Freiheitsstrafe für »Paxlovid-Apotheker« |
Alexander Müller |
03.12.2024 14:44 Uhr |
Landgericht Berlin: Die Richter entschieden heute über die Strafe für einen Apotheker, der sich wegen Paxlovid-Handel verantworten musste. / © PZ
Der Apotheker Michael S. hatte im Januar 2023 insgesamt 2701 Packungen des Corona-Medikaments Paxlovid an einen ihm namentlich unbekannten Mann verkauft. Innerhalb von zehn Tagen gab er in sechs Fällen jeweils mehrere hundert Packungen ab –ohne Rezept. Apotheker S. hatte die Tat selbst schon bei der polizeilichen Durchsuchung eingeräumt und gestand sie auch im Prozess vor dem Landgericht Berlin.
Der Sachverhalt war also schnell klar, an vier Verhandlungstagen ging es vor allem um den Wert des Paxlovids. Die Bundesregierung hatte Anfang 2022 eine Million Packlungen des Corona-Mittels zu einem Packungspreis von 665 Euro netto direkt bei Pfizer gekauft. Das Paxlovid blieb im Eigentum des Bundes, Apotheken und Großhändler erhielten eine Aufwandsentschädigung von 30 beziehungsweise 20 Euro für die Logistik und Abgabe. Ein freier Handel war nicht vorgesehen.
Das Gericht erkannte »erhebliche Verstöße« gegen das Arzneimittelgesetz, wegen des illegalen Inverkehrbringens verschreibungspflichtiger Arzneimittel und einem unzulässigen Großhandelsbetrieb. S. sei auch klar gewesen, dass die 2701 Packungen für den Weiterverkauf auf dem Schwarzmarkt bestimmt gewesen seien.
Was die Beurteilung des Wertes betrifft, musste das Gericht eine vorsichtige Prognoseentscheidung treffen. Gegen Ende der Pandemie sei eher ein weiteres Absinken der Abgaben zu erwarten gewesen. Da rund die Hälfte der zentral beschafften Packungen mittlerweile verfallen sind und vernichtet werden müssen, ging das Gericht von einem Restwert von 88,02 Euro pro Packung zum Tatzeitpunkt aus. Daraus berechnet sich der Betrag von rund 237.000 Euro Wertersatz. »Das ist die strafrechtliche in dubio pro reo wirtschaftswissenschaftliche Berechnung«, so der Vorsitzende Richter.
S. hätte wissen können, dass die Aufwandsentschädigung nicht dem Wert des Medikaments entsprochen habe. »Ihnen war klar, dass der Einkaufspreis des Bundes deutlich höher war.« Strafmildernd rechnete das Gericht ein, dass der Apotheker geständig war. Er sei auch nicht vorbestraft und habe nun zudem weitere berufsrechtliche Konsequenzen zu befürchten – im schlimmsten Fall der Entzug der Betriebserlaubnis oder sogar der Approbation. Die großen Summen und die gravierenden arzneimitterechtlichen Verstöße seien dagegen strafverschärfend zu berücksichtigen.
Bei der Freiheitsstrafe folgte das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Der Staatsanwalt wollte bei der Wertermittlung aber auf den Einkaufspreis des Bundes von 665 Euro abstellen und forderte den Einzug von 1.796.000 Euro.
Die Verteidigung hatte den Vorwurf der Untreue dagegen grundsätzlich bestritten. Es habe gerade keine wirtschaftliche Verpflichtung des Apothekers gegenüber dem Bund gegeben. De facto wären die Packungen zudem wertlos gewesen, wenn S. sie nicht verkauft hätte, so das Argument der Verteidigung mit Blick auf die abgelaufenen Packungen.
Bei der Berechnung des Vermögensnachteils sei daher der Markt- und Verkehrswert zu bestimmen, so die Verteidigung in ihrem Schlussvortrag. Rechtsanwalt Uwe Freyschmidt hätte dazu gern noch einen pharma-ökonomischen Sachverständigen gehört. Doch das Gericht ließ schon durchblicken, dass man den Wert pro Packung jedenfalls unter 200 Euro ansetzen würde und wies den Antrag ab. Ebenso den Versuch der Verteidigung, die Pfizer-Geschäftsführung in den Zeugenstand zu berufen – der heutige Erstattungspreis von Paxlovid spiele nämlich für das Verfahren keine Rolle.
Aus Sicht der Verteidigung hätte man bei der Einziehung von einem Wert von 112.496,65 Euro ausgehen müssen – so viel hatte der Apotheker mit seinen Verkäufen brutto verdient. Weil er den Handel sogar ordnungsgemäß versteuert hatte, blieb ihm laut verlesener Auskunft seiner Steuerberaterin unter dem Strich ein Rohertrag von 27.010 Euro. Die Verteidigung forderte eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr oder Geldstrafe sowie Wertersatz in der genannten Höhe.
Das Urteil könnte wegweisend für weitere Prozesse sein. Denn wegen des illegalen Handels mit Paxlovid hatten bundesweit Staatsanwaltschaften gegen einzelne Apotheker ermittelt. Aus Berlin gibt es nun ein erstes Urteil. Der Apotheker und die Staatsanwaltschaft können noch Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) einlegen.
S. droht vermutlich jetzt noch ein berufsrechtliches Verfahren – im schlimmsten Fall der Entzug der Approbation. Am heutigen Prozesstag saßen auch Vertreter des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) im Zuschauerraum.