| Alexandra Amanatidou |
| 28.11.2025 18:00 Uhr |
Apotheker Reik Hofmann in der Witzleben-Apotheke in Berlin-Charlottenburg. Die Apotheke hat seit 30 Jahren den HIV-Schwerpunkt. / © PZ/ Alexandra Amanatidou
Reik Hofmann ist Apotheker und beschäftigt sich seit 15 Jahren mit dem Thema HIV/ Aids. Seit zwei Jahren arbeitet er in der Witzleben-Apotheke in Berlin, die seit 1995 einen Schwerpunkt auf HIV setzt. Eigenen Angaben zufolge versorgt und berät die Berliner Apotheke circa 400 Patientinnen und Patienten im Bereich HIV und Hepatitis pro Monat.
Diesen Monat zum Beispiel beriet Hofmann einen jungen Patienten, der eine der ersten Packungen seiner HIV-Therapie erhalten hatte. Eine halbe Stunde lang haben sie miteinander im Beratungsraum geredet. Dabei ging es um mögliche Wechselwirkungen der Therapie mit Nahrungsergänzungsmitteln sowie um die regelmäßige Einnahme der Medikamente. Doch auch persönliche Fragen und Probleme kamen zur Sprache. Für die Eltern des Patienten, die aus dem ländlichen Raum kommen, war die Diagnose ein großer Schock. Somit muss er sich nicht nur mit der Infektion auseinandersetzen und seinen Alltag ändern, sondern auch seine Eltern emotional unterstützen.
Im Laufe der Zeit habe der Apotheker »eine dicke Haut« bekommen. »Wenn man in einer Apotheke arbeitet, in der verletzliche Gruppen zum Alltag gehören, dann stumpft man zwar nicht ab, aber man lernt, damit umzugehen und die Geschichten nicht mit nach Hause zu nehmen.«
Die meisten Fragen beziehen sich auf die Anwendung der Medikamente. Die Fragen, die mehr Zeit in Anspruch nehmen, betreffen eine Umstellung der antiretroviralen Therapie, also einen sogenannten Therapie-Switch. Die Beratungen, die teilweise telefonisch durchgeführt werden, sind nicht immer mit einem Rezept verbunden. »Ich führe jeden Monat Beratungen mit Menschen durch, die keine Stammkunden sind oder kein Rezept bei uns einlösen. Da berate ich eine halbe Stunde lang, ohne einen Cent dafür zu bekommen«, sagt der Apotheker.
Von der Politik wünscht er sich pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) für HIV-Patientinnen und -Patienten. Momentan ist eine erweiterte Medikationsberatung möglich, allerdings nur, wenn der Person fünf oder mehr Arzneimittel verordnet sind. »Im HIV-Bereich sind die meisten Medikamente Kombinationspräparate, also sogenannte Single-Tablet-Regimen (STR). Diese zählen im Rahmen der Kriterien für die pDL jedoch nur als ein Arzneimittel.«
Das Apothekenteam könnte die erweiterte Medikationsberatung also nur anbieten, wenn die Patientinnen und Patienten zusätzlich zur HIV-Medikation auch mindestens vier weitere Arzneimittel anwenden. »Idealerweise müsste man es auf mindestens fünf Arzneistoffe oder Wirkstoffe ändern. Außerdem sollten HIV-Patientinnen und -Patienten grundsätzlich das Recht auf eine erweiterte Beratung pro Jahr haben«, findet Hofmann.
Ein weiteres Thema ist laut dem Apotheker eine mangelnde Fortbildung zum Thema Infektiologie für die öffentlichen Apotheken. Der SPD-Politiker Serdar Yüksel, dessen Schwerpunkt unter anderem HIV-Infektionen sind, wünscht sich, dass die Politik die Apotheken künftig noch stärker befähigt und unterstützt, »zum Beispiel durch gezielte Fortbildungen, klare Vergütungsstrukturen und eine engere Einbindung in Präventions- und Versorgungsnetzwerke«.
Tatsächlich ist das Angebot jedoch nicht sonderlich groß. Hofmann, sowie die meisten HIV-Schwerpunkt Pharmazeuten, erlangte sein Wissen selbst, indem er im Laufe der Jahre Fortbildungen, Konferenzen und Workshops besuchte. Die meisten davon waren für die Ärzteschaft konzipiert. »Die Szene ist aber offen genug. Auch als Pharmazeut ist man dort herzlich willkommen.«
Der Verein Deutsche Arbeitsgemeinschaft HIV- und Hepatitis-kompetenter Apotheken, kurz DAH²KA, versucht, das Angebot zu erweitern, bietet Fortbildungen in diesem Bereich an und verpflichtet die Mitglieder auf Qualitätsstandards. Hofmann selbst zählt zum pharmazeutischen Beirat des Vereins. Dem Netzwerk gehören aktuell deutschlandweit 84 Apotheken an, darunter auch die Witzleben-Apotheke. Das ist eine sehr überschaubare Zahl, wenn man bedenkt, dass es hierzulande rund 16.700 Apotheken gibt und HIV-Betroffene nicht nur in den Großstädten wohnen.
Apotheker Reik Hofmann hat viele antiretrovirale Medikamente auf Lager in unmittelbarer Nähe des HV. / © PZ/ Alexandra Amanatidou
Laut der im Jahr 2021 erschienenen Studie »Positive Stimmen 2.0« der Deutschen Aidshilfe (DAH) und des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) erleben 56 Prozent der HIV-Patientinnen und -Patienten Diskriminierung im Gesundheitswesen. Ein Teil von ihnen (16 Prozent) berichtete sogar, dass ihnen mindestens einmal eine zahnärztliche Versorgung verweigert wurde. 8 Prozent berichteten von ähnlichen Fällen bei allgemeinen Gesundheitsleistungen.
Obwohl die Bundesregierung im April 2016 eine Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C sowie anderen sexuell übertragbaren Infektionen beschlossen hat, gab es im Jahr 2024 laut den neuesten Zahlen des Robert-Koch-Instituts circa 200 mehr HIV-Infektionen als im Vorjahr. Demnach lag die Zahl deutschlandweit bei 97.700, während es im gleichen Jahr circa 2300 neue HIV-Infektionen gab. Davon erhielten 87.600 eine antiretrovirale Therapie. In Berlin gab es 2024 laut den neuesten Zahlen des RKI circa 17.900 Menschen mit HIV oder Aids.
Ein weiterer Bereich, in dem HIV-Patientinnen und -Patienten Diskriminierung erfahren könnten, ist die elektronische Patientenakte (ePA). Das Argument lautet, dass jede Person im Gesundheitswesen eine HIV-Diagnose im System sehen könnte. Der Verein Deutsche Aidshilfe beklagt, dass der selbstbestimmte Umgang mit Gesundheitsinformationen zu kompliziert ist. Sensible Informationen könnten auch durch die Medikationsliste bekannt werden, die sowohl für Apotheken als auch für Praxen einsehbar ist.
Laut Manuel Hofmann, Referent für Digitalisierung bei der Deutschen Aidshilfe, hätten HIV-Schwerpunktpraxen berichtet, dass sie auf Wunsch von Patientinnen und Patienten die HIV-Medikamente wieder als Papierrezept ausstellen, um zu vermeiden, dass die HIV-Infektion über die Medikationsliste innerhalb des Gesundheitswesens bekannt wird. Dies geht aus einer Anfrage der PZ hervor.
Eine diskrete Beratung auf Augenhöhe, wie die der Witzleben-Apotheke, könnte positiv dagegen wirken. Für den Linken-Politiker Ates Gürpinar sollte »die Beratung in Apotheken zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen ein zentraler Bestandteil einer modernen, diskriminierungsfreien Versorgung sein«. Dies teilte er der PZ auf Anfrage mit.
Laut Pharmazeut Hofmann wissen die meisten Apothekerinnen und Apotheker, dass HIV kein »Todesurteil«, sondern mittlerweile eine gut behandelbar chronische Infektion ist. »Trotzdem gibt es noch sehr viel Ehrfurcht vor dem Thema«, sagt er.