Fördert Feinstaub Antibiotikaresistenzen? |
Laura Rudolph |
10.08.2023 09:00 Uhr |
Hochrechnungen des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zufolge erkranken in Europa jedes Jahr circa 670.000 Menschen an Infektionen durch multiresistente Erreger. / Foto: Adobe Stock/analysis121980
Als »PM2,5« bezeichnet man eine Staubfraktion, bei der mindestens die Hälfte der Teilchen einen Durchmesser maximal 2,5 µm hat. Laut einer Studie aus China können diese Feinstaubteilchen, die aufgrund ihrer kleinen Größe beim Einatmen besonders tief in die Atemwege gelangen, als Überträger von Antibiotikaresistenz-Genen und antibiotikaresistenten Bakterien fungieren und dadurch Resistenzen fördern.
Laut der Modellrechnung einer Forschungsgruppe um Dr. Zhenchao Zhou von der Zhejiang-Universität in der gleichnamigen chinesischen Provinz korreliert die Menge an Feinstaub in der Luft mit einer Zunahme von Antibiotikaresistenzen. Die Ergebnisse der Studie sind kürzlich im Fachjournal »The Lancet Planetary Health« erschienen (DOI: 10.1016/S2542-5196(23)00135-3).
Dieser Einfluss von PM2,5 auf die Resistenzlage könnte der statistischen Analyse zufolge massiv und in einigen Regionen sogar einer der Haupttreiber dafür sein, dass bestimmte Bakterien zunehmend unempfindlich gegenüber antibiotischen Substanzen werden. Weltweit könne ein 10-prozentiger Anstieg der jährlichen PM2,5-Konzentration zu einem 1,1-prozentigen Anstieg der gesamten Antibiotikaresistenz und zu mehr als 43.000 vorzeitigen Todesfällen aufgrund von Antibiotikaresistenzen führen, heißt es in der Publikation.
Würden keine Maßnahmen gegen Luftverschmutzung ergriffen, könnten Antibiotikaresistenzen bis zum Jahr 2050 weltweit um 17 Prozent zunehmen, heißt es weiter. Gelänge es dagegen, den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geforderten PM2.5-Richtwert von maximal 5 µg pro Kubikmeter Luft zu erreichen, könnten Antibiotikaresistenzen bis 2050 um knapp 17 Prozent reduziert und knapp ein Viertel der darauf zurückzuführenden vorzeitigen Todesfälle vermieden werden.
Wie kommen die Forschenden auf diese – überraschenden und von einigen unabhängigen Forschenden angezweifelten – Ergebnisse? Die Gruppe nutzte als Basis für ihre statistische Analyse Daten aus der sogenannten »ResistanceMap«, einer interaktiven Online-Karte, die die weltweite Lage von Antibiotikaresistenzen abbildet. Sie wählten dabei 116 Länder und den Zeitraum 2000 bis 2018 aus und fokussierten sich bei ihrer Analyse auf neun Bakterienarten und 43 Antibiotika. Die Resistenzmuster in den jeweiligen Ländern setzten sie dann in Korrelation mit Parametern aus den Bereichen Antibiotikaeinsatz, Luftverschmutzung, Klima, Gesundheitsausgaben und Bildung und schätzten den Einfluss von PM2,5 auf die Antibiotikaresistenz mittels univariater und multivariabler Analysen.
Einige Forschende zweifeln jedoch an den Analysemethoden und den Studienergebnissen. Professor Dr. Harald Seifert von der Universität Köln betonte, dass es sich bei der vorliegenden Studie lediglich um eine statistische Korrelation handelt und gab zu Bedenken, dass das Ausmaß des Zusammenhangs zwischen Luftverschmutzung und Antibiotikaresistenz besonders ausgeprägt war in Nordafrika (Libyen, Ägypten, Sudan), in Saudi-Arabien sowie im Iran – »in Ländern, in denen die Datenqualität zur Häufigkeit von Antibiotikaresistenzen nicht besonders hoch sei«. In Europa und den USA dagegen war dieser Zusammenhang deutlich geringer ausgeprägt.
An diesen Punkt knüpft die Kritik von Professor Dr. Martin Göttlicher von der Technischen Universität München an: »Die logische Lücke ist, implizit die Gesamtmenge von PM2,5 mit Antibiotikaresistenzen tragendem Feinstaub PM2,5 gleichzusetzen.« In Deutschland sei PM2,5 im wesentlichen auf Verbrennungsprozesse und den Straßenverkehr zurückzuführen – wo offensichtlich keine Antibiotikaresistenzen herkämen. »In anderen Regionen der Welt mit anderem Umgang mit Abwässern und Abluft aus Haushalt, Viehzucht, Krankenhaus und Landwirtschaft mag das anders sein«, wandte der Experte ein.
Scharfe Kritik übte der emeritierte Professor Dr. Nino Künzli, der beim Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut Basel tätig war: »Die Verwendung von geografischen Korrelationen als Ersatz für nicht vorhandene Kausalzusammenhänge ist wissenschaftlich unsinnig. Wie falsch solche Zahlen sein können, wurde in den vergangenen Jahrzehnten in vielen methodischen Arbeiten belegt.«
Auch wenn die oben genannte Studie strittig ist, steht fest, dass Luftverschmutzung auch unabhängig von bakteriellen Resistenzen zu einer globalen Gesundheitsbedrohung geworden ist. Die WHO schätzt, dass weltweit pro Jahr 8,8 Millionen vorzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung verursacht werden, hauptsächlich durch kardiovaskuläre Ereignisse. Luftverschmutzung senkt die globale Lebenserwartung um durchschnittlich knapp drei Jahre.