»Fokussieren Sie sich auf Einnahme, Nebenwirkungen und Adhärenz« |
Daniela Hüttemann |
07.06.2023 18:00 Uhr |
Apothekerin Dr. Katja Schlichtig forscht an der FAU Erlangen-Nürnberg und ist Teil des Teams des AMBORA-AMTS-Kompetenz- und Beratungszentrums am Uniklinikum Erlangen. / Foto: UK Erlangen
PZ: Was ist das Besondere an der Beratung von Krebspatienten unter oraler Antitumortherapie?
Schlichtig: Die Patienten sind meist schon etwas älter und nehmen zusätzliche Medikamente aufgrund anderer Erkrankungen ein. Während sie im Krankenhaus eng überwacht und die Medikamente gestellt werden, sind sie zu Hause mit ihrer Medikation auf sich allein gestellt. Die Eigenverantwortung ist hier wesentlich höher als bei vielen anderen Therapien und viele sind unsicher, wie sie ihre Medikamente einnehmen müssen. Sie brauchen also eine umfassende Aufklärung und einen Ansprechpartner, falls Probleme auftreten.
PZ: Und das kann die Apothekerin, der Apotheker vor Ort sein?
Schlichtig: Ja – auf jeden Fall zum Thema richtige und regelmäßige Einnahme sowie Prophylaxe und Therapie möglicher Nebenwirkungen. Wenn wir mit der ersten Frage: »Was wissen Sie schon?« einsteigen, wird deutlich, dass das Wissen der Patienten hier ganz unterschiedlich ist. Nach dem Gespräch mit dem Onkologen sind meist immer noch viele Fragen offen oder die Patienten konnten gar nicht alle Informationen aufnehmen.
PZ: Wie kann ich mich darauf vorbereiten, Krebspatienten pharmazeutisch zu betreuen?
Schlichtig: Man sollte sich regelmäßig zu dem Thema fortbilden – das Interesse ist hier gerade groß. Ein Grundlagenseminar ist zwar keine Pflicht, um die Dienstleistung anzubieten, aber für die Basics auf jeden Fall empfehlenswert. Zusätzlich sollte man die Gesprächsführung üben. Wirkstoffspezifisches Wissen muss man dagegen nicht vorher haben. Das kann ich nach dem Erstgespräch recherchieren und für das Abschlussgespräch vorbereiten. Sehr hilfreich sind das Arbeitsmaterial und die Checklisten der ABDA für diese pDL , die gut durch den Prozess führen und Hinweise auf weiterführende Literatur und Datenbanken enthalten.
PZ: Wie geht man dann als Apotheke am besten vor?
Schlichtig: Am wichtigsten ist: Die Einnahme genau erklären. Was bedeutet eigentlich dreimal am Tag – drei Tabletten auf einmal oder dreimal am Tag eine? Und in welchem Abstand, mit oder ohne Nahrung? Man sollte auch Gewohnheiten im Alltag berücksichtigen (wann der Patient aufsteht, isst und wieder ins Bett geht), sodass die Einnahme möglichst gut in den Alltag integriert werden kann. Die Apotheke sollte das leicht verständlich und eindeutig im Medikationsplan vermerken. Oft wissen die Patienten zudem nicht, was sie bei einer vergessenen Einnahme machen sollen. Auch das sollte man besprechen.
Es gibt für fast alle oralen Antitumormedikamente Merkblätter und spezifische Materialien mit Einnahmehinweisen, zum Beispiel in der Oralia-Datenbank der Deutschen Gesellschaft für onkologische Pharmazie (DGOP) oder vom AMBORA-Projekt. Die kann man ausdrucken, als Gesprächsleitfaden nutzen und dem Patienten anschließend mitgeben. Zusätzlich gibt es Informationsmaterialien zum generellen Umgang mit den Medikamenten, zum Beispiel hinsichtlich der Lagerung oder was zu tun ist, wenn der Patient sich erbricht.
PZ: Welche Punkte sind noch wichtig?
Schlichtig: Welche Nebenwirkungen auftreten können und wie man ihnen vorbeugen oder sie behandeln kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Patient sein Krebsmedikament eigenmächtig absetzt oder nicht anwenden kann. Stomatitis und die damit verbundenen Schluckprobleme sind beispielsweise ein großes Problem bei vielen Krebspatienten. Bereits zu Therapiebeginn kann man vorbeugend Tipps zur Mundpflege geben und bei Schluckproblemen nach einer gemeinsamen Lösung suchen: Vielleicht lässt sich das Medikament dispensieren (Vorsicht CMR-Potential!) oder mit einer Schluckhilfe überziehen. Man kann mit dem Patienten zudem bestimmte Schlucktechniken üben.
Reflimid-Kapseln sind beispielsweise relativ groß. Ich hatte schon einen Patienten, der hat sie mit einem Messer zerdrückt. Das darf man natürlich nicht machen. Hier habe ich geraten, die Kapsel in ein kleines Stück Banane zu drücken und dies dann zu schlucken. Das ging besser. Man sollte immer nachfragen, was die Patienten mit den Medikamenten genau machen – dann sind wir in der Apotheke zur Galenik gefragt.
PZ: Wie steht es denn generell um die Therapietreue der Patienten?
Schlichtig: Die ist in der Regel hoch, die Patienten wollen ihren Krebs ja besiegen. Wir haben kaum eine bewusste Non-Adhärenz. Trotzdem brauchen die Patienten nicht nur zu Therapiebeginn, sondern während der gesamten Dauer unsere Unterstützung, um die Therapie durchzuhalten, gerade wenn Probleme auftreten.
PZ: Was raten Sie Apotheken, die diese pDL bislang nicht anbieten?
Schlichtig: Neben der Fortbildung – einfach anfangen! Viele haben ja schon vorher Krebspatienten betreut. Neu ist eigentlich nur das strukturierte Vorgehen und Schulungsgespräch im Rahmen der pDL. Das Schöne ist, dass man nach dem Erstgespräch mit Datenerfassung die eigentliche AMTS-Prüfung in Ruhe durchführen und sich auf das Abschlussgespräch vorbereiten kann. Das nötige Material sollte man vorher ausdrucken.
PZ: Wie spreche ich Krebspatienten am besten auf das neue Angebot an?
Schlichtig: Ich empfehle, diese pDL möglichst zeitnah nach der Erstverordnung durchzuführen, da dann die meisten Fehler passieren. Wenn ein entsprechendes Rezept kommt, können Sie betonen, wie wichtig die regelmäßige Einnahme ist, dass Sie den Patienten dabei bestmöglich unterstützen wollen und sich Zeit für ein ausführliches Gespräch nehmen können, was von den Krankenkassen bezahlt wird.
PZ: Die Dienstleistung sieht auch ein Follow-up-Gespräch nach zwei bis sechs Monaten vor. Was ist dabei zu beachten?
Schlichtig: Beim Erstgespräch würde ich den Fokus auf die korrekte Einnahme und die Prophylaxe von Nebenwirkungen legen, beim Follow-up dann nach den Erfahrungen mit der Therapie fragen und auf die individuellen Probleme eingehen sowie die Adhärenz weiter stärken.
PZ: Was halten die Onkologen von der pharmazeutischen Betreuung?
Schlichtig: Aus dem AMBORA-Projekt bei uns am Uniklinikum Erlangen wissen wir, dass die Implementierung pharmazeutischer Betreuung bei den Ärzten erst einmal eine Barriere sein kann, sie dann aber schnell merken, wie wir uns gegenseitig ergänzen und wie ihre Patienten profitieren. Zum Beispiel fallen supplementär eingenommen Medikamente bei der pDL auf, von denen der Onkologe eventuell nichts weiß. Außerdem können sich die Ärzte dann auf die medizinischen Aspekte und weitere Behandlung konzentrieren. Informieren Sie die Ärzte in Ihrer Umgebung am besten vorab über Ihr neues Angebot. Dazu gibt es auch einen entsprechenden Infoflyer der ABDA.