EU will »Antimicrobials« unter Verschreibungspflicht stellen |
Melanie Höhn |
26.06.2023 11:00 Uhr |
Ohne eine Änderung des EU-Vorschlags werden verschreibungsfreie Arzneimittel, die zur Behandlung von Infektionen mit Lippenherpes (Herpes labiales-Viren, siehe Foto) eingesetzt werden, der Verschreibungspflicht unterstellt. / Foto: Shutterstock/Domaskina
Um die Arzneimittelversorgung krisen- und zukunftssicher zu machen, hat die EU-Kommission Ende April ihren Reformvorschlag für das EU-Arzneimittelrecht vorgelegt. Damit will sie gegen Arzneimittel-Engpässe, antimikrobielle Resistenzen (AMR) sowie eine ungleiche Versorgung mit Medikamenten vorgehen.
Das Pharmapaket sieht unter anderem eine Verschreibungspflicht von »Antimicrobials« vor – das sind alle Arzneimittel mit einer direkten Wirkung zur Behandlung oder Prävention von Infektionen. Darunter fallen neben den Antibiotika auch antivirale Mittel, zum Beispiel auch Aciclovir-haltige Cremes gegen Lippenherpes, sowie bislang nicht verschreibungspflichtige Präparate gegen Pilzinfektionen inklusive Vaginalmykosen, Fuß- und Nagelpilz.
Dies ist aus Sicht des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH) für die Apotheken brisant und würde auch große Auswirkungen für die Ärzte sowie die Hersteller von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach sich ziehen, die ihre Präparate vom Markt ziehen würden.
Seitens der EU bestehen Bedenken, dass durch einen zu umfangreichen Gebrauch der antimikrobiellen Arzneimittel Resistenzen gegenüber Wirkstoffen dieser Produktgruppe befördert werden würden. Der BAH dagegen hält die Vorgehensweise der EU für überzogen, »da Resistenzen bei topisch anzuwendenden Präparaten gegen Virus- und Pilzinfektionen aus dem nicht verschreibungspflichtigen Bereich, im Gegensatz zu Antibiotika und systemisch anzuwendenden Antimykotika beziehungsweise antiviralen Arzneimittel, nicht hinreichend untersucht sind«, heißt es in einer Stellungnahme.
Diese Präparate sollten unbedingt außerhalb der Verschreibungspflicht bleiben. Insgesamt rechnet der BAH mit 150 Millionen zusätzlicher Arztbesuche im Jahr, sollte es zu den sogenannten Reswitches der OTC-Produkte kommen.
Ohne eine Änderung dieses EU-Vorschlags würden jetzt verschreibungsfreie Arzneimittel, beispielsweise mit den Wirkstoffen Aciclovir und Penciclovir, die zur Behandlung von Infektionen mit Lippenherpes (Herpes labiales-Viren) eingesetzt werden, der Verschreibungspflicht unterstellt. Im Bereich der Antimykotika würden unter anderem Ciclopirox, Clotrimazol, Bifonazol und Terbinafin verschreibungspflichtig. »Dies hätte erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme, da zum Erhalt derartiger Produkte ein Arzt aufgesucht werden müsste«, kritisiert der BAH.
Rezidivierender Herpes labialis beispielsweise sei eine häufige schmerzhafte Erkrankung, die auf der Aktivierung einer Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus beruhe, so der BAH. Charakteristische Anzeichen und Symptome würden eine frühzeitige Erkennung der Erkrankung ermöglichen, ohne dass ein Arzt konsultiert werden müsse.
Eine potenzielle Verzögerung des Behandlungsbeginns durch die Notwendigkeit eines Arztbesuchs und einer Verschreibung könne sich daher negativ auf den Behandlungserfolg auswirken, kritisierte der Verband. Die Verfügbarkeit von Aciclovir- und Penciclovir-Arzneimittel ohne Rezept sei daher von entscheidender Bedeutung, um eine schnelle Behandlung europäischer Bürger zu ermöglichen.
Es würden enorme Gesundheitskosten entstehen, wenn für die Behandlung dieser Fälle eine ärztliche Beratung und ein Rezept erforderlich wäre. »Aufgrund administrativer und finanzieller Hürden bei der Erlangung eines Arzttermins könnte eine erhebliche Unterbehandlung die Folge sein«, so der BAH in seiner Stellungnahme.
Gleiches gelte im Grundsatz auch für topisch angewandte Arzneimittel gegen Haut-, Fuß- und Nagelpilz- sowie Vaginal-Infektionen. Schätzungsweise 25 Prozent der Weltbevölkerung sei von Dermatomykosen oder Onychomykosen betroffen. 75 Prozent aller Frauen leiden mindestens einmal im Leben an vulvovaginaler Candidiasis.
Wenn beispielsweise Fußpilz nicht rechtzeitig durch eine kurze Therapie behandelt werde, breite sich dieser weiter aus. Antimykotika zur Behandlung von Haut-, Schleimhaut- oder Nagelpilzinfektionen wie Ciclopirox, Terbinafin oder Miconazol seien in der EU rezeptfrei erhältlich – dennoch hätten sich Resistenzen in Europa nicht zu einem größeren Problem entwickelt.
Die genannten Arzneimittel seien zum Teil seit mehr als 40 Jahren in Deutschland verschreibungsfrei erhältlich. Aufgrund der vorliegenden Erfahrungen sei bei topischen Arzneimitteln zur Behandlung von Pilzinfektionen oder Virusinfektionen in den genannten Anwendungsgebieten keine Entwicklung von Resistenzen zu erwarten.
Zustimmung erhielt der BAH vergangene Woche von Professor Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), beim Sommerfest des Verbands. Dort sagte er, dass er die Pläne der EU-Kommission, antimikrobielle Mittel unter die ärztliche Verschreibungspflicht zu stellen, für überzogen hält.
»Wofür ich Verständnis habe, ist der OTC-Status für Antibiotika und antivirale Arzneimittel. Da schießt man unter dem Eindruck der Antibiotikaresistenzen über das Ziel hinaus«, so Broich. »Wenn wir Patienten-Empowerment ernst meinen, dass sollten wir das eben mitnehmen und auch den Patienten diese Souveränität lassen.«
Die ABDA schätzt den EU-Kommissionsvorschlag, jegliche »antimikrobielle« Arzneimittel in die Verschreibungspflicht zu nehmen, als zu weitreichend ein, sagte ein Sprecher auf Nachfrage der PZ. »Wir arbeiten an einem Vorschlag, welche einschränkende Formulierung sachgerecht sein könnte«, erklärte er weiter.
Auch der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) hat sich zu dem Thema geäußert: »Im weiteren Verfahren sollte darauf geachtet werden, dass angemessene Ausnahmen vorgesehen werden, beispielsweise für dermatologische Antimykotika zur Behandlung von Fußpilz (Tinea pedis)«.