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Lieferengpässe Antibiotika

»Es wird wieder auf die Apotheken ankommen«

Warum die gelockerten Austauschregeln in Apotheken die wichtigste Maßnahme zur Bekämpfung von Lieferengpässen sind, welche Dinge ihn vorsichtig optimistisch stimmen und warum es langfristige Lösungen zur Planbarkeit für Hersteller braucht, erklärt Infectopharm-Geschäftsführer Phillip Zöller im PZ-Interview. 
AutorKontaktMelanie Höhn
Datum 26.09.2023  16:10 Uhr

PZ: Herr Zöller, Infectopharm war der erste Hersteller, der zum 1. Dezember 2022 die Preise seiner festbetragsgeregelten Antibiotikasäfte für Kinder erhöht hatte, um ein politisches Zeichen zu setzen. Im Februar 2023 setzte dann der GKV-Spitzenverband die Festbeträge für Kinder-Arzneimittel mit den Wirkstoffen Ibuprofen, Paracetamol und Antibiotika aus. Wie waren die Reaktionen? Wie bewerten Sie die Maßnahme im Nachgang?

Zöller: Die Maßnahme war richtig und dringend notwendig, da eine wirtschaftliche Fortführung zum Festbetrag nicht mehr möglich gewesen wäre. Der Festbetrag für Penicillin-haltige Trockensäfte gilt beispielweise seit 2006 und wurde seitdem nie angepasst. Durch massive Kostensteigerungen, insbesondere in den vergangenen zwei Jahren, ist die letzte dünne Marge nun abgeschmolzen. Nicht umsonst haben sich seit 2006 zehn Anbieter von Penicillin-Säften aus dem Markt zurückgezogen.

PZ: Führen Sie das Einlenken des GKV-Spitzenverbands auf Ihre Initiative zurück?

Zöller: Nein. Wir werten dies auch nicht als Erfolg für uns persönlich, sondern als richtige Maßnahme des GKV-Spitzenverbands. Die Aussetzung galt zunächst nur für drei Monate und wurde dann bis Ende dieses Jahres verlängert. Wir brauchen aber langfristige Lösungen, die Planbarkeit ermöglichen. Mit dem Arzneimittel-Lieferengpass-Bekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) ist dies, zumindest für die wichtigsten Kinderarzneimittel, in gewisser Weise nun geschehen.

PZ: Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach hat kürzlich seinen 5-Punkte-Plan gegen Lieferengpässe vorgestellt. Wie bewerten Sie diese Lösungsansätze?

Zöller: Der wichtigste Punkt ist, dass Apotheken freier substituieren können. Es wird diesen Winter nicht zu jeder Zeit von allen notwendigen Wirkstoffen alle Wirkstärken und Packungsgrößen geben. Daher wird es in besonderem Maße wieder auf die Apotheken ankommen. Es muss ohne jedes wirtschaftliche und bürokratische Risiko möglich sein, auf einen Saft mit anderer Konzentration und Packungsgröße wechseln zu können. Durch diese Freiheit bin ich guter Dinge, dass jedes Kind die kommende Saison mit dem richtigen Wirkstoff versorgt wird.

PZ: Was hat noch dazu beigetragen, dass sich die Situation zumindest bei den Kinder-Antibiotikasäften entspannt hat?

Zöller: Zunächst möchte ich feststellen, dass wir in den vergangenen zwölf Monaten mehr Antibiotikasäfte verkauft haben als je zuvor. Zum Beispiel haben wir fast eine Million Packungen Penicillin-Trockensäfte abgegeben. Dies entspricht etwa der fünffachen Menge im Vergleich zu den beiden Corona-Jahren zuvor und der doppelten Menge eines durchschnittlichen Jahres vor Corona. Der Bedarf war aufgrund nachgeholter Infektionen sehr hoch.

Zudem besteht durch die geringen Margen ein enormes wirtschaftliches Risiko. Bei dem Antibiotikum InfectoCef lag unser Rohertrag bei gut 10 Prozent. Das bedeutet, wenn eine Packung nicht verkauft und danach vernichtet wird, müssen neun andere verkauft werden, um den Verlust auszugleichen. Davon sind noch keine Lagerhaltung, Personal und sonstige Kosten bezahlt. Es ist für ein Unternehmen daher extrem riskant, hohe Lagerreichweiten vorzuhalten. Dennoch konnten wir den Markt mit oben genannten Mengen versorgen. Ob wir diesen Winter eine entspanntere Situation erleben werden, wird wesentlich von der Infekt-Saison abhängen.

PZ: Wir können also im Falle einer normal verlaufenden Infektsaison optimistisch auf den kommenden Winter blicken?

Zöller: Drei Dinge stimmen uns vorsichtig optimistisch: Durch die Aussetzung der Festbeträge und dem ab 1. Februar 2024 greifenden ALBVVG hat sich die wirtschaftliche Situation bei den Antibiotikasäften leicht verbessert. Somit war es für uns möglich, die Bestellungen deutlich zu erhöhen. Zweitens produzieren die Hersteller tatsächlich rund um die Uhr. Wenn alle Bestellungen wie geplant geliefert werden, sollte es zumindest auf Patientenebene zu einer ausreichenden Versorgung kommen. Vorraussetzung ist, dass es zu keinen gravierenden Unterbrechungen in den Lieferketten kommt, wofür wir derzeit keine Anhaltspunkte haben. Drittens haben die Apotheken wie schon erwähnt nun die Sicherheit, frei zwischen Wirkstärken und Packungsgrößen eines bestimmten Antibiotikums – ohne jegliche Bürokratie und Retax-Risiko – austauschen zu dürfen.

PZ: Trotz des wirtschaftlichen Risikos haben Sie Ihre Bestellungen erhöht?

Zöller: Ja, trotz des wirtschaftlichen Risikos haben wir unsere Bestellungen schon zu Beginn des Jahres erneut deutlich gesteigert und teilweise dreifache Jahresmengen bestellt. Nichtsdestotrotz erleben wir momentan, dass wir unsere nachgelieferten Antibiotikasäfte innerhalb weniger Tage verkaufen. Die Handelsstufen sind teilweise leer und die Großhändler und Apotheken wollen ihre Lager wieder befüllen. Das macht uns nervös, weil wir selbst nicht dazu kommen, Sicherheitsbestände aufzubauen.

Uns beruhigt aber, dass wir anhand der Serialisierungsdaten tagesaktuell sehen können, dass deutlich weniger Packungen an Patienten abgegeben werden, als wir an den Großhandel liefern. Von unserem antibiotischen Saft InfectoBicillin beispielsweise haben wir in den vergangenen sechs Wochen 73.000 Packungen verkauft, das entspricht etwa einem Drittel des durchschnittlichen Jahresbedarfs. Gleichzeitig wurden laut Serialisierungsdaten nur etwa 9000 Packungen an Patienten abgegeben. Wir gehen daher davon aus, dass aktuell alle Patienten mit diesem Präparat versorgt werden können.

PZ: Können Sie die Lieferkette am Beispiel Amoxicillin-Saft beschreiben?

Zöller: Sowohl der Wirkstoff als auch das Fertigarzneimittel kommen aus Österreich. Das ist bei Antibiotika die absolute Ausnahme. Wir haben acht verschiedene Antibiotikasäfte für Kinder im Sortiment. Alle unsere Wirkstoffe kommen glücklicherweise aus Europa und die Fertigprodukte stammen entweder aus Österreich oder Deutschland.

Die große Mehrheit der Wirkstoffe und inzwischen auch Fertigarzneimittel kommen aus China und Indien. Dort lässt es sich schlicht und einfach preiswerter produzieren. Aufgrund des existenziellen Kostendrucks auf generische Arzneimittel gibt es keine andere Wahl für die Hersteller. Inzwischen findet sogar eine weitere Verlagerung nach Afrika und Südamerika statt. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung, die politisch – trotz jahrzehntelanger Warnung – exakt so gesteuert wurde.

PZ: Generell ziehen sich immer mehr Kinderarzneimittel-Produzenten vom Markt zurück. Warum?

Zöller: Dieses Phänomen ist nicht nur bei Kinderarzneimitteln zu sehen. Seit Jahren ziehen sich im großen Stil pharmazeutische Unternehmen aus generischen Märkten zurück. Unser System ist einzig und allein darauf ausgelegt, dass billigste Arzneimittel zu bevorzugen. Durch Festbeträge, Rabattverträge und Zwangsrabatte sind Preise bestenfalls gleichbleibend, in der Regel eher fallend. Parallel dazu steigen aber Kosten in der Produktion und beim Personal, außerdem steigen jährlich die Anforderungen an Qualität und Dokumentation. Das kann nicht funktionieren und führt unausweichlich früher oder später bei jeder Substanz zum Versorgungsmangel.

PZ: An welchen Stellschrauben muss Ihrer Meinung nach noch gedreht werden, damit Lieferengpässe in Zukunft vermieden werden können? Sie sagten kürzlich auf einer Veranstaltung der »Zeit«, dass unser System krank ist.

Zöller: Es darf an gar keinen Stellschrauben mehr gedreht werden. Das ist nämlich genau das Problem, es wird immer wieder hier und da etwas angepasst, aber dadurch wird das System nicht besser, sondern komplexer, unübersichtlicher und schlechter. Festbeträge haben über 30 Jahre gut funktioniert. Auch Rabattverträge oder Zwangsrabatte haben für Entlastungen des Gesundheitswesens in der Vergangenheit gesorgt. Auch das Preismoratorium 2009 war sicherlich hilfreich. Aber jede Regelung muss regelmäßig auf den Prüfstand gestellt und bewertet werden.

Warum muss man denn immer warten, bis ein System völlig an die Wand gefahren ist, um zu reagieren? Es wurde lautstark in den letzten Jahren vor genau dieser dramatischen Versorgungsituation gewarnt, immer wurde es heruntergespielt. Selbst Fakten wie massenhafte Abwanderung der Produktion aus Deutschland und Europa wurden ignoriert. Schließlich wurden auch besorgniserregende Konzentrationen am Markt auf wenige Hersteller bewusst akzeptiert. Erst jetzt, wo eine Vielzahl von wichtigen Arzneimitteln fehlen und Patienten unter dem Mangel leiden, scheint langsam ein Umdenken einzusetzen. Es ist höchste Zeit, mutig das gesamte System zu überprüfen, zu reformieren und deutlich zu vereinfachen.

PZ: Noch eine letzte Frage zum Thema antiparasitäre Mittel: Gibt es Auffälligkeiten bei der Nachfrage und sind Lieferengpässe zu befürchten?

Zöller: Nein, hier beobachten wir aktuell keine Auffälligkeiten und Engpässe sind momentan nicht zu erwarten.

PZ: Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Zöller.

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