Es droht das Gesetz zur Apothekenreform |
Alexander Müller |
28.12.2023 18:00 Uhr |
Für die Apotheker ein No-Go, für Minister Lauterbach vorstellbar: Erfahrene PTA sollen unter bestimmten Voraussetzungen zeitweise vertreten dürfen. / Foto: Getty Images/Thana Prasongsin
Das gesamtpolitische Umfeld könnte günstiger sein: Die Ampelkoalition startet in die zweite Hälfte ihrer Legislatur mit einer gewaltigen Hypothek. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 sind die finanziellen Spielräume der Regierung begrenzt. Dieser Umstand dürfte auch die – berechtigte – Forderung der Apothekerschaft nach einer signifikanten Honorarerhöhung weiter ausbremsen.
Das zeigt sich bereits in den aktuellen Reformplänen. Diese hatte der Minister ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening und ABDA-Hauptgeschäftsführer Sebastian Schmitz am Mittwoch vor Weihnachten vorgestellt. Die ABDA hat die Eckpunkte nach einer ersten Prüfung bereits als »Mogelpackung« kritisiert. Hier ist maßgeblich eine Umverteilung vorgesehen. Sollte die Honorarreform in dieser Version Gesetz werden, würde das zu erheblichen Verwerfungen im Markt führen, warnt die ABDA-Spitze. Nur beim Notdienst soll kurzfristig nachgebessert werden. Immer mehr Apotheken dürften unter massiven wirtschaftlichen Druck geraten.
Die geplante Umverteilung zwischen Fixum und variablem Vergütungsanteil scheint das Ministerium noch nicht sauber zu Ende gerechnet zu haben. Der Entwurf ist nicht einmal mit den anderen Ressorts abgestimmt, geschweige denn durchs Parlament. Hier dürfte im ersten Quartal 2024 noch viel passieren.
Stimmt die Rechnung für die Apotheken? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagt ja, die ABDA nein. / Foto: Imago/dts Nachrichtenagentur
In etwas fernerer Zukunft sollen die Apotheken nach Lauterbachs Plänen direkt mit den Krankenkassen über ihr Honorar verhandeln. Immerhin sieht er dafür einen Dynamisierungsfaktor vor. Das könnte verhindern, dass die Apotheken erneut jahrelang von der wirtschaftlichen Entwicklung – und den Kostensteigerungen – abgekoppelt werden. Allerdings können die Apotheker ein Lied davon singen, wie zäh und anspruchsvoll früher die Verhandlungen über den Zwangsabschlag mit den Kassen waren. Den Ärzten geht es mit ihren Honorarverhandlungen nicht besser.
Was das Verhältnis zur Ärzteschaft angeht, könnten Lauterbachs Pläne neuen Zündstoff liefern. Denn die Apotheken sollen verstärkt in die Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und tabakassoziierten Erkrankungen eingebunden werden. Die Ärzteverbände sind schon seit Beginn dieser Debatte in Protesthaltung.
Immerhin hat Lauterbach im Vergleich zu seinen im September präsentierten Plänen einiges fallengelassen: Die ABDA konnte den Minister überzeugen, dass Apotheken ohne Rezeptur und Labor, die keinen Notdienst mehr leisten, in der Versorgung wenig nutzen. Gleichwohl rüttelt der Minister an der Präsenzpflicht. Unter bestimmten Umständen sollen PTA zeitweise vertreten dürfen, wenn ein Apotheker oder eine Apothekerin aus der eigenen Apotheke oder dem Filialverbund digital dazugeschaltet werden kann. Die Pläne lassen auch in diesem Punkt eine solide Folgenabschätzung vermissen. Aus Sicht der ABDA ist die persönliche Leitung nicht verhandelbar.
2024 dürfte endgültig das Jahr des E-Rezepts werden, das seit dem Jahreswechsel »scharfgeschaltet« ist. Eigentlich steht die verpflichtende Nutzung schon seit 2022 im Gesetz, wurde aber bekanntlich ausgesetzt. Damit ist jetzt Schluss: Nach einer erneuten Klarstellung aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) müssen die Ärztinnen und Ärzte jetzt digital verordnen.
