Erstes Gehirn-Implantat beim Menschen eingesetzt |
Das Gehirnimplantat ist etwa so groß wie eine Ein-Euro-Münze. Mit insgesamt 1024 Elektroden überwacht es als Computer-Hirn-Schnittstelle die Neuronenaktivitäten und generiert daraus konkrete Befehle für Endgeräte wie Smartphones. / Foto: Getty Images/Yuichiro Chino
Der Patient erhole sich nach dem Eingriff am Sonntag gut, schrieb Elon Musk am Montag auf seiner Online-Plattform X, nachdem seine Medizintechnik-Firma Neuralink ihr Gehirn-Implantat zum ersten Mal einem Menschen eingesetzt hatte. Das Implantat von Neuralink soll es ermöglichen, durch Gedanken ein
Smartphone zu bedienen – und darüber auch andere Technik. Auch weitere Unternehmen und Forscher arbeiten an solchen Verfahren.
Die Idee von Neuralink war es, eine Schnittstelle zwischen Gehirn und Maschine (Brain-Machine-Interface, BMI) zu entwickeln, die sowohl sensorische als auch motorische Funktionen bei Menschen mit neurologischen Störungen wiederherstellen kann.
Der Chip von Neuralink wird mithilfe eines Roboters operativ in das Gehirn eingesetzt. Er ist ungefähr so groß wie eine Ein-Euro-Münze, verfügt über 1024 Elektroden und wird von einer kabellos aufladbaren Lithiumbatterie betrieben. Neuralink baut dabei auf dem Konzept der tiefen Hirnstimulation auf. Ein spezieller, in den Chip integrierter Schaltkreis überwacht die elektrischen Signale des Gehirns beziehungsweise die Neuronenaktivität des Patienten in Echtzeit.
Die gemessenen elektrophysiologischen Muster stellen dabei ein Abbild der Gedanken dar. Aus diesen Mustern generiert das Implantat konkrete Befehle, die es an Endgeräte wie beispielsweise Smartphones sendet. Der Chip könnte so die Verbindung zwischen Gedanken und körperlichen Reaktionen überwachen oder sogar beeinflussen. Gelingt das, könnten auf diese Weise zum Beispiel Gelähmte durch ihre Gedanken ein Exoskelett steuern oder Menschen mit Locked-in-Syndrom mit ihrer Außenwelt kommunizieren. Weiterhin könnte die Technik zukünftig etwa dazu eingesetzt werden, neuronale Verbindungen bei degenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer wiederherzustellen oder eine medikamentenresistente Epilepsie zu behandeln.
Außerhalb der Medizin strebt Neuralink danach, eine Leerstelle zu schließen: Wenn KI eines Tages alle Funktionen unseres Gehirns imitieren können sollte, möchte Neuralink das menschliche Gehirn dazu befähigen, mit KI zu konkurrieren.
Das Unternehmen Neuralink hatte der Tech-Milliardär Musk 2016 gegründet, um Möglichkeiten zur Vernetzung des menschlichen Gehirns mit Maschinen untersuchen zu lassen. Die Erlaubnis, das entwickelte Implantat zu Forschungszwecken in einer klinischen Studie Menschen einzusetzen, erhielt Neuralink im Mai 2023. Einen ersten Antrag für eine klinische Studie am Menschen hatte die FDA Anfang 2022 aufgrund von Sicherheitsbedenken noch abgelehnt. Davor war die Technik an Tieren getestet worden. Für die klinische Studie hatte Neuralink Patienten mit Tetraplegie gesucht – eine Querschnittlähmung, bei der Beine und Arme betroffen sind.
Was sagen Experten zur erstmaligen Implantation des Neuralink-Chips beim Menschen? Zu diesem Fall fehlten bisher noch sehr viele Informationen, sagte der Neurotechnologe Professor Dr. Rüdiger Rupp vom Universitätsklinikum Heidelberg der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Unklar sei etwa, wie viele Drähte implantiert worden seien und ob der Versuch auf eine bestimmte Frist oder dauerhaft ausgelegt sei. Dass neuronale Aktivität abgeleitet werden konnte, bedeute erst einmal wenig. »Das heißt noch keine Kontrolle eines Smartphones«, betonte Rupp. Dafür müsse die Aktivität der Neuronen vom Nutzer aktiv durch Gedanken moduliert werden können, zudem müsse ein Dekoder die neuronale Aktivität stabil in Steuerbefehle umwandeln.
Die Technik an sich stelle keine Revolution dar, sagte der Neuroinformatiker Professor Dr. Moritz Grosse-Wentrup von der Universität Wien der dpa. Schon seit knapp zwei Jahrzehnten würden von einzelnen Patienten Roboterarme über Implantate gesteuert. »Die Technologie ist im Prinzip schon da, aber mit Neuralink ist es nun auch möglich, mit viel Geld und vielen Mitarbeitern die unzähligen kleinen Probleme bis zur Marktreife zu lösen.«
Das Implantat habe mit 1024 vergleichsweise viele Elektroden, die mit Nervenzellen im Gehirn verbunden werden, erklärte Grosse-Wentrup. Zudem ließen sich sehr zielgenau bestimmte Bereiche und damit auch
Funktionen ansteuern. Der große Nachteil des Verfahrens aus Sicht des Neuroinformatikers: »Man ist im Gehirn drin.« Das berge immer das Risiko für Infektionen, zudem setze sich Hirngewebe wie jedes andere
zur Wehr, etwa mit Abkapselungsreaktionen. »Wie lange das System stabil bleiben kann, ist noch vollkommen unklar.« Bei ähnlichen invasiven Ansätzen habe sich gezeigt, dass die Zahl beobachtbarer Neuronen mit der Zeit abnimmt. Wirklich beurteilen werde man Neuralink darum erst in einigen Jahren können, sagte Grosse-Wentrup. Die Studie ist auf sechs Jahre angelegt. Mit ersten Zulassungen sei gegebenenfalls erst in etwa einem Jahrzehnt zu rechnen.
Neuralink hat mehrere Konkurrenten, die eine ähnliche Technologie ebenfalls kommerziell nutzen wollen, darunter die US-Firma Precision Neuroscience für Gehirn-Computer-Schnittstellen, die 2021 von einem Mitgründer von Neuralink gegründet wurde. Precision Neuroscience will ihr Implantat mit ebenfalls 1024 Elektroden auf einem Film über einen sehr feinen Schnitt im Schädel minimalinvasiv am Gehirn anbringen. Sein Implantatsystem, das als Layer 7 Cortical Interface bekannt ist, testete das Unternehmen im vergangenen Jahr sogar bereits kurzzeitig an drei Patienten, die aufgrund eines Hirntumors operiert werden mussten. Im Zuge der Schädelöffnung wurde das Implantat für etwa 15 Minuten auf die Gehirne dieser Patienten platziert, um die Funktionalität und Leistung des Systems zu überprüfen.
Des Weiteren will das US-amerikanische Unternehmen Synchron, das sich ebenfalls auf die Entwicklung von BMI spezialisiert hat, ein System mit 16 Elektroden über Blutgefäße in die Nähe der richtigen Gehirnbereiche bringen. Zu weiteren Firmen, die an BMI forschen, zählt auch das US-Unternehmen Blackrock Neurotech.