Fiebernde Apotheken brauchen schnelle Therapie |
Daniela Hüttemann |
11.06.2025 15:02 Uhr |
Warum der Koalitionsvertrag hoffen lässt, erläuterte AKWL-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening der Kammerversammlung. / © PZ/Daniela Hüttemann
Bundesweit haben allein im vergangenen Jahr mehr als 500 Apotheken geschlossen. Aktuell gab es Ende März noch 16.908 Betriebe – ein Stand wie vor fast 50 Jahren. Das spiegelt sich auch in Westfalen-Lippe wider. Hier sind es im Juni noch 1642 Apotheken, wobei die Kammer damit rechnet, Ende des Jahres bei 1610 bis 1615 zu liegen. Was der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL) besondere Sorge macht, ist, dass es nur noch 1200 Hauptapotheken sind – fast eine Halbierung seit 2005.
»Die Filialisierung war Unsinn«, fand AKWL-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening klare Worte bei der heutigen Kammerversammlung in Münster. »Die Verantwortung liegt auf immer weniger Schultern.« Nicht nur für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, auch für die Mitarbeitenden, denn deren Zahl ist konstant geblieben, bei hohem Teilzeitanteil. Die Arbeit bleibt ja und wird durch die alternde, multimorbide Bevölkerung sogar mehr. In Westfalen-Lippe gebe es aktuell 800 offene Stellen. Vor allem PTA werden gesucht: Auf eine suchende PTA kommen 15 Stellenangebote; bei den angestellten Approbierten sind es vier.
Dazu stellte Overwiening viele weitere aktuelle Zahlen vor, wie die Umsätze der Apotheken bei immer breiterer Streuung auf verschiedene Umsatzklassen, die wachsenden Rx- und OTC-Anteile des Versandhandels, die steigenden GKV-Ausgaben, den konstanten, kleinen Anteil der Apothekenhonorare daran und die sinkende Apothekendichte auch im europäischen Vergleich sowie weitere Zahlen, die die ABDA ermittelt und zuletzt im Mai vorgestellt hatte. »Bundesweit schreibt derzeit mehr als jede vierte Apotheke rote Zahlen beziehungsweise befindet sich an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit«, verdeutlichte Overwiening. Die Zahlen sind also deutlich. Doch es sei wie beim Fieber: »Nur messen hilft nicht, man braucht dann eine Therapie.«
Mit dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, auf den Overwiening ausführlich einging, verbindet sie die Hoffnung auf ein Abbremsen des Apothekensterbens. »Die GroKo hat verstanden, wie wichtig die Apotheken vor Ort für die Versorgung vor Ort und den sozialen Frieden sind.« Jetzt komme es auf eine zügige Umsetzung an.
Kritisch sieht die Apothekerschaft eine möglicherweise unterschiedliche Honorierung. Doch hier gibt es laut Overwiening bereits Ideen, kleinere Apotheken relativ zu größeren zu stärken, indem für alle die ersten 20.000 abgegebenen Rx-Packungen pro Monat höher bepreist werden. Davon hätten die kleineren Apotheken relativ einen höheren Nutzen als große mit hohen Absatzzahlen.
Auch regelmäßige Verhandlungen zur Anpassung der Vergütung seien grundsätzlich zu begrüßen, so Overwiening. Klar müsse nur sein, dass die angekündigten 9,50 Euro Fixum dann ab 2027 der Ausgangspunkt sein müssen. Und die Anpassungskriterien müssten gesetzlich festgelegt werden, inklusive separater Schiedsstelle.
Die Apothekenproteste 2023 und noch mehr die vielen Gespräche, die auf allen Ebenen geführt wurden, hätten sich hier niedergeschlagen, dürften jetzt aber nicht stoppen: »Nutzen Sie die Zahlen, machen Sie deutlich, wie wichtig die Apotheken für die Bevölkerung als Ansprechpartner vor Ort sind«, forderte Overwiening auf. Es gelte immer wieder, an das Arzneimittel als besonderes Gut zu erinnern und die persönliche, schnelle, zuverlässige Versorgung vor Ort – gerade auch in Krisensituation.
Das möchten die Apotheken ausbauen. So ging Overwiening auch auf das im April vorgestellte Zukunftspapier Apotheke ein. »Wir wollen diese qualitativ hochwertige Versorgung weiter leisten können und mehr Kompetenzen und Verantwortung übernehmen, um den sozialen Frieden in Deutschland zu erhalten – dazu muss uns aber auch die Politik helfen.«
Insbesondere wünscht sich die Kammerpräsidentin politische Unterstützung gegen den ausländischen Arzneimittelversandhandel. In den Corona-Jahren seien die Patientinnen und Patienten vermehrt in die Apotheken gekommen, doch dieses Problembewusstsein für Arzneimittel als besondere Ware ging schnell wieder zurück. Daher gelte es, auch von der Politik, hier immer wieder entgegen zu wirken.
Was dagegen nicht hilft, ist die omnipräsente Card-Link-Werbung eines bekannten TV-Moderators. »Es soll bequem, einfach und schnell sein, darf aber nicht nur um Convenience gehen.« Overwiening kritisierte, dass sich Prominente wie »Rattenfänger« missbrauchen ließen, um solche Botschaften in die alternde Gesellschaft zu tragen. Dabei seien es gerade die Apotheken vor Ort, die bei der Digitalisierung Erste Hilfe leisteten, das E-Rezept zum Erfolg führten und eben auch in kritischen Zeiten zu jeder Tages- und Nachtzeit für die Menschen da seien.
Beim Bericht zur aktuellen politischen Lage kommentierte Overwiening auch den Ablauf der Bundeskanzlerwahl im Mai und zog Parallelen zur ABDA-Vorstandswahl vergangenen Dezember, bei der sie selbst überraschend als einzige Spitzenkandidatin für das ABDA-Präsidialamt nicht gewählt wurde. Anders als bei Friedrich Merz’ Kanzlerwahl gab die ABDA-Satzung nicht einfach einen zweiten Wahlgang her, was viele der Abstimmenden wohl überrascht habe.
Overwiening hätte sich gewünscht, dass in den Monaten vor der Wahl ein offener Diskurs stattgefunden hätte und sich gegebenenfalls andere Kandidatinnen oder Kandidaten hätten aufstellen lassen. Zudem bedauerte sie, dass »unser Berufsstand nicht die Kraft hatte, einen zweiten Wahlgang zu ermöglichen«. Es wäre juristisch aufwendig gewesen und es habe wohl Angst vor Anfechtung der Wahl gegeben. »Ich halte das für einen Fehler«, so Overwiening.
»Demokratie haben wir nicht einfach, das ist tägliche Arbeit und braucht wesentliche Säulen: Vernunft und Vertrauen«, appellierte Overwiening und warnte davor, Denkzettel verpassen zu wollen, ohne die Folgen abzuwägen. Damit sei die ABDA mitten im Bundestagswahlkampf beschädigt worden. »Inzwischen gibt es eine neue Spitze und es interessiert mich auch, was wir jetzt politisch erreichen können, denn unsere Erwartungen sind groß.«