Finanzierbare Gesundheitsversorgung – aber wie? |
Ev Tebroke |
11.09.2024 16:00 Uhr |
Die Gesundheitsversorgung hierzulande ist zu teuer. Die Kassen rutschen ins Milliardendefizit, Reformen sind nötig. / Foto: Adobe Stock/Zerbor
Die stetig steigenden Kosten für die Gesundheitsversorgung treiben die Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ins Defizit. Bereits Ende Jahres droht nach Angaben des GKV-Spitzenverbands ein Minus von bis zu 4,5 Milliarden Euro und damit eine deutliche Unterfinanzierung.
Dass es dringend einer nachhaltigen GKV-Finanzierungsreform bedarf, ist Konsens und wurde beim Diskussionspanel von Pharma Deutschland heute in Berlin deutlich vonseiten der Pharmaunternehmen, der Kassen sowie der Ärzte- und der Apothekerschaft formuliert. Doch wie kann dies gelingen?
Aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) gibt es für 2025 bereits die Ankündigung von weiteren GKV-Beitragserhöhungen. Als zweitgrößter Kostenfaktor nach den Kliniken steht für die Bundesregierung aber vor allem auch die Arzneimittelversorgung im Sparfokus.
BMG-Abteilungsleiter Thomas Müller kündigte mittelfristig bereits weitere Einsparungen an. Er sprach von »düsteren Wolken«. Mit Blick auf die 7-Prozent-Ausgabensteigerung im Arzneimittelbereich gelte es, die Budgets im Blick zu behalten. »Politisch wird man über weitere Dämpfungsmaßnahmen nachdenken«, – spätestens 2025 nach den Wahlen, so Müller.
Pharma-Deutschland-Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann betonte in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Ausgabensteigerung vor allem dem demografischen Wandel geschuldet sei. Und nicht, weil die Pharmabranche zu profitgierig sei. Im Gegenteil: Die Pharmahersteller in Deutschland, hier vor allem auch mittelständische Unternehmen, bräuchten dringend mehr wirtschaftliche Anreize, um den Standort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten. Sie forderte die Politik auf, für Einsparungen alle Möglichkeiten im System zu prüfen.
Wo aus Sicht der unterschiedlichen Interessengruppen die Probleme liegen, wo Reformbedarf besteht und welche Möglichkeiten es aus Sicht der Branche gibt, die Gesundheitsversorgung hierzulande nachhaltiger zu finanzieren, darüber gab das anschließende Panel Einblick.
Allgemeiner Tenor vorab: Die Arzneimittelversorgung gelte es nicht immer nur als Kostenfaktor zu sehen, sondern als innovativen elementaren Versorgungsanker, unterstrich Sebastian Wachtarz, von AbbVie Deutschland. Auch ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening betonte, dass bei allen gesundheitlichen Leistungen zuletzt nur noch die Kosten im Vordergrund stünden. »Der tatsächliche Nutzen dieser Versorgung wird nicht ermittelt.«
Grundsätzlich kritisierte sie die seit 2021 im Gesundheitswesen vorherrschende »Misstrauenskultur« und die daraus resultierende »unfassbare Regulierungswut«. Diese Überregulierung erschwere die Versorgung im Einzelnen, statt sie zu verbessern, sagte sie etwa mit Blick auf den in der Apotheke weiterhin schwierigen Arzneimittelaustausch bei Lieferengpässen.
Die Bürokratie stehe mehr im Vordergrund als die eigentliche Aufgabe, der Gesundheit zu dienen. Sie appellierte: »Wir müssen wieder mehr ins Vertrauen kommen, was wir für die Menschen im Land tun können.«
Moritz Völker, Vorsitzender Junge Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund, vermisst bei der Politik die Ehrlichkeit über die immense Versorgungskrise, die demografisch bedingt unmittelbar bevorsteht und in den nächsten 10 bis 15 Jahren ihren Höhepunkt erreichen werde. »Das System ist nicht darauf vorbereitet und die Gefahr wurde schlecht kommuniziert.«
DAK-Vorstandsmitglied Ute Wiedemann sieht angesichts der drohenden Kostenwelle das Solidarsystem der Gesundheitsversorgung in Gefahr. Es sei ein komplett neuer Weg erforderlich. »Wir müssen das Problem zusammen angehen und nicht einzeln lobbyieren.«
Um die Finanzierung des Systems zu reformieren, gab es im Anschluss diverse Vorschläge. Richard Ammer, Chef des Arzneimittelherstellers Medice, sieht beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Machtzentrale Möglichkeiten der Neujustierung. Es gelte auch zu schauen, wie weit es in der Intensivmedizin gehen dürfe. Ein Hauptteil der Kosten entstehe in den letzten sechs Monaten des Lebens, so Ammer. Als Einnahmemöglichkeiten für das System brachte er etwa die Einführung einer Zuckersteuer ins Spiel.