»Es muss mehr Geld ins System« |
Kerstin Pohl |
26.10.2023 16:30 Uhr |
Skizzierten die Situation der Apotheken (von links): Constantin Biederbick, Referent Sebastian Schwintek und Sebastian Berges. / Foto: TGL Nordrhein
Nach wie vor spielen Apotheken eine zentrale Rolle im Gesundheitssystem und sind erfolgreich als Gesundheitsdienstleister und Arbeitgeber, so der 1. Vorsitzende der TGL Nordrhein, Constantin Biederbick. Eine Alternative dazu sei nicht denkbar. Trotzdem gelte es kurz- bis mittelfristig, neue Wege zu finden, um die Bevölkerung weiterhin an die Apotheken zu binden und um sie beraten zu können.
Problematisch ist allerdings nach wie vor die Personalsituation in den Apotheken. Hinzu kommen die anstehenden Verhandlungen mit der Apothekengewerkschaft Adexa, die eine Gehaltssteigerung von 11,5 Prozent für 2024 fordert.
Sebastian Berges, 2. Vorsitzender der TGL Nordrhein, ging näher auf das Dilemma ein, Apothekenteams weiterhin zu finanzieren, aber gleichzeitig das Familieneinkommen des Apothekers zu sichern. Die betriebswirtschaftlichen Entwicklungen im Apothekenmarkt seien ein Brandbeschleuniger, so Berges. Die Lohnforderung sei nachvollziehbar, aber der unternehmerische Spielraum der Apotheken sei begrenzt. Seit 20 Jahren liegt die Apothekenvergütung unter der Inflationsrate, und die Schere geht immer weiter auseinander. Immer mehr Apotheken schließen, kämpfen mit Lieferengpässen, Mitarbeiter sind schwer zu finden, und zudem bieten Apotheken mit den pharmazeutischen Dienstleitungen noch Zusatzleistungen an.
Berges sieht die Forderung der Adexa nach einem Plus von 11,5 Prozent in Nordrhein im Gehaltstarifvertrag für 2024 ebenfalls als problematisch an. Zum Hintergrund: Adexa hat die laufenden Gehaltstarifverträge mit der Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter Nordrhein (TGL Nordrhein) und dem Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken (ADA) zum 31. Dezember 2023 gekündigt. Die Forderung für das Jahr 2024 beträgt 11,5 Prozent für alle Berufsgruppen und Berufsjahresgruppen. Dies gilt auch für die Ausbildungsvergütungen. Die Adexa-Tarifkommission begründet dies mit der außergewöhnlich hohen Inflationsrate von 7,9 Prozent im Jahr 2022 sowie prognostizierten 6,0 Prozent Inflation für 2023, die zu erheblichen Reallohnverlusten bei den Apothekenangestellten geführt haben.
Berges hingegen plädierte für eine moderate und »angemessene« Vergütung. Die übertariflichen Anteile sollten besser flächendeckend eingebaut werden. »Generell muss mehr Geld ins System«, so der 2. Vorsitzende der TGL Nordrhein.
Diese Forderung stellte auch Sebastian Schwintek, Geschäftsführer der Treuhand Hannover. In seinem Vortrag »Branchenlage Apotheke 2023 – wie lange können Apotheken ihre Mitarbeiter noch bezahlen?«, zeigte er die schwierige Situation der Apotheken vor Ort auf.
Im Halbjahresvergleich 2023 zu 2022 zeigte er, dass die Umsätze der Apotheken im GKV-Umsatz (+ 4,7 Prozent), HV-Umsatz (+ 2,6 Prozent) und Rohertrag (+ 0,2 Prozent) zwar zunahmen, jedoch die Kosten stiegen (+ 2,4 Prozent) und der Betriebserlös vor Steuern sogar rückläufig war (- 9,1 Prozent). Auch der Rohgewinn der Apotheken in Nordrhein-Westfalen sank auf 22,2 Prozent. Zum Vergleich: 2021 waren es noch 24,5 Prozent und 22,9 Prozent im Jahr 2022. Generell nimmt der Anteil des Rohgewinns am Umsatz immer stärker ab. Rund 10 Prozent der Apotheken in NRW zeigen defizitäre Betriebsergebnisse.
Trotz des Marktwachstums hätten ein Drittel der Apotheken in NRW mit einem Umsatzminus zu kämpfen, und die Mehrzahl der Apotheken liegt in der Umsatzentwicklung unter dem Durchschnitt, sagte Schwintek.
Ein Kipppunkt sei erreicht, so der Referent. Die wesentlichen Treiber dafür seien die Personalknappheit, Lieferengpässe, die unterlassene Anpassung der Rx-Vergütung, die von der Regierung ignoriert werde, sowie der erhöhte Zwangsabschlag. Dieser wirke wie ein Brandbeschleuniger insbesondere für gefährdete Apotheken. Und hinzu komme noch die Inflation, die sich dann bei der Teuerung des Wareneinsatzes und der Erhöhung der Betriebskosten bemerkbar mache.
Neben diesen Problemen kämen jetzt noch die Forderungen der Adexa, so Schwintek. Können diese Forderungen denn überhaupt umgesetzt werden? Die Inflationsprognose liegt bei 2,6 bis 3 Prozent, die Gehaltsentwicklung liegt branchenübergreifend bei 4,1 bis 4,7 Prozent. Die Personalkosten in den Apotheken stiegen seit 2020 um insgesamt 78.000 Euro pro Jahr. Sie machten 2022 einen Anteil von 46,6 Prozent vom Rohgewinn aus, 2023 bereits einen Anteil von 49,7 Prozent.
Je nach Größe und Umsatz der Apotheke wirkt sich dies laut Schwintek unterschiedlich aus. Bei kleinen Apotheken (1,75 Millionen Nettoumsatz) würde eine Tarifsteigerung wie von Adexa gefordert ein Kostenvolumen von 23.100 Euro auslösen, bei mittleren Apotheken (2,9 Millionen Nettoumsatz) von 35.500 und bei großen Apotheken (5,2 Millionen Nettoumstz) von 57.700 Euro. Ein Drittel der Apotheken seien Filialapotheken. Diese seien besonders betroffen, auch wenn der geringere Ertrag durch die Hauptapotheke abgepuffert werden könne.
Diese Zahlen zeigten, dass der Spielraum für Apotheken nur sehr klein sei, führte Schwintek weiter aus. Zudem sei ab 2024 mit weiter steigenden Mindestlöhnen für gering qualifizierte Berufsgruppen wie Boten, Fahrer und Raumpfleger zu rechnen. Durch die Personalknappheit und den Wettkampf um gutes Personal seien übertarifliche Zulagen zu erwarten, so Schwintek. Da das Betriebsergebnis 2023 schon im zweistelligen Prozentsatz abfällt, sei außerdem davon auszugehen, dass der Rohgewinn erwartbar sinken werde.
Die ABDA prognostiziert zudem bis zu 600 Apothekenschließungen 2024. Deshalb fordert auch Schwintek: »Es muss mehr Geld ins System. Allein durch die Steigerung des Umsatzes werden wir das nicht stemmen können.«
Das unterstrich auch Thomas Preis, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein und Ehrengast auf der Jahreshauptversammlung. Eine »Apotheke light« oder die Einrichtung von Gesundheitskiosken wie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplant, seien so einfach nicht möglich. »Wir brauchen ganz dringend mehr Honorar. Die Branche ist wirtschaftlich nicht mehr interessant, und in den nächsten 20 Jahren müssen 30 Prozent mehr Leistungen erbracht werden mit weniger Personal.« Preis rief deshalb dazu auf, Geschlossenheit zu zeigen. Das werden die Apotheker am 15. November auch tun mit einer großen Demonstration in Dortmund. Ihnen anschließen werden sich auch Hausärzte, die an diesem Tag ihre Praxen ebenfalls schließen werden. »Es wird ein Ruck durch die Politik gehen. Das kann man nicht so einfach abtun«, sagte Preis.