Es muss was in Bewegung kommen |
Trotz Rückenschmerzen sollten Betroffene in Bewegung bleiben – denn Bewegungsmangel ist die häufigste Ursache der Beschwerden. Regelmäßige Spaziergänge können schon reichen. / Foto: Adobe Stock/Aleksej
Rückenschmerzen können weiterhin als Volksleiden bezeichnet werden. Das zeigt eine zwischen Oktober 2019 und März 2020 durchgeführte Querschnittbefragung zur »Prävalenz von Rücken- und Nackenschmerzen in Deutschland – Ergebnisse der Krankheitslast-Studie Burden 2020« des Robert-Koch-Instituts (RKI), die jetzt im »Journal of Health Monitoring« erschienen ist.
61,3 Prozent der 5009 Befragten berichteten über Rückenschmerzen in den vorangegangenen zwölf Monaten. Bei den Frauen waren es zwei Drittel (66 Prozent), bei den Männern 56 Prozent. Schmerzen des unteren Rückens waren etwa doppelt so häufig wie Schmerzen des oberen Rückens. 15,5 Prozent klagten über chronische Rückenschmerzen. 45,7 Prozent litten im vergangenen Jahr unter Nackenschmerzen (Frauen: 55 Prozent; Männer: 36 Prozent). 15,6 Prozent hatten Schmerzen gleichzeitig in allen drei Körperbereichen. Ältere berichteten über deutlich mehr Schmerzattacken pro Monat als jüngere Befragte. Das weibliche Geschlecht war von allen Schmerzarten häufiger betroffen als das männliche Geschlecht. An chronischen Rückenschmerzen, also einem fast täglichen Auftreten über mindestens drei Monate, leiden der Befragung zufolge 18,5 Prozent der Frauen und 12,4 Prozent der Männer.
Für die Geschlechtsunterschiede werden mehrere Gründe diskutiert, zum Beispiel abweichende anatomische Charakteristika wie die Muskelkraft. Frauen nähmen darüber hinaus ihren Körper häufig sensibler wahr als Männer und reagierten in der Folge tendenziell stärker auf Schmerzreize. Die intensivere Schmerzwahrnehmung sei darüber hinaus hormonell bedingt. Es gebe zudem jeweils andere Arten der zerebralen Schmerzverarbeitung.
Ob Mann, ob Frau: Die vorliegenden Ergebnisse, so das Autorenteam, verdeutlichen die Notwendigkeit der frühzeitigen Prävention und medizinischen Versorgung von Rücken- und Nackenschmerzen – dieses allemal, da die Schmerzen in Häufigkeit und Intensität mit dem Alter stark zunähmen. Die Rede ist von einer mit den Lebensjahren wachsenden Krankheitslast, die bereits in jüngeren Jahren Prävention beziehungsweise multimodale Therapieoptionen einschließlich bewegungs- und arbeitsweltbezogener Interventionen erforderlich macht.
Zentrale Ursache von Rückenschmerzen ist zumeist fehlende Bewegung. »Damit die Wirbelsäule stabil gestützt wird, benötigt sie eine kräftige Muskulatur«, betont die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) anlässlich des Tages der Rückengesundheit am 15. März. »Der Schlüssel für eine Stärkung der Rückenmuskeln ist körperliche Aktivität. Nicht zuletzt für Bandscheiben und Gelenke ist der Wechsel von Be- und Entlastung ideal, denn so kann der Knorpel mit Nährstoffen versorgt werden.«
»In unserem alltäglichen Leben spielt Bewegung eine immer geringere Rolle, besonders jetzt im Lockdown. Sie ist aber nötig, um den Rücken fit zu halten«, sagt DGOU-Präsident Professor Dr. Dieter C. Wirtz. Dabei komme es nicht auf intensives Training im Fitness-Studio oder im Sportverein an. Grundsätzlich gelte quer durch alle Altersgruppen: Jede Art von Bewegung sei gut und selbst einfache Aktivitäten helfen dem Rücken.
Ob Spazierengehen, Schwimmen oder Gartenarbeit, ob Hula Hoop, Stand-up-Paddling oder Bouldern in jüngeren Lebensjahren: »Wichtig ist, überhaupt etwas zu tun. Welche Art von Bewegung das ist, ist zweitrangig. Der Mensch ist evolutionär gesehen ein Lauftier und kein Faultier«, ergänzt Professor Dr. Bernd Kladny, stellvertretender DGOU-Generalsekretär.
Wie auch immer: »Mit mindestens 30 Minuten Bewegung am Tag tut man seinem Rücken etwas Gutes, wobei sich kleine Trainingseinheiten mit etwas Motivation und Aufmerksamkeit problemlos in fast jeden Alltag einbauen lassen«, so Wirtz und Kladny mit Verweis auf die Nationale Versorgungs-Leitlinie (NVL) »Nicht-spezifischer Rückenschmerz«. Diese hebt gleichermaßen die Bedeutung regelmäßiger körperlicher Aktivitäten im Rahmen multimodaler Therapieoptionen hervor.
Ursache für die Entstehung und Chronifizierung nicht spezifischer Rücken- und Nackenschmerzen sei ein komplexes Gemisch aus psychologischen, sozialen und biophysikalischen Faktoren, heißt es in der NVL weiter. Um diesen tieferen Ursachen zu begegnen, könnten gegebenenfalls auch Maßnahmen der kognitiven Verhaltenstherapie beziehungsweise Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelrelaxation erforderlich werden.
Das Autorenteam der NVL betont, dass die medikamentöse Therapie nicht-spezifischer Kreuzschmerzen eine rein symptomatische Behandlung ist. Diese könne jedoch – in der niedrigsten wirksamen Dosierung und so kurzzeitig wie möglich – angezeigt sein, wenn Patienten bei der Durchbrechung des Teufelskreises Schmerzen, mangelnde körperliche Aktivität, Schmerzen Unterstützung brauchen. Sie hätte zudem ihre Berechtigung, wenn nicht tolerable Beschwerden trotz multimodaler Therapieoptionen weiter bestehen bleiben.
Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass insbesondere bei der Langzeitanwendung relevante Risiken mit zum Teil erheblichen gesundheitlichen Folgen bestehen. Die sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung bei gleichzeitiger Aufklärung und Information des Patienten über die Pathogenese der Schmerzen sowie Wirkmechanismen, Kontraindikationen, Neben- und Wechselwirkungen der eingesetzten Analgetika sei unumgänglich.