Evolutionsforscher mit Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet |
Theo Dingermann |
04.10.2022 10:30 Uhr |
Der Paläogenetiker Svante Pääbo forscht am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. / Foto: Karsten Möbius/Nobel Komitee
Was die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm am 3. Oktober 2022 verkündete, war eine Überraschung. Einem einzigen Wissenschaftler wurde der Nobelpreis für Medizin des Jahres 2022 zuerkannt. Diese höchste Auszeichnung in der Wissenschaft geht in diesem Jahr an den in Leipzig am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie tätigen Forscher Professor Dr. Svante Pääbo. »Seine Entdeckungen haben die Grundlage für die Erforschung dessen geschaffen, was uns Menschen so einzigartig macht«, begründet die Nobelpreis-Jury ihre Entscheidung.
Pääbo erhielt den mit einer Million Schwedischen Kronen (922.000 Euro) dotierten Preis für seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Paläogenetik. Durch sein akribisches Studium des Genflusses unter längst ausgestorbener Hominidenpopulationen gelang es Pääbo, den Verwandtschaftsgrad und die Wanderungen dieser Gruppen aufzuklären – mit sensationellen Ergebnissen. So konnte Pääbos Gruppe im August 2018 anhand der Gene einer jungen Frau, deren Knochen man in einer sibirischen Höhle gefunden hatte und die vor rund 90.000 Jahren gestorben war, zeigen, dass diese Frau die Tochter einer Neandertaler-Mutter und eines Denisova-Vaters war. Die Daten zu dieser Entdeckung wurden im Fachjournal »Nature« veröffentlicht.
Als Doktorand isolierte der schwedische Mediziner und Biologe ein kurzes Segment aus einer 2400 Jahre alten Mumie eines kleinen Jungen. Die Ergebnisse veröffentlichte er 1985 in »Nature«. Das hoch angesehene Journal wählte zudem diese originelle Arbeit aus, um die Titelseite der Ausgabe zu illustrieren – eine erstaunliche Anerkennung für den noch jungen Forscher.
Dieser Erfolg markierte dann auch den Anfang einer aufregenden Reise in die Vergangenheit. Denn nachdem Pääbo gezeigt hatte, wie stabil DNA offenbar sein kann, wenn alle Bedingungen passen, wollte er mehr über den Beginn der menschlichen Entwicklung wissen.
Mit ausgeklügelten Methoden, die alle in seinem Institut in Leipzig etabliert wurden, forschte er unter Bedingungen, wie heute Satelliten gebaut werden. Unter Einsatz derart neuartiger Arbeitsmethoden setzte sich Pääbo über Bedenken hinweg, Verunreinigungen müssten zum Scheitern seiner ambitionierten Pläne führen. Denn mit zwei Hauptproblemen waren die Forscher in Pääbos Arbeitsgruppe ständig konfrontiert: geringsten Materialproben Informationen zu entlocken und unter keinen Umständen mühsam aufgereinigte Proben mit biologischem Material zu kontaminieren.
Tatsächlich waren Kontaminationen die größten Hürden, die es zu überwinden galt, um an das Erbgut der ersten Menschen zu gelangen. Denn die Fossilien, die zehntausende von Jahren in der Erde gelegen hatten, waren durchsetzt von Bakterien und Pilzen. Diese alle zu eliminieren, um die Geschichte der Menschheit Stück für Stück zu entschlüsseln, gelang schließlich nur mithilfe von Computern, die programmiert wurden, um riesige Genom-Datenbanken zu durchsuchen und so störende DNA-Sequenzen zu identifizieren und zu eliminieren, um letztlich Genom-Schnipsel prähistorischer DNA lesen und zusammenzusetzen zu können.
Langsam tastete sich Pääbo an seine großen Erfolge heran, die jetzt mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Zunächst sequenzierte er ein Mitochondrien-Genom eines Neandertalers. Das war 2008 und damals waren die Techniken zur Isolierung, Aufreinigung und Sequenzierung kleinster Mengen von DNA nach heutigen Standards noch erschreckend unterentwickelt. 2010 hatte er dann eine erste Version des Neandertalergenoms und das mitochondriale Genom eines Denisova-Menschen entschlüsselt. Eine fast vollständige Version des Neandertalergenoms publizierte Pääbo schließlich im Jahr 2013.
Er konnte zeigen, dass auch die DNA der heutigen nicht afrikanischen Menschen circa zwei Prozent Neandertaler-DNA enthalten, wohingegen das Genom von Menschen mit afrikanischer Abstammung nicht mit Neandertaler-Erbinformation durchsetzt ist. Die DNA, die in den Genomen der Menschen mit europäischer, asiatischer oder fernöstlicher Abstammung enthalten ist, ist zudem keineswegs neutral. Sie stärkt beispielsweise das Immunsystem der modernen Menschen, trägt jedoch auch heute noch zur Anfälligkeit für mehrere Krankheiten bei. Neandertaler-Genvarianten können sogar das Risiko für schwere Covid-19 Verläufe sowohl erhöhen als auch verringern, wie Forscher an Pääbos Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und am Karolinska Institut in Schweden zeigen konnten.
Der Nobelpreis markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Karriere, die bereits zuvor mit unzähligen hochrenommierten Preisen dekoriert wurde. Und Pääbo ist auch nicht der Einzige in der Familie, der Herausragendes geleistet hat. Auch Pääbos Vater, Professor Dr. Sune Bergström, wurde mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt, den er gemeinsam mit Professor Dr. Bengt Ingemar Samuelsson und Sir John Robert Vane 1982 für bahnbrechende Arbeiten über Prostaglandine und naheverwandte biologisch aktive Substanzen erhielt.