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Interview Friedemann Schmidt

»Freiberuflichkeit ist eine Lebensform«

Die Freiheit ist bedroht, die Freiberuflichkeit gefordert. Friedemann Schmidt, Präsident des Bundesverbands der freien Berufe und Ehrenpräsident der ABDA, spricht im Interview mit der PZ über die aktuellen Herausforderungen für die freie Gesellschaft. Das vollständige Gespräch erscheint als Podcast im Format »PZ Nachgefragt«.
Alexander Müller
15.05.2024  07:00 Uhr

PZ: Freiheit ist ein Zustand, in dem ein Subjekt ohne Zwang zwischen verschiedenen Optionen wählen kann. Reicht Ihnen das oder was bedeutet Freiheit für Sie?

SCHMIDT: Ein viel diskutierter Begriff in einer Zeit, in der sich das Bild von Freiheit auch im politischen Diskurs deutlich verändert. Für mich ist Freiheit auch aus meinem persönlichen Schicksal heraus – ich bin in der DDR aufgewachsen – in erster Linie Freiheit von etwas, also Freiheit von Zwang, von überhöhtem Konformitätsdruck und ganz praktisch Freiheit der Bewegung, also Reisefreiheit. Aber nachdem ich jetzt 35 Jahre in einer freien Gesellschaft lebe, ist mein eigener Begriff von Freiheit schon ein bisschen weiter geworden. Ich verstehe Freiheit heute auch als Freiheit zu etwas. Also frei zu sein, bestimmte Dinge tun zu können – oder lassen zu können.

PZ: Und was ist das Besondere an der Freiberuflichkeit und warum ist sie gerade für Apotheker so wichtig?

SCHMIDT: Der Begriff ist nicht wirklich definiert. Es gibt Ansätze dazu in der Gesetzgebung, witzigerweise im Steuerrecht. Ich glaube, worauf sich alle Freiberuflerinnen und Freiberufler einigen könnten, wäre die Verpflichtung auf das Gemeinwohl. Das klingt vielleicht etwas pathetisch, aber das unterscheidet uns von einer Vielzahl anderer Berufe, die sich auch mit Dienstleistungen beschäftigen. Der entscheidende Faktor ist tatsächlich dieser Bezug auf ein größeres System, auf einen größeren Wert, der außerhalb der eigenen Profession verortet ist, nämlich das Gemeinwohl. Dem dienen Freiberuflerinnen und Freiberufler, indem sie in der Zuwendung zu ihren Patienten, Mandanten oder Klienten immer mit im Blick haben müssen, welche Auswirkungen das eigene Handeln auf die gesamte Gesellschaft hat.

PZ: Aktuell ist oft davon die Rede, die Apotheke sichere den sozialen Frieden. Sehen Sie diese gesellschaftliche Aufgabe und leiten sich daraus vielleicht sogar Pflichten ab?

SCHMIDT: Ich finde es sehr schön, dass diese Diskussion gerade in der letzten Zeit aufgekommen ist. Freiberufler sind oft als »Professionals« wahrgenommen worden oder als Wirtschaftszweig. Aber dieser dritte Aspekt, sozialer Frieden, der ist vielleicht der wichtigste, denn jede Gesellschaft benötigt eine möglichst große Zahl an Menschen, die sie unterstützt und sichert und am Leben erhält. Freiberufler sind ganz besonders geeignet, gerade in ihrem eigenen Betrieb oder auch als Angestellte, die Werte einer Gesellschaft zu leben – Freiheit und Würde des Einzelnen, auf der anderen Seite die Grenzen der Freiheit und Orientierung an Gemeinsamen. Und dann kommen noch so Punkte wie Diskriminierungsfreiheit, Gleichbehandlung: In der Freiberuflerpraxis werden keine Unterschiede gemacht werden, wo einer herkommt, was er verdient, was er ist.

PZ: Im Gesundheitswesen geht es um Vertrauen. Wo sehen Sie den Zusammenhang zur Selbstständigkeit?

SCHMIDT: Vertrauen ist eine Voraussetzung für die freien Berufe. Einerseits das Vertrauen des Patienten in den Heilberufler, andererseits das Vertrauen des Heilberuflers in den Patienten, dass er die Ratschläge auch wirklich wahrnimmt. Für den selbstständigen Freiberufler gilt das insofern besonders, weil er ja mit Haut und Haaren in seinem Beruf steckt und seine komplette Existenz in diesen Beruf eingebracht hat. Das ist etwas, was heute sehr, sehr unmodern ist. Dieses Ideal, Freiberuflichkeit als Lebensform, ist tatsächlich mehr als ein Beruf.

PZ: Haben Sie das Gefühl, dass wir uns im Gesundheitswesen derzeit zu sehr in Richtung Verstaatlichung bewegen.

SCHMIDT: Ja, nicht nur was das Gesundheitswesen angeht. Es gibt zweifellos eine Tendenz, diese großen Herausforderungen mit zentralistischen Antworten zu versehen. Die jetzige Koalition hat leider diesen sehr starken Impuls, was man schon an der steigenden Zahl der Staatsbediensteten sehen kann. Ich bin ein Verfechter von Selbstorganisation, Subsidiarität, Eigenverantwortung. Es ist sicherlich so, dass wir uns einem Prozess der Konzentration, der Spezialisierung, der Vernetzung werden stellen müssen. Aber nicht mit Schwächung bürgerschaftlicher Strukturen, das halte ich für einen totalen Irrweg.

PZ: Könnte das eine Übersprungshandlung aus Angst vor den riesigen Konzernen sein, die die Marktwirtschaft von der anderen Seite bedrohen?

SCHMIDT: Das wäre denkbar, aber dann würde man ja sich selbst vollkommen machtlos machen. Eine freie Gesellschaft hat alle Möglichkeiten, wirtschaftliche Konzentrationsprozesse zu regulieren. Wir werden das mit Sicherheit erleben, dass diese Übermacht der Großunternehmen zukünftig durch die Regulierungsbehörden gebrochen werden wird, das glaube ich ganz bestimmt.

PZ: Der KI wird vorausgesagt, dass sie unser Leben massiv verändern wird. Muss man gerade in solchen Phasen die Freiheit besonders im Auge behalten?

SCHMIDT: Entscheidend ist, ob es gelingt, regulatorische Grenzen zu setzen. Ich bin nicht pessimistisch, ich glaube nicht, dass der Weltuntergang bevorsteht, nur weil wir zukünftig technische Lösungen zur Verfügung haben werden, die uns von Routineaufgaben entbinden. Ich bin fest überzeugt, auch aus meiner eigenen Berufspraxis in der Apotheke, dass es des menschlichen, des zwischenmenschlichen Kontaktes an vielen Stellen unbedingt bedarf. Man kann sehr viel auf technische Instrumente vertrauen, sich Studien auswerten lassen, Ratschläge geben lassen, trotzdem wird es am Schluss so sein, dass nichts stärker wirkt als der gute Rat eines Menschen, dem ich die Kompetenz zumesse und dem ich vertraue.

PZ: Wir erleben eine Phase der Verrohung im Umgang miteinander. Im Wahlkampf in Ihrem Bundesland Sachsen werden Kandidaten attackiert, Wahlplakate beschädigt, wir sehen ein Wiederstarken rechtsextremer Parteien. Machen Sie sich Sorgen um die freie Gesellschaft?

SCHMIDT: Also ich bin erst mal sehr traurig darüber, dass es diese Entwicklung insbesondere in meinem Bundesland so exemplarisch gibt. Das ist nach 30 Jahren Freiheit für mich völlig ernüchternd; und an vielen Stellen kann ich nicht nachvollziehen, warum viele meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger sich so verhalten. Ich mache mir jetzt zunächst mal Sorgen um den politischen Diskurs, der ja im Grunde genommen in der Gesellschaft geführt wird. Diese Verrohung des Tones bis hin zur Anwendung körperlicher Gewalt, das ist eine echt bedrohliche Entwicklung. Der Ton sickert ein, der färbt ab. Das ist äußerst bedauerlich, weil das auch historische Parallelen eröffnet, die man sich gar nicht vorstellen mag und nicht vorstellen kann. Ob die Freiheit selber dadurch gefährdet ist, hängt nun davon ab, ob wir tatsächlich stark genug reagieren. Da bin ich aber schon optimistisch.

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