Teil 1 des sechsteiligen Beitrags zum Ausblick auf das Jahr 2024 / Foto: Sebastian Erb
1 – Ausblick 2024: Es droht das Apothekenreformgesetz
2 – Neue Arzneistoffe: Mögliche Innovationen in 2024
3 – Umsatzprognose: Die zehn Stärksten 2024
4 – Bis 2030: mRNA-Impfstoffe zur Krebstherapie
5 – Neuer DPhG-Präsident: »Mehr Wissenschaft in die Praxis bringen«
Nach Inkrafttreten des Digitalgesetzes (DigiG) droht den Praxen sogar künftig eine Kürzung der Vergütung, wenn sie am Papierrezept festhalten. Bei technischen Problemen darf es aber weiterhin verwendet werden. Apotheken dürfen auch im Jahr 2024 noch rosa Rezepte beliefern; sie sind dazu sogar verpflichtet, Stichwort Kontrahierungszwang.
Umso wichtiger ist es, dass die Umstellung glatt läuft. Doch mit steigender Zahl der ausgestellten E-Rezepte traten etliche Probleme zutage, teilweise gab es sogar Systemausfälle. Die ABDA-Geschäftsführerin Ökonomie, Claudia Korf, schrieb daher kurz vor Weihnachten einen Brandbrief ans BMG. Eine Forderung: Wenigstens die Retaxfrist der Kassen sollte deutlich verkürzt werden.
Um die Einführung zu begleiten, startet die ABDA eine E-Rezept-Kampagne, die sich in erster Linie an die Bevölkerung richtet. Darin wird unter anderem auf die elektronische Gesundheitskarte (EGK) als benutzerfreundlichster Weg der Rezepteinlösung hingewiesen. Es wird klassische Anzeigen in Apothekenmagazinen und anderen Patientenzeitschriften geben, Radio-Spots und Videos im Wartezimmer-TV von Arztpraxen.
Die Versender hoffen dagegen vor allem auf einen weiteren Weg für die Einlösung. Dabei können Versicherte mit einer NFC-fähigen EGK ihre E-Rezepte mit dem Smartphone an eine Apotheke schicken. Die Gematik hat die entsprechende Spezifikation erarbeitet.
Die Apothekengewerkschaft Adexa hat den Gehaltstarifvertrag mit dem Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken (ADA) und der Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter Nordrhein (TGL Nordrhein) zu Ende 2023 gekündigt. Die Forderung für das Jahr 2024 beträgt 10,5 Prozent für alle Berufsgruppen und Berufsjahresgruppen, in Nordrhein sogar 11,5 Prozent.
Bislang liegen die Tarifpartner in den Gesprächen noch weit auseinander. Je nach Verlauf der Tarifverhandlungen kommen auf die Apothekeninhaber erneut steigende Lohnkosten zu.
Bei der Abrechnung von Rezepturen befinden sich die Apotheken ab Januar im »vertragslosen Zustand«. Denn der DAV hat die Anlage 1 (Stoffe) und Anlage 2 (Gefäße) der Hilfstaxe zum 31. Dezember 2023 gekündigt. Damit gelten aus seiner Sicht die Preisregelungen der §§ 4 und 5 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Apotheken können nach Auffassung des DAV stets die gesamte Packung in Ansatz bringen.
Der GKV-Spitzenverband sieht das anders: Gegenüber den Mitgliedskassen teilt er mit, dass zur Herstellung der Rezeptur nur die erforderliche Stoffmenge abgerechnet werden darf, also nur die anteilige Packungsmenge. Die Restmenge sei für die Herstellung nachfolgender Rezepturen weiterzuverwenden. Die Abrechnung von Verwürfen ist laut GKV-Spitzenverband grundsätzlich nicht zulässig. Die Apotheken müssen selbst entscheiden, inwieweit sie hier ins Risiko gehen wollen und Retaxationen riskieren.
Foto: Getty Images/stockstudioX
Die Legalisierung von Cannabis hatte sich die Ampel als Vorhaben in den Koalitionsvertrag geschrieben. Apotheken als legale Abgabestellen waren zwar in der Diskussion, letztlich wählte das BMG aber einen anderen Weg.
