| Melanie Höhn |
| 09.12.2025 16:20 Uhr |
Morgen findet der voraussichtlich abschließende Trilog zum Pharmapaket statt. / © Adobe Stock/Bojanikus
In den kommenden Tagen stehen mehrere wichtige Entscheidungen in der europäischen Gesundheitspolitik an. Am 10. Dezember findet der voraussichtlich abschließende Trilog zum Pharmapaket statt. Am 15. Dezember wird der Gesundheitsausschuss seinen Bericht zum »Critical Medicines Act« verabschieden und 16. Dezember wird die Europäische Kommission drei wichtige Initiativen im Gesundheitsbereich vorlegen: den Vorschlag zur Vereinfachung der Medizinprodukteverordnung (MDR), den Vorschlag für einen Europäischen Biotech Act sowie einen Aktionsplan zur Bekämpfung kardiovaskulärer Erkrankungen.
Die EU-Abgeordneten Peter Liese und Oliver Schenk (beide CDU/EVP), Mitglieder im Gesundheitsausschuss (SANT) des Europäischen Parlaments, informierten heute in einer gemeinsamen Pressekonferenz über die geplanten europäischen Vorhaben in der Gesundheitspolitik.
»Die Reform der europäischen Arzneimittelpolitik ist extrem wichtig für die Gesundheit, aber auch für die Wettbewerbsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie«, sagte Liese zum morgigen Trilog zur Reform des EU-Arzneimittelrechts. Viele Dinge seien unstrittig, beispielsweise, dass das sogenannte »Rolling Review« allgemein eingeführt werden soll. »Rolling Review beschleunigt das Zulassungsverfahren, ohne Abstriche bei der Sicherheit. Das Dossier muss nicht vollständig abgeschlossen sein. Man kann zum Beispiel Ergebnisse der klinischen Prüfung Phase 1 und 2 einreichen und dann im weiteren Verfahren auf Anregungen und Bedenken der EMA Rücksicht nehmen«, so Liese.
Ein weiteres Thema sei die Einführung von weniger strengen Bürokratieregeln für Apotheken für die Herstellung von Medikamenten. »Die Möglichkeit für Apotheken, individuelle Herstellung von Medikamenten für bestimmte Patientengruppen oder im Falle von Arzneimittelknappheit durchzuführen, bleibt bestehen. Das gilt auch für den Fall, dass es nicht nur eine Portion eines Arzneimittels gibt, sondern auch etwa 10, wenn man weiß, dass in einer bestimmten Situation 10 Patienten zu erwarten sind«, sagte Liese. Apothekerinnen und Apotheker bräuchten, wenn sie individuell für Patientinnen und Patienten Medikamente herstellen, keinen QR-Code. »Man setzt darauf, dass das im persönlichen Gespräch geklärt wird. Das wäre noch schöner, dann hätten wir noch ein größeres Problem, wenn ein Arzneimittel knapp ist. Da muss man pragmatisch handeln«, so Liese.
Auch der elektronische Beipackzettel, der verpflichtend eingeführt werden soll, ist auf der EU-Agenda: »Trotzdem bleibt der Beipackzettel aus Papier zunächst erhalten. Die Mitgliedstaaten können aber selbstständig entscheiden, diesen irgendwann durch den rein elektronischen zu ersetzen. Das ist die Einigung, die ich erwarte«, sagte Liese.
Ein anderer wichtiger Aspekt seien Antibiotika. »Es gab gestern eine große Anhörung im Gesundheitsausschuss. Wir brauchen einen sorgfältigen Umgang mit Antibiotika, aber wir brauchen eben auch neue Antibiotika«, sagte Liese. Es sollen verbesserte Regeln zur Nutzung von Antibiotika eingeführt werden. »Antibiotika sollen gezielter eingesetzt werden. Als konkrete Beispiele für einen ›prudent use‹ stehen unter anderem eine grundsätzliche Verschreibungspflicht, der Einsatz einer Informationskarte (Awareness-Karte) in Antibiotikapackungen sowie eine stärkere diagnostische Absicherung vor dem Einsatz auf dem Tisch; diese Maßnahmen sind politisch in Diskussion, aber noch nicht abschließend bestätigt.«
Derzeit hätten Firmen zudem aus finanzieller Sicht keinen Anreiz, ein neues Antibiotikum zu entwickeln – deshalb soll ein neues »Voucher«-System eingeführt werden: »Hersteller, die neue Antibiotika entwickeln, erhalten dafür einen Gutschein (Voucher). Diesen können sie an andere Firmen weiterverkaufen, die damit die Marktexklusivität eines Medikaments um 12 Monate verlängern dürfen. Dabei entsteht ein Anreiz, in neue Antibiotika zu investieren, auch wenn sie aufgrund notwendiger politischer Entscheidungen nur sehr selten eingesetzt werden«, so Liese. Neue Antibiotika gehören laut Liese in den »Panzerschrank«, damit nicht sofort wieder Resistenzen entstehen. Sie dürften nur eingesetzt werden, wenn andere Mittel nicht mehr wirken. »Dadurch lassen sich relativ wenige Packungen verkaufen. Trotzdem brauchen wir sie, um das Problem der Antibiotikaresistenzen anzugehen. 35.000 Menschen in der EU sterben jährlich an Antibiotikaresistenzen – Tendenz steigend.«
Zudem sollen Hersteller künftig verpflichtet werden, drohende Lieferengpässe früher und systematischer zu melden. Die Europäische Arzneimittelagentur erhält laut Liese eine stärkere koordinierende Rolle bei der Überwachung kritischer Wirkstoffe und bei der europäischen Krisensteuerung. Diese Regelung könne das Problem der Arzneimittelknappheit nur im beschränkten Rahmen lösen. Die wirklichen Ursachen der Arzneimittelknappheit würden aber erst durch den »Critical Medicines Act« angepackt werden
»Aus meiner Sicht betrifft das eines der größten gesundheitspolitischen Probleme überhaupt.« Am kommenden Montag stimmt der Gesundheitsausschuss über den Gesetzesentwurf ab. »Die Mitgliedstaaten müssen bei den Ausschreibungen stärker darauf achten, dass nicht der Billigste den Preis bekommt, sondern die Versorgungssicherheit, also zum Beispiel die Produktion in der EU, eine größere Rolle spielt. Außerdem müssen wir die Genehmigungsverfahren für die Produktion von Arzneimitteln in der EU deutlich beschleunigen.«
Der wichtigste gesundheitspolitische Vorschlag laut Liese ist die Überarbeitung der Medizinprodukte-Verordnung (MDR), die am kommenden Dienstag auf der Agenda der EU-Kommission steht. »Hier haben wir ein Riesenproblem, nicht nur für die Unternehmen, sondern vor allen Dingen für die Patientinnen und Patienten«, sagte der Politiker. »Bei Medizinprodukten wie Herzkathetern oder auch einfacheren Medizinprodukten gibt es alle fünf Jahre die Pflicht, diese neu zu zertifizieren. Deswegen sind die benannten Stellen, die das machen, völlig überlastet. Es dauert ewig und es kostet ein Wahnsinnsgeld. Das muss dringend geändert werden«, forderte der Gesundheitspolitiker. Die überbordende Bürokratie sei nicht nur schlecht für den Wirtschaftsstandort, sie schade auch ganz konkret Patientinnen und Patienten, zum Beispiel Kindern, die an Herzkrankheiten leiden, sagte Liese. »Ich werde mich dafür einsetzen, dass das Europäische Parlament den Vorschlag schnell annimmt.«
Oliver Schenk sprach von großen Herausforderungen für die EU: »Einmal von der Bedarfsseite, was die medizinische Versorgung betrifft, aber auch unter dem Aspekt, diese Branche zu sehen, die dahinter steht. Es geht nicht nur um die Versorgung der Menschen, das steht natürlich im Vordergrund, aber die Pharmaindustrie beziehungsweise die Arzneimittelproduktion ist eine der Säulen, auf denen auch etwas wettbewerbsfähig bleibt«, erklärte er. Es gebe eine sehr gute Forschung in Europa, aber das Problem, diese Forschung auch auf den Markt zu bringen. In diesem Zusammenhang erwähnte er den »Biotech Act«, der auch kommende Woche auf der Agenda der EU ist.
Das Thema Lieferengpässe ist seiner Meinung nach das dringendste Problem: Vor zehn Jahren seien etwa 50 Arzneimittel beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als nicht lieferbar gemeldet gewesen, heute seien dies 400 bis 500 Medikamente. »Das zeigt, wie dramatisch die Entwicklung in den letzten Jahren ist.«