Fake-Warnung vor mRNA-Impfstoffen entzaubert |
Theo Dingermann |
15.11.2024 10:30 Uhr |
Das System des wissenschaftlichen Peer-Reviews versagt teilweise darin, unseriöse Publikationen zu verhindern. Einem solchen Fall sind jetzt Pharmazeuten der Goethe-Universität Frankfurt am Main auf den Grund gegangen. / © Adobe Stock/Vladimir Soldaty (Symbolbild)
Ausgangspunkt für die aktuelle Untersuchung war ein in Form eines Rote-Hand-Briefs aufgemachtes Schreiben des sogenannten »Medizinischen Behandlungsverbunds« an Arztpraxen gewesen, in dem diese aufgefordert wurden, wegen angeblicher Haftungsrisiken keine mRNA-Impfstoffe mehr zu verwenden. Begründet wurde dies mit »DNA-Kontaminationen« in dem Impfstoff, die 18- bis 70-mal über den zulässigen Grenzwerten lägen.
Mehrfach musste sich auch die Bundesregierung mit dem Problem befassen. Die AfD-Fraktion forderte in Kleinen Anfragen Aufklärung von der Bundesregierung, die die Vorwürfe einer unerlaubten DNA-Verunreinigung in jedem Fall zurückwies. In einem ausführlichen Faktencheck legte auch die PZ dar, dass mRNA-Impfstoffe prozessbedingt nur sehr geringe Mengen Rest-DNA enthalten, die keine Gefahr darstellen.
Allerdings ließ der als »Independent Researcher« firmierende Diplom-Biologe aus Hamburg, Dr. Jürgen O. Kirchner, nicht locker. Er verbreitete Informationen zu den angeblichen DNA-Kontaminationen der mRNA-Impfstoffe auf unterschiedlichen Plattformen. Die relevanten Analysen waren von dem Magdeburger Labor »Molecular Detections GmbH & Co. KG (MMD)«, das von der »Professorin der Medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg« Dr. Brigitte König geleitet wird, bestimmt worden.
Letztlich publizierten Kirchner und König ihre Daten im Fachjournal »Methods and Protocols«, obwohl erhebliche Zweifel an der Korrektheit der Daten bestanden. Unter anderem erscheint es zweifelhaft, dass sich mit der bei MMD eingesetzten Methode DNA im formulierten Endprodukt, also in Gegenwart hoher Konzentrationen verschiedener Lipide, korrekt quantifizieren lässt.
Die publizierten Daten haben nun Dr. Stefanie Kaiser, Professorin für Pharmazeutische Chemie, und Dr. Rolf Marschalek, Professor für Pharmazeutische Biologie, die beide an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main forschen und lehren, überprüft. Ihre Analysen zeigen ein anderes Bild als das von Kirchner und König verbreitete: Marschalek und Kaiser konnten nachweisen, dass die im MMD-Labor gefundenen irreführenden DNA-Konzentrationen in den zugelassenen mRNA-Impfstoffen gemessen wurden, weil ein ungeeignetes Analysedesign verwendet wurde. Die Arbeit ist zunächst auf dem Preprint-Server »SSRN« erschienen (DOI: 10.2139/ssrn.5009375).
Die spannende Geschichte dieser weitreichenden Fehlinformationen, die ein Misstrauen in Teilen der Bevölkerung in eine neuartige Impfstoffklasse befeuerte, wurde jetzt von dem Wissenschaftsjournalisten Henrik Müller in der Zeitschrift »Laborjournal« recherchiert und publiziert. Die Fehlinformationen schürten auch Zweifel an den Mechanismen zur Selbstkontrolle innerhalb der Forschungsgemeinschaft. »Unterm Strich ist die Wissenschaftsgemeinde aktuell nicht imstande, vorschnelle öffentliche Diskussionen zweifelhafter Messdaten zu verhindern oder sich vor Missbrauch zu schützen.«
Es sei keine Neuigkeit, so der Autor, dass der gegenwärtige Peer-Review-Prozess als Herzstück des Publikationsverfahrens reformbedürftig sei. »Solange nichts geschieht, untergräbt sich unser Wissenschaftssystem weiter selbst«, lautet Müllers Einschätzung. In der Tat offenbart der aktuelle Fall eklatante Schwachstellen im Kontrollsystem der wissenschaftlichen Publikation, denen die Community der seriös Forschenden offenbar hilflos gegenübersteht.