EU-Lieferkettengesetz erneut gescheitert |
Melanie Höhn |
04.03.2024 14:15 Uhr |
Die EU-Staaten votierten gegen das Lieferkettengesetz. / Foto: IMAGO/ANP
Nach dem vorläufigen Aus des europäischen Lieferkettengesetzes (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) im zweiten Anlauf ist nun noch offen, ob noch einmal neue Verhandlungen über das Vorhaben aufgenommen werden müssen – eigentlich hatten sich die Institutionen der EU im Dezember 2023 bereits auf einen Kompromiss geeinigt.
»Wir müssen nun den Stand der Dinge prüfen und werden sehen, ob es möglich ist, die von den Mitgliedstaaten vorgebrachten Bedenken in Absprache mit dem Europäischen Parlament auszuräumen«, wie die belgische Ratspräsidentschaft auf Twitter mitteilte.
Italien stimmte gegen das Gesetz, Deutschland enthielt sich bei der Abstimmung – das wirkte jedoch in dem Gremium wie eine Nein-Stimme. In der Bundesregierung drängten die FDP-Bundesminister Christian Lindner und Marco Buschmann darauf, dass Deutschland dem Gesetz nicht zustimmt. Die Liberalen fürchten um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und nicht zu bewältigende bürokratische Lasten. SPD und Grüne sprachen sich jedoch für das Gesetz aus.
»Mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten hat dem Entwurf nicht zugestimmt, auch etwa Frankreich und Italien«, sagte FDP-Bundesjustizminister Buschmann. In der derzeitigen Lage sei die Richtlinie vor allem für Mittelständler schlicht nicht umsetzbar. Vor der Europawahl im Juni erwartet die Bundesregierung nun keinen weiteren Anlauf. »Da fehlt mir im Augenblick die Fantasie für«, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Das EU-Lieferketten-Gesetz will, dass europäische Firmen kontrollieren müssen, ob ihre Geschäftspartner in anderen Teilen der Erde Menschenrechte einhalten und die Umwelt schützen – über die gesamte Wertschöpfung hinweg, vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Außerdem sollen die Konzerne sicherstellen, dass es bei ihren Zulieferern keine Kinderarbeit und Ausbeutung gibt, dass keine Flüsse verschmutzt und keine Wälder abgeholzt werden.
Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, hält es für richtig, dass das Lieferkettengesetz, so wie es jetzt vorliegt, nicht beschlossen wird. »Als Mitglied des Umweltausschusses habe ich mich für eine pragmatische Lösung eingesetzt. Eine Verantwortung der Unternehmen für ihre Lieferketten ist richtig, aber der Vorschlag, der auf dem Tisch lag, geht über das deutsche Gesetz hinaus und würde daher in einer schwierigen Phase zusätzliche Belastung mit sich bringen«, sagte er auf PZ-Nachfrage. Schon das deutsche Gesetz sei sehr bürokratisch und müsse entschlackt werden.
Problematisch sei, dass sich die FDP erst in letzter Minute eingebracht habe: »Durch rechtzeitige klare Positionsbestimmungen hätte man vielleicht ein besseres Lieferkettengesetz hinbekommen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob die verhandlungsführenden Ministerien sich immer ausreichend mit den FDP-geführten Ministerien abgestimmt haben«, so Liese weiter. Die Art und Weise, wie Deutschland hier vorgehe, schade den deutschen Interessen in der Europäischen Union. »Das ändert aber nichts daran, dass in der Sache eine Ablehnung richtig ist«, sagte er weiter.
Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) hatte bereits im Laufe des politischen Willensbildungsprozesses mehrfach Kritik am geplanten EU-Lieferkettengesetz geäußert. »Auch wenn wir die grundlegende Zielausrichtung des EU-Lieferkettengesetzes begrüßen, gehen die Vorgaben der EU-Richtlinie weit über die Bestimmungen des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes hinaus«, sagte eine Sprecherin auf Nachfrage der PZ. Das Gesetz überfordere nicht nur die Unternehmen im direkten Anwendungsbereich des Gesetzes, sondern durch eine indirekte Weitergabe der Sorgfaltspflichten insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, so die Sprecherin weiter.
»Die dadurch resultierende Übertragung, eigentlich primär staatlicher Aufgaben im Bereich des Menschenrechts- und Umweltschutzes, liegt häufig jenseits des Einflussbereichs der Unternehmen.
Gerade auch mit Blick auf die zahlreichen Legislativvorhaben der Europäischen Kommission im Zuge der Überarbeitung des EU-Pharma-Pakets, zeichnet sich eine klare Gefahr der Überbürokratisierung ab, die die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie ernsthaft bedroht«, hieß es. Zusätzliche administrative Auflagen, wie etwa durch das EU-Lieferkettengesetz, »müssen für pharmazeutische Unternehmen auch im Interesse der Versorgungssicherung unbedingt vermieden werden«, erklärte sie.
Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) erläuterte auf PZ-Nachfrage, dass sich der Verband für innovative Rahmenbedingungen, stabile Lieferketten und einen reibungslosen Warenverkehr einsetzt, »um die Arzneimittelversorgung zu gewährleisten und den wirtschaftlichen Wohlstand in Deutschland zu fördern«. Dabei spiele auch die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten eine wichtige Rolle. Neben der Reduzierung bestehender Auflagen sei jedoch die Vermeidung neuer Anforderungen von entscheidender Wichtigkeit für den Pharmastandort Deutschland, so eine Sprecherin. Der BAH unterstütze daher grundlegende Anpassungen am Vorschlag für das EU-Lieferkettengesetz und stehe für einen konstruktiven Dialog zur Verfügung.