.
Saatkrähen streicheln ihre Freunde zum Beispiel mit dem Schnabel. Weißstirn-Kapuzineraffen begrüßen ihre Best Buddies, indem sie sich gegenseitig die Finger in die Augenhöhle stecken. Delfine empfinden Nähe, wenn sie über weite Entfernungen hinweg Rufe austauschen. Freundschaften können sogar bei Arten entstehen, die einander sonst meiden. Wenn ein territorial veranlagtes rotes Eichhörnchen dauerhaft denselben Nachbarn hat, verbringt es irgendwann weniger Zeit und Energie damit, sein Revier zu verteidigen. Und kommt dem Artgenossen sogar näher.
Sozial integrierte Schwertwale oder Wölfe überleben bei Nahrungsknappheit nachgewiesenermaßen sogar länger als solche, die keine Kameraden haben. Das liegt den Wissenschaftlern zufolge daran, dass Freunde Nahrung teilen und sich gegenseitig helfen, sprich Informationen austauschen, wo Essen zu finden ist. Für alle Lebewesen scheint also eins zu gelten: Wer Freunde hat, ist glücklicher und lebt länger.