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| Sven Siebenand |
| 27.10.2025 09:00 Uhr |
Mikrogliazellen sind die Immunzellen des Gehirns. / © Adobe Stock/JosLuis
Mikrogliazellen gelten als Immunzellen des Gehirns. Sie spüren Krankheitserreger, Zellreste oder schädliche Ablagerungen auf und beseitigen diese. Um diesen Job optimal erledigen zu können, sind sie mit hochbeweglichen Fortsätzen ausgestattet, mit denen sie das Gehirn 24/7 abtasten. »Man kann sich Mikroglia wie einen Tintenfisch vorstellen, der mit seinen Tentakeln ständig seine Umgebung überprüft«, vergleicht Professor Dr. Christian Madry vom Institut für Neurophysiologie der Charité in Berlin in einer Pressemeldung der Alzheimer Forschung Initiative.
Madry und Kollegen haben aktuelle Forschungsergebnisse im Fachjournal »Science Advances« veröffentlicht. Sie konnten zeigen, dass das Protein CLIC1 (Chloride Intracellular Channel 1) in den Mikrogliazellen bei zwei Mechanismen von enormer Bedeutung ist. Einerseits steuert das Protein die Beweglichkeit der Mikroglia-Fortsätze. Im frühen Krankheitsstadium einer Alzheimer-Erkrankung können die Mikrogliazellen lösliches β-Amyloid (Aβ) schnell beseitigen, noch bevor schädliche Plaques entstehen. »Ohne CLIC1 verlieren die Zellen ihre typische Verästelung und ihre Fähigkeit, das Gewebe zu überwachen. Dadurch können sie schädliche Veränderungen, etwa alzheimertypische Aβ-Ablagerungen, weniger effektiv erkennen und beseitigen«, so Madry.
Andererseits kontrolliert CLIC1 die Freisetzung entzündungsfördernder Botenstoffe. Normalerweise ist das sinnvoll und gewünscht, da das Gehirn so vor weiteren Schäden geschützt wird. Bei Alzheimer läuft die Reaktion jedoch zunehmend aus dem Ruder: Mikroglia-Zellen werden überaktiv, setzen immer mehr entzündliche Stoffe frei und tragen so selbst zum Fortschreiten der Erkrankung bei.
»Die Mikroglia verlieren ihre Balance. Statt zu schützen, beginnen sie, Nervenzellen zu schädigen«, erklärt Madry. Man habe zeigen können, dass CLIC1 den Entzündungskomplex NLRP3 in Mikroglia steuert. Dieser sei bei Alzheimer übermäßig aktiviert und maßgeblich für diese Fehlsteuerung verantwortlich.
Die neuen Studienergebnisse eröffnen nun zwei Therapieoptionen: Je nach Krankheitsphase ist es sinnvoll, CLIC1 zu fördern beziehungsweise zu blockieren. In frühen Stadien der Erkrankung könnte die CLIC1-gesteuerte Beweglichkeit der Mikroglia gezielt unterstützt werden, um die natürliche Wächterfunktion der Zellen zu fördern.
Wenn die Krankheit fortschreitet und die Mikroglia überaktiv werden, könnte dagegen eine gezielte Blockade von CLIC1 helfen, schädliche Entzündungsprozesse zu reduzieren. So ließe sich das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung verlangsamen. Laut Madry kommt CLIC1 im Gehirn fast ausschließlich in Mikroglia vor. Das eröffne die Möglichkeit, Behandlungen zu entwickeln, die nur gezielt in diesen Zellen wirken.
Derzeit entwickelt das Forschungsteam ein Alzheimer-Mausmodell ohne CLIC1, um die Rolle des Proteins in den verschiedenen Krankheitsphasen genau zu untersuchen. Gleichzeitig werden die Ergebnisse an menschlichem Hirngewebe überprüft – ein entscheidender Schritt, um die Erkenntnisse auf den Menschen zu übertragen. Bis mögliche Arzneistoffkandidaten in Humanstudien getestet werden können und dann auf den Markt kommen könnten, werden sicher noch einige Jahre vergehen.