Ab dem 1. April 2024 sollen der Eigenanbau und Besitz bestimmter Mengen der Droge für Volljährige erlaubt sein. Zum 1. Juli sollen dann Cannabis-Clubs zum gemeinsamen Anbau entstehen. Wichtig für die Apotheken: Cannabis verschwindet im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) von der Liste der verbotenen Substanzen. Weil das Gesetzesvorhaben aber noch heiß diskutiert wird, könnte sich an Inhalten und Fristen im Jahresverlauf noch einiges ändern.
Auf Drängen der ABDA hat der Gesetzgeber mit dem Arzneimittel-Lieferengpass-Bekämpfungs- und Versorgungsverbesserungs-Gesetz (ALBVVG) beschlossen, dass sich Apotheken für die Abgabe apothekenpflichtiger Hilfsmittel nicht mehr präqualifizieren müssen.
Allerdings müssen sich der DAV und der GKV-Spitzenverband noch konkret darauf verständigen, welche Produktgruppen darunterfallen. Außerdem will das Sanitätshaus Stolle das ALBVVG in Karlsruhe rechtlich überprüfen lassen. Wegen der »einseitigen Befreiung« der Apotheken hat Stolle Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Der bekannte Warnhinweis in der Arzneimittelwerbung außerhalb von Fachkreisen wird angepasst. In der neuen Version heißt es: »Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder in Ihrer Apotheke«. Lauterbach hatte sich gewünscht, Ärztinnen ausdrücklich zu nennen, weil das »der Realität der Versorgung« entspreche. Die ABDA kann nicht verstehen, warum jetzt von Ärztinnen und Ärzten die Rede ist, aber nicht von Apothekerinnen und Apothekern.
Lauterbach und sein Gesundheitsministerium haben sich für 2024 einiges vorgenommen: Die Krankenhausreform zählt ebenso zu den Großprojekten wie das Medizinforschungsgesetz, das bessere Rahmenbedingungen für forschende Pharmahersteller schaffen soll. Auch ein Pflegekompetenzgesetz, ein Patientenrechtegesetz und eine Notfallreform stehen auf der Agenda – und das Apothekenreformgesetz.
Mit dem »Versorgungsgesetz I« will das BMG unter anderem die umstrittenen Gesundheitskioske einführen. Die Gründung kommunaler Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) soll leichter, die Investorentätigkeit in diesem Bereich dagegen eingegrenzter werden. Für Hausärzte ist eine Entbudgetierung geplant. Das »Versorgungsgesetz II« sieht unter anderem eine Verbesserung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung sowie eine Direktabrechnung für Kinder und Jugendliche in der Privaten Krankenversicherung (PKV) vor.
Die Gematik soll – nach Ausscheiden von Markus Leyck Dieken als Geschäftsführer – unter neuer Führung zu einer digitalen Gesundheitsagentur umgebaut werden. Geplant ist außerdem die Gründung eines Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM).
Apotheke und Patienten: Letztlich kommt es auf das Vertrauen an. Und für gute Leistungen müssen die Rahmenbedingungen stimmen. / Foto: Getty Images/Henglein and Steets
Auf Lauterbachs To-do-Liste für 2024 stehen außerdem ein Entbürokratisierungsgesetz, ein Pflegekompetenzgesetz, ein Gesetz für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen sowie ein Gesetz zur Verbesserung der Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Bei Letzterem will er die Apotheken über die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) einbinden. Die Ampel hatte schon im Koalitionsvertrag angekündigt, hier noch einmal aktiv zu werden. Lauterbach hat das in seinem Eckpunktepapier bekräftigt: »Diesen Weg wollen wir konsequent weitergehen, um das Wissen von Apothekerinnen und Apothekern im Patientensinne bestmöglich zu nutzen.« Bei den bisher verfügbaren pDL ist noch Luft nach oben, denn in vielen Apotheken fehlt nach eigenen Angaben schlicht die Zeit für die zusätzlichen Aufgaben. Gerade die Lieferengpässe binden nach wie vor viele Kräfte. Noch ein Problem, das die Regierung nach eigenen Angaben in den Griff bekommen